• Atomkraftwerke, Autobahn oder Heizungen - es gibt in der Ampelkoalition immer mehr Streitthemen.
  • Meistens geraten dabei die FDP und die Grünen aneinander, wie eine Aufzählung zeigt.
  • "Viel schlechter" als die FDP könne man sich kaum präsentieren, meint ein Politikexperte.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Jan-Henrik Hnida sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Seit über einem Jahr regiert die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Sie selbst taufte sich "Fortschrittskoalition". In letzter Zeit könnte ein dritter Name besser passen: "Ko-Ko" für Konflikt-Koalition. Meistens sind FDP und Grüne beteiligt, die fast im Wochenrhythmus ihre Streitigkeiten mal intern, aber auch öffentlich austragen. Hier einige Knackpunkte der letzten Wochen und Monate:

Mehr aktuelle News

  • Die FDP will den schnelleren Bau von Autobahnen erlauben. Die Grünen wollen dagegen nur bei neuen Stromtrassen und Bahnstrecken Beschleunigung zulassen. "Neue Straßen können keine Priorität haben", sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) unserer Redaktion gegenüber.
  • Bei der Pflegereform müssen sich Finanzminister Lindner (FDP) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einigen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber die Finanzierung der Pflegeversicherung bis 1. Juli neu regeln. Das Gesundheitsministerium will vor allem mehr Geld für das Pflegesystem. Das Finanzministerium meint, es könne nicht alles mit immer mehr Geld gelöst werden.
  • Trotz des "Machtworts" von Kanzler Scholz im Herbst beharken sich FDP und Grüne immer wieder über die Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerke. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte den Stein Anfang Januar ins Rollen gebracht: Er forderte, eine unabhängige Expertenkommission über eine weitere Laufzeitverlängerung der drei AKWs entscheiden zu lassen. Wissing erhielt Unterstützung aus der ganzen Partei, auch von FDP-Chef Lindner.
  • Im Zuge der Aufstellung des Bundeshaushalts 2024 sind Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) Mitte Februar heftig aneinandergeraten. Im Kern geht es um die Frage, ob und wie mehr Einnahmen geschaffen werden können und welche Vorhaben Priorität haben sollen. Habeck forderte Lindner stellvertretend für die von den Grünen geführten Ministerien in einem Schreiben auf, "keine weiteren öffentlichen oder internen Vorfestlegungen zu treffen, die einseitig weitere Ausgaben priorisieren". Als Beispiele genannt werden die Aktienrente, die Umsatzsteuerermäßigung für die Gastronomie und die Bundeswehr.
  • Ursprünglich war im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass zum 1. Januar 2025 "jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden" müsse. Dann kam der Krieg in der Ukraine und ein Abbruch der Öl- und Gasimporte aus Russland. Vor diesem Hintergrund beschloss die Koalition im März 2022, dass diese Vorgabe "möglichst" bereits ab Anfang 2024 gelten soll. Gegen diese im Grundsatz bereits beschlossenen Pläne regt sich nun Widerstand aus der FDP. Sie warf den Koalitionspartnern SPD und Grünen vor, "weit über die Vereinbarungen" der Koalition hinauszugehen und will dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Bei insgesamt 30 Projekten geht es in der Ampelkoalition nicht voran, schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ). Bei mindestens acht davon blockiere das von FDP-Chef Lindner geführte Finanzministerium eine Einigung.

Das betreffe neben einer Baugesetzbuch-Änderung für tierfreundlichere Ställe beispielsweise das Weiterbildungsgesetz, das Klimaschutzsofortprogramm oder Details bei der Polizeizulage. Was sind die Gründe für so viel Streit und Blockade?

"Die zentrale Streitachse liegt zwischen der FDP und den Grünen", sagt Wolfgang Schroeder vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Vor allem in der Energie- und Verkehrspolitik herrsche oft Zwist. Gerade, wenn es um höhere Ausgaben wie beispielsweise für die Kindergrundsicherung vom grün-geführten Familienministerium gehe, lehne das Finanzministerium (FDP) die Zahlungen erstmal ab.

Experte: "Die SPD gießt nicht noch zusätzliches Öl ins Feuer"

Die SPD kann sich meistens die Streitereien in der Ampel von außen angucken. "Sie gießt nicht noch zusätzliches Öl ins Feuer", meint Schroeder. Vielmehr versuchen die Sozialdemokraten als Vermittler deeskalierend zu wirken.

Die FDP hat in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von Landtagswahlen verloren. Das mache die Partei immer nervöser und mit jeder Niederlage gebe es neue Konflikte, sagt Schroeder.

Sogar bei ihren eigenen Anhängern fehlt die Zustimmung, wie eine Umfrage von infratest dimap über die Zufriedenheit mit der Ampelkoalition zeigt. 72 Prozent der SPD-Wähler waren "sehr zufrieden" bis "zufrieden" mit der Arbeit der Regierung, bei den Grünen 66 Prozent. Selbst die CDU-Anhänger sind mit 25 Prozent zufriedener als die Liberalen: Mit 18 Prozent haben sie das schlechteste Ergebnis.

FDP als "Kontrollgremium" gegenüber SPD und Grünen

"So, wie die FDP regiert und wie das bei ihren eigenen Wählern ankommt, braucht man gar nichts zu machen", sagt der Politikexperte. "Viel schlechter" könne man kaum die eigene Politik gestalten im Hinblick auf die Wählerzustimmung. Der Versuch, das Kontrollgremium oder eine Art Betriebsrat gegenüber den beiden "linkeren" Regierungspartnern zu sein, sie zu korrigieren, habe kleinere und größere Konflikte zur Folge. "Diese haben aber alle keine positive Wirkung, die sich für die Liberalen auszahlt", sagt Schroeder.

Aus seiner Sicht muss die FDP mit den eigenen Anhängern anders kommunizieren. Hierin liegt das nächste Problem. "Es gibt einen konservativen Teil, der sich eher zur CDU tendiert und einen progressiveren, der offen für Neues ist."

Statt die Anhänger mit eigenen Inhalten zu überzeugen, versuche man Stärke durch "Veto-Politik" zu erreichen. "Das ist zu wenig. Führt aber anscheinend zu keinem Umdenken." Statt sich programmatisch und konzeptionell zu öffnen, gebe es ein Verharren in der Defensive.

Christian Lindner als Streit-Verursacher

Dazu kommt, dass die Partei wie keine andere auf eine Person zugeschnitten. "Die Publikumsgunst und die Konflikte gehen auf das Konto von Christian Lindner", sagt der Politik-Forscher.

"Der Preis der Koalition ist, dass man drei sehr unterschiedliche Partner in einem Boot hat", sagt er. Ein gemeinsames Projekt, das verbindet, sieht er zwar nicht. Jedoch habe auch der Krieg in der Ukraine mit seinen Folgen wie Energiekrise und Inflation den Handlungsspielraum der Regierung enorm eingeschränkt.

Auch biete die CDU momentan keine Regierungsalternative an, ist sich der Experte sicher. "Herr Merz macht einen guten Job als Oppositionsführer. Es ist aber nicht erkennbar, was die CDU anders machen würde als die FDP."

Trotz der ganzen Streitigkeiten zwischen Grünen und FDP mache die Regierung in den vielen Krisen insgesamt einen "guten Job" , meint der Politikexperte. Eine Regierungskrise sieht er deshalb nicht aufziehen.

Verwendete Quellen:

  • sz.de: Die verkeilte Koalition
  • infratest-dimap.de: Zufriedenheit mit der Bundesregierung

Über die Person:

Wolfgang Schroeder ist Politikwissenschaftler. An der Universität Kassel ist er Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Von 2009 bis 2014 war er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg.