Boris Pistorius ist ein Mann der klaren Worte. Die fand er auch am Sonntagabend beim Polittalk von Caren Miosga. Dort schätzte er die amerikanischen Angriffe auf den Iran ein und diskutierte mit der Moderatorin über die Kriegstüchtigkeit Deutschlands. Dabei äußerte der Verteidigungsminister Kritik an seinen Amtsvorgängern.

Eine TV-Nachlese
Diese TV-Nachlese gibt die persönliche Sicht von Christian Vock auf die Sendung wieder. Sie basiert auf eigenen Eindrücken und ordnet das Geschehen journalistisch ein. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wegen eines "Brennpunkts" zum Angriff der USA auf iranische Atomanlagen verzögerte sich die jüngste Ausgabe von "Caren Miosga" um eine Viertelstunde. Dann sprach die Moderation mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius über die Frage: "Wann sind wir kriegstüchtig, Herr Pistorius?"

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Das Thema

Die Kriegstüchtigkeit Deutschlands stand zwar im Mittelpunkt am Sonntagabend, aufgrund der jüngsten Ereignisse in der Nacht, wollte und musste Caren Miosga natürlich mit ihrem einzigen Gast, Boris Pistorius, über die Militärschläge der USA gegen den Iran sprechen. Erst nach einer knappen Viertelstunde ging es dann um den aktuellen Zustand der Bundeswehr, um Kasernenbau, das Friedensmanifest mancher SPD-Kollegen, die Attraktivität des Soldatenberufs, Bürokratie bei der Truppe, die Wehrpflicht und um die Frage, wann Europa militärisch unabhängig von den USA sein kann und ob überhaupt.

Caren Miosga und Boris Pistorius
Am Sonntagabend war bei Caren Miosga Boris Pistorius (SPD) zu Gast. © ARD/Claudius Pflug

Das sagte Boris Pistorius

Ob die Militärschläge der USA gegen den Iran völkerrechtlich konform waren, wollte Pistorius nicht beurteilen. Es sei aber nie gut, wenn eine Situation militärisch gelöst werde. Dass die Bedrohung seiner Nachbarländer, vor allem aber Israels durch die Zerstörung der Anlagen des Iran zur Herstellung von atomaren Waffen reduziert wurde, sei aber "mit Sicherheit keine schlechte Nachricht für die Stabilität und die Sicherheit in der Region und für Israel."

Über das "Drecksarbeit"-Zitat von Friedrich Merz zu den israelischen Angriffen gegen den Iran sagt Pistorius: "Ich hätte den Begriff nicht benutzt." Gleichzeitig dürfe man nicht vergessen, dass Israel von Feinden umgeben und permanent in seiner Sicherheit bedroht sei.

Das Jahr 2029, in dem, laut früherer Aussagen Pistorius’, Deutschland kriegstüchtig sein müsse, sei, so der Verteidigungsminister, kein Stichtag. Es sei vielmehr der Zeitpunkt, zu dem Experteneinschätzungen zufolge Russland für einen Teilangriff auf Nato-Länder bereit sei. Auf diese Situation müsse man sich vorbereiten, so Pistorius, der sagt: "Es gibt eine Bedrohung, wie es sie seit Anfang der 1990er nicht mehr gegeben hat."

Pistorius erklärt am Sonntagabend, dass die Mängel in der Bundeswehr aus der Ignoranz in Friedenszeiten resultierten, wie etwa die Schließung von Kasernen, von Kreiswehrersatzämtern, die Erreichbarkeit von Reservisten und mehr. Er sei dabei, die Bundeswehr attraktiver zu machen, etwa durch eine höhere Besoldung. Zur Diskussion über eine Wehrpflicht erklärt Pistorius, dass die Wehrdienstleistenden nicht dafür da seien, um die Lücke von 60.000 Soldaten zu füllen. "Den Wehrdienst brauchen wir zum Aufbau einer Reserve", so Pistorius. Bis zum Ende des Jahrzehnts brauche man etwa 200.000 Reservisten, die Hälfte davon aus den heutigen Reservisten, die andere Hälfte aus den Wehrdienstleistenden, "die jetzt zu uns kommen".

Ob die Wehrpflicht wiedereingeführt werde, hänge von den Zahlen der nächsten Zeit ab. Man werde sich den Aufwuchs bei der Bundeswehr genau ansehen, gleichzeitig bereite Pistorius gerade ein Gesetz vor, das zwei Regelungen zur Wehrpflicht enthalte, "die dann nur noch aktiviert werden müssen, wenn die Zahlen nicht reichen." Das erspare dann im Fall der Fälle einen erneuten Gesetzgebungsprozess. Demnach wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht bereits in dieser Legislaturperiode möglich.

Für die Ängste junger Menschen vor einer Wehrpflicht zeigt Pistorius Verständnis und sagt: "Es geht ja nicht darum, eine Wehrpflicht einzuführen oder Wehrdienstleistende zu gewinnen – was auch immer in fünf Jahren dann passieren wird – um jemanden in den Krieg zu schicken. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir nicht in der Lage sind, zu zeigen, dass wir in der Lage und bereit sind, uns zu verteidigen, dann ist es für einen potenziellen Angreifer möglicherweise sehr viel leichter, zu entscheiden: Das riskier' ich, die verteidigen sich ja eh nicht."

Der Schlagabtausch

Caren Miosga zeigte sich am Sonntagabend sehr forsch und unnachgiebig in ihren Fragen, insbesondere dann, wenn es um Fragen ging, die Pistorius aus Geheimhaltungsgründen nicht detailliert beantworten wollte. Zum Beispiel zur Aussage Putins, die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern sei "ein direktes Hineinziehen Deutschlands in einen bewaffneten Konflikt mit der russischen Föderation". Darauf angesprochen erklärt Pistorius: "Ich verstehe gar nicht, was er sagt." Es stimme vieles nicht, was Putin da sage. Was genau, wollte Pistorius nicht verraten, erklärt stattdessen: "Zur Taurus-Frage ist wirklich alles gesagt." Er sei nicht Multiplikator von Putins Botschaften, das sei genau das, was dieser wolle.

Daraufhin will Miosga Pistorius mit seinem Zitat von vor ein paar Tagen konfrontieren, er wolle Taurus nicht schicken. "Das habe ich nicht gesagt", antwortet Pistorius. Er sei gefragt worden: "Ziehen Sie aktuell in Betracht, den Taurus zu liefern?" Daraufhin habe er "nein" gesagt. "Ich ziehe es derzeit nicht in Betracht, mehr gibt es dazu nicht zu sagen, Frau Miosga. Bleibt auch dabei", geht Pistorius in die Offensive, als Miosga sich für eine Nachfrage sammelt.

Als Miosga weiter nachfragen will, bleibt Pistorius stur: "Ich hab nichts ausgeschlossen. Ich hab auch nichts zugesagt. Ich habe gesagt: Ich ziehe das derzeit nicht in Betracht." Miosga atmet tief und hörbar aus – verständlicherweise, denn Pistorius muss natürlich genau wissen, worauf die Moderatorin hinaus will. Gleichzeitig weiß natürlich auch Miosga, dass Pistorius nichts über eine möglicherweise bereits erfolgte, eine kommende oder eine vielleicht nie kommende Taurus-Lieferung sagen wird. Die Wortklauberei hat also lediglich Unterhaltungswert.

Die Offenbarung

Dass die Kreiswehrersatzämter abgeschafft wurden, ist bekannt, aber damit gingen auch die Meldedaten der Reservisten verloren. Für Pistorius ein eklatantes Versäumnis seiner Ministervorgänger seit 2011: "Ich habe vorgefunden, dass es weder eine Wehrerfassung gibt, noch eine Wehrüberwachung. Das ist übrigens eigentlich ein Skandal, weil es nämlich bedeutet, dass wir im Ernstfall, also wenn wir angegriffen würden, gar keine Reserve einziehen könnten, weil wir weder Namen noch Adressen haben."

Das Zitat des Abends

Als Miosga fragt, ob nach der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an Südkorea dort nun deutsche Ausbilder tätig seien, will Pistorius nicht antworten. Miosga lacht, erklärt Pistorius’ Verweis auf Geheimhaltung ein wenig zur Ausrede, doch da widerspricht der Minister: "Wir erwecken jetzt den Eindruck, dass das ein Spiel wäre. Aber tatsächlich müssen wir wieder lernen, mit militärischen, sicherheitsrelevanten Geheimnissen auch wieder so umzugehen. Das konnten wir mal in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren. Wir haben uns das komplett abgewöhnt und glauben, jeder habe jederzeit das Recht, in der Öffentlichkeit über alles Bescheid zu wissen und nachfragen zu können. Dem ist aber nicht so, weil dann könnten wir die Informationen auch gleich per Mail an Putin schicken."

Die Erkenntnis

Die Zustände in der Bundeswehr, von der Anzahl der Soldaten über die Attraktivität bis hin zur Infrastruktur, sind derzeit nicht kriegstüchtig, weil man aus einer langen Zeit des Friedens kommt, in der man nicht an Kriegstüchtigkeit gedacht habe, lautet eine der Erkenntnisse an diesem Sonntagabend. 30 Jahre in drei Jahren rückgängig zu machen, sei nun eine "Herkulesaufgabe", die zweite. Pistorius arbeite aber daran – mit Hochdruck und Optimismus. Ob man dann 2029 kriegstüchtig sei, auch ohne die Amerikaner, greift Caren Miosga dementsprechend am Ende noch einmal ihre Eingangsfrage auf.

"Die Nato-Partner in Europa sind stark, aber wir brauchen nach wie vor insbesondere, was die nukleare Abschreckung angeht, die Amerikaner", antwortet Pistorius. Dass sich an deren Bereitschaft etwas ändere, zeichne sich nicht ab. Man sei auch als Nato ohne die USA stark, nur jetzt noch nicht, aber hoffentlich 2029, spätestens 2030. Trotzdem dürfe nicht der Eindruck entstehen, "wir würden die Amerikaner nicht wollen oder brauchen."

Teaserbild: © ARD/Claudius Pflug