• Bis zuletzt klammerte sich Boris Johnson an seine Ämter und die Macht in Großbritannien.
  • Doch jetzt hat er seinen Rücktritt als Parteichef der Tories erklärt und seinen Posten als Premierminister wird er in naher Zukunft räumen.
  • Es ist das Ende einer von Skandalen und Kontroversen umwitterten politischen Karriere und Johnson hinterlässt einen Scherbenhaufen für seine Partei und das Land.

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Tagelang hat sich Boris Johnson vehement gegen seinen Sturz gewehrt, am Ende ist alles Kämpfen vergeblich. Als er am Donnerstag in der Londoner Downing Street vor die Presse tritt und seinen Rücktritt verkündet, gibt er sich dennoch ungebrochen.

"Es ist nun eindeutig der Wille der konservativen Parlamentsfraktion, dass es einen neuen Parteichef geben soll und damit auch einen neuen Premierminister", sagt Johnson. Die Betonung auf den "Willen der Fraktion" dürfte Johnson nicht zufällig gewählt haben. Noch am Mittwoch, als große Teile der Regierung wegbrachen, ließ Johnson ausrichten, er habe das Mandat von 14 Millionen Wählern bekommen, er habe noch viel zu tun für das Land.

"Johnson denkt eindeutig, dass Großbritannien ein präsidiales System hat und nicht seine Partei, sondern er ein Mandat bei der Wahl 2019 gewonnen hat", sagte der Politologe Mark Garnett der Deutschen Presse-Agentur (dpa) dazu.

Noch am Mittwochabend gab es die Besorgnis, Johnson könnte - inspiriert vom früheren US-Präsidenten Donald Trump - eine Art Putschversuch wagen.

Johnson hinterlässt Schäden am politischen System Großbritanniens

Dass es dazu nicht kam, könnte sich als schwacher Trost erweisen. Denn Johnson untergräbt das politische System in Großbritannien nach Ansicht von Kritikern schon seit geraumer Zeit.

Um seine Ziele zu erreichen, war dem 58-Jährigen kein Preis zu hoch. Wenn es seinem Machterhalt diente, war er bereit, Brücken zu Partnern wie der Europäischen Union sowie den Regionalregierungen in Schottland, Wales und Nordirland einzureißen. Garnett glaubt daher, dass ein Auseinanderbrechen des Landes wahrscheinlicher geworden ist.

Auch im Verfassungsgefüge war Johnson mit der Abrissbirne unterwegs. Ob bei der Justiz, den Rechten des Parlaments, der Demonstrationsfreiheit oder der Gültigkeit internationaler Verträge - Johnson versuchte, die Macht der Exekutive auszubauen.

Die Tatsache, dass das Land keine geschriebene Verfassung hat, sondern sich weitgehend auf Konventionen und deren Einhaltung stützt, kam ihm dabei entgegen.

Ehrlichkeit? Hauptsache Macht!

Zudem zeigte er keine Hemmungen, sich über Verhaltensstandards hinwegzusetzen: Ehrlichkeit, Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht - Johnson fühlte sich, abgesehen von Lippenbekenntnissen, keinem dieser Werte verpflichtet.

Die charakterlichen Mängel des blonden Politikers waren bekannt. Dass ihm die Konservativen im Sommer 2019 dennoch die Schlüssel zu der berühmten schwarzen Tür mit der Nummer 10 in der Downing Street aushändigten, dürfte mit seinem politischen Talent zusammenhängen.

Boris Johnson galt als politisches Wunderkind. Ihm gelang es, Menschen aller Gesellschaftsschichten zu erreichen und sich besonders in der Frage des EU-Austritts als Volkstribun zu inszenieren, der gegen abgehobene Eliten und Brüsseler Bürokraten kämpft.

Dabei ist Alexander Boris de Pfeffel Johnson alles andere als ein Mann des Volkes. Seiner Schwester zufolge war sein erster Berufswunsch, "Weltkönig" zu werden. Er ging auf das Elite-Internat Eton und studierte in Oxford, wo er dem "Bullingdon-Club" angehörte, einer für ihre Dekadenz berüchtigten Studentenverbindung.

Mit dem Brexit zum Erfolg

Johnsons Aufstieg ist eng mit dem Brexit verbunden. Ganz Opportunist, entschied er sich 2016 erst wenige Monate vor dem Referendum, auf welche Seite er sich schlagen wollte - und wurde dann schnell zum Gesicht der Brexit-Kampagne.

Trotzdem gelang es ihm nicht, direkt an die Spitze der Regierung zu kommen, stattdessen bekam Theresa May den Posten. Erst nachdem er Mays Bemühungen um einen geordneten Brexit erfolgreich torpediert und die Premierministerin zum Rücktritt gezwungen hatte, trat er im Juli 2019 ihre Nachfolge an.

Mit dem Versprechen, die Brexit-Querelen zu beenden, gewann er mit überwältigender Mehrheit die Parlamentswahl im Dezember 2019. Die Konsequenzen seines zuvor mit der EU geschlossenen Brexit-Deals zu Nordirland stritt er jedoch stets ab und versuchte, sich aus den Verpflichtungen wieder herauszuwinden.

Seine Bilanz als Regierungschef ist mehr als durchwachsen. Die Corona-Pandemie ignorierte er zunächst, dann redete er sie klein. Langes Zögern, bevor er sich zu den Lockdowns durchringen konnte, und die Überweisung Tausender Menschen ohne Tests von Krankenhäusern in Pflegeheime dürfte zig Leben gekostet haben.

Was Johnson damals rettete, war die erfolgreiche Impfkampagne, die er als Wettlauf zwischen der EU und Großbritannien darstellte. Ohne den Brexit, so seine Argumentation, wäre das Impfwunder unmöglich gewesen.

In Wirklichkeit verschaffte er Großbritannien einen Vorteil, indem Impfstoffe zwar aus der EU importiert wurden, aber nicht ausgeführt werden durften. Johnson hatte es mal wieder allen gezeigt. Für ihn galten die Naturgesetze der Politik scheinbar nicht. Alles war verziehen. So schien es.

Der "Partygate"-Skandal war der Anfang vom Ende

Das änderte sich, als nach und nach Enthüllungen über verbotene Lockdown-Partys mit teils exzessivem Alkoholkonsum im Regierungssitz bekannt wurden. Während die Menschen nicht einmal ihre sterbenden Angehörigen besuchen durften, floss in der Downing Street Alkohol in Strömen. Johnson stritt erst alles ab.

Als das nicht mehr ging, behauptete er, nichts von den Partys gewusst zu haben. Als sich dann herausstellte, dass er selbst mitgefeiert hatte, zog er sich auf die Position zurück, er habe nicht gemerkt, dass es sich um Partys handelte. Die Polizei sah das anders und verhängte einen Strafbefehl.

Einen Hoffnungsschimmer bot Johnson der Krieg in der Ukraine. Seine bedingungslose Unterstützung für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fand im In- und Ausland Anerkennung. Doch retten konnte es Johnson am Ende nicht.

Bis zum bitteren Ende kein Zeichen von Reue

Für Johnson selbst ist aber zunächst ein Rückzug auf Raten. Denn vorerst bleibt er Regierungschef. Er werde weitermachen, bis seine Partei einen Nachfolger gewählt habe, sagte Johnson bei seiner Rücktrittsansprache. Viele Parteifreunde fordern hingegen, dass der 58-Jährige sofort auch als Regierungschef abtreten solle. Die Opposition verlangt eine Neuwahl.

Als er vor seinem Amtssitz in der Downing Street 10 seinen Rücktritt als Chef der Konservativen Partei verkündete, zeigte sich Johnson gewohnt selbstsicher. "Ich möchte, dass Sie wissen, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben." Reue zeigte Johnson hingegen nicht.

Stattdessen kritisierte er in seiner gut sechsminütigen Stellungnahme die Rücktrittsforderungen seiner Partei als "exzentrisch". Für die Konservativen könnte das einstiges Zugpferd Johnsnun nun ein Hindernis für die Zukunft der Partei darstellen. Denn der scheidende Premier "hat seine Partei wohl in eine langfristige Krise gestürzt", sagt Politologe Garnett.


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