Mit Ernennung von Dorothee Bär zur Ministerin für Forschung und Raumfahrt geht Deutschland offenbar Schritte Richtung Weltall. Ein Branchenvertreter begrüßt die neue Sichtbarkeit des Themas, stellt aber Fragen zur Finanzierung und den wirklichen Ambitionen. Bär träumt zwar von deutschen Astronautinnen auf dem Mond, doch die Budgets sind im Vergleich zu den USA gering.
Der Spott kam prompt: Kaum war Ende April bekannt, dass Deutschland erstmals ein Ministerium für Raumfahrt erhält, wurde die designierte Ministerin
Noch mehr Häme gab es, als Bär ankündigte, sie wünsche sich deutsche Astronauten auf dem Mond, am besten eine Frau.
"Das Thema Raumfahrt muss endlich Top-Priorität haben", sagte Bär dann Mitte Mai im Bundestag in der ersten Rede als Bundesministerin für Forschung, Technik und Raumfahrt.
"Raumfahrt taucht jetzt im Namen des Ministeriums auf. Das erhöht die Schlagkraft und Effizienz, setzt Kräfte frei." Ist dem so? Will Deutschland zum Mond? Ist alles nur ein PR-Gag? Die Branche freut es jedenfalls.
Satelliten nicht nur im Kriegsfall wichtig
"In der Raumfahrt sind alle froh, dass das Thema endlich prominent vertreten ist", sagt Magnus von Cramm vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) unserer Redaktion.
Wenn man in die USA schaue, auf die Ukraine und Russland, wundere man sich, warum das so lang gedauert habe. "Raumfahrt ist längst Schlüsseltechnologie für unsere Verteidigung und Sicherheit."
Technologien wie Satelliten sind nicht nur im Kriegsfall wichtig für Überwachung und Aufklärung. 66 Prozent von ihnen sind in US-Hand, auch von Privatfirmen. Die deutsche Abhängigkeit ist hoch.
Nächstes Jahr erste Mondmission seit 1972
Doch auch die Fachleute waren überrascht: "Wir hatten im Bundestagswahlkampf Forderungen gestellt", sagt von Cramm. "Dass es wirklich ein Ministerium wird, hätten wir nicht gedacht." Zu Bärs Ideen sagt er: "Wir sind zuversichtlich, dass das nicht nur eine Vision für Sonntagsreden ist." Pläne für Raum- und Mondfahrten müsse die Politik jetzt mit Budgets und Vorgaben untermauern.
Es gibt ehrgeizige internationale Projekte. Deutschland ist beteiligt am Artemis-Programm der US-Weltraumbehörde Nasa, das 2026 erstmals seit 1972 wieder Astronauten zum Mond schicken will.
Zudem ist man Teil der europäischen Raumfahrtagentur Esa. "Technologisch steht die Esa der Nasa in nichts nach", sagt von Cramm. "Allerdings sind die Budgets in den USA ganz andere."
Wäre das Geld für Bildung besser ausgegeben?
80 Milliarden Euro gehen dort jährlich in nationale Raumfahrt, in Deutschland 300 Millionen Euro. "Nur das muss man in Kontext setzen", sagt von Cramm. Die Bundesregierung zahle auch in die Esa ein, habe bisher etwa vier Milliarden Euro ausgegeben. "Ein Aufschlag auf sechs Milliarden Euro wäre ein Anfang und ein Zeichen an die europäischen Partner, dass alle mehr ausgeben müssen", fordert er.
Bär verwies jüngst auf die Verhandlungen über den Bundeshaushalt, aber deutete eine Erhöhung der Anteile an der Esa an. Bisher hält Deutschland da 21 Prozent, die meisten aller 23 Mitgliedstaaten.
Das dürfte teuer werden. Warum so viel Geld ausgeben, wenn es hier unten so viele Probleme gibt? Das Forschungsministerium gab für die Raumfahrt das Thema Bildung ans Familienministerium ab.
Roboter statt bemannter Raumfahrt?
Eine Abwertung für Schulen und Universitäten, in denen das Geld besser investiert wäre als im All? "Das gegeneinander auszuspielen, halte ich für nicht hilfreich", sagt von Cramm. Raumfahrt könne wiederum Jugendliche für Naturwissenschaften begeistern, für technische Berufe. "Raumfahrt ist zudem wichtig, weil sie viele Technologien vorantreibt, die wir im Alltag nutzen."
GPS-Navigation für Handy und Auto, Fernseh-, Internet- und Mobilfunksignal, Wettervorhersage: Vieles wäre ohne Satelliten und Weltraumforschung schwer denkbar. Zudem wird weiter geforscht. Dafür brauche es weiterhin Astronauten, auch wenn Kritiker bemannte Raumfahrt zu teuer nennen. "Der Mensch vor Ort bleibt wichtig, man kann nicht alles mit Robotern ersetzen", sagt von Cramm.
Erste deutsche Rakete stürzt nach Sekunden ab
Auch der hohe CO2-Ausstoß ließe sich rechtfertigen, weil dort auch für das Klima geforscht werde. Nur muss man bedenken, dass von Cramm, wie jeder Raumfahrt-Experte, nicht unbefangen spricht.
Es geht für alle um viel Geld. Die deutsche Raumfahrtindustrie mit etwa 10.000 Arbeitsplätzen hat einen Umsatz von drei Milliarden Euro, das Wachstumspotential wird auf eine Billion Euro geschätzt.
Von Cramm nennt Studien, die sagen, dass sich jeder in Raumfahrt investierte Euro verdreifache. Doch Nachhol- und Investitionsbedarf wären riesig. Von 259 Raketenstarts im Jahr 2024 führte die USA die Hälfte durch, die EU drei. Ein Schwerraketenstart kostet die Nasa eine Milliarde Dollar. Im März stürzte die erste deutsche Rakete Spectrum, 400 Millionen Euro teuer, nach Sekunden ab.
Will Markus Söder nur PR und Fördergelder für Bayern?
Die Ampel-Koaliton hatte die Budgets noch gekürzt, auf privatwirtschaftliches Engagement gesetzt. "Es gibt viele Start-ups in Deutschland, die neue Lösungen zur Raumfahrt entwickeln", sagt von Cramm. Aber um solche Innovationen zu fördern, brauche es eine stabile Markt- und Auftragslage. "Wenn der Staat nicht investiert, wie in den USA, ziehen auch die Risikokapitalgeber nicht nach."
Über dem gesamten Projekt Raumfahrt-Ministerium geistert ein Name:
Anreiz: Mehr Unabhängigkeit von Elon Musk
Von Cramm stimmt nicht zu. "Viele Bundesländer sind in der Raumfahrt aktiv, nicht nur Bayern." Bremen sei ein Hotspot, Nordrhein-Westfalen habe einen Raumfahrtbotschafter ernannt. Dorothee Bärs Bilanz als Staatsministerin für Digitalisierung, als sie von Flugtaxis träumte, war mau. Für von Cramm ist sie "die richtige Wahl, weil sie öffentlichkeitswirksam mit dem Thema umgehen kann".
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Es sei hilfreich, wenn mehr über Raumfahrt geredet wird, die durch
Ein Anreiz, mehr zu investieren, wäre eine mögliche bemannte europäische Mondmission. "Wer am meisten investiert und mitentwickelt, hat Einfluss darauf, aus welchem Land Astronauten kommen." Der erste Deutsche auf dem Mond ist theoretisch denkbar. Oder die erste, als erste Frau überhaupt.
Zum Gesprächspartner:
- Magnus von Cramm ist Leiter Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI). Zuvor beschäftige er sich im Bundestag als Abgeordneten-Mitarbeiter mit Luft- und Raumfahrtfragen. Im Anschluss leitete er das Berliner Büro der Ariane Group, die unter anderem die Ariane-Trägerrakete baut.
Verwendete Quellen:
- x.com: Raumfahrt-Ministerin Dorothee Bär mit Generalsekretär Gordon Shumway
- x.com: Raumfahrt für 7+
- bild.de: Dorothee Bär will Frauen auf den Mond schicken
- bmbf.de: Dorothee Bär: Fokus auf Zukunfts- und Schlüsseltechnologien
- statista.com: Anzahl der Satelliten im All verteilt nach führenden Ländern
- tagesschau.de: NASA verschiebt Mondflug erneut
- statista.com: Staatsausgaben für Raumfahrtaktivitäten in den Jahren 2022 bis 2024
- wiwo.de: Länder-Regierungschefs fordern Milliarden für die Raumfahrt
- deutschlandfunk.de: Bär will höheren Anteil Deutschlands an Raumfahrtorganisation ESA
- statista.com: ESA: Deutschland leistet den größten Beitrag
- space-economy.esa.int: Value created by ESA's Future Earth Observation Pillar
- tagesspiegel.de: Neues Raumfahrt-Ministerium: Bayerischer Größenwahn – oder smarte Idee?
- spektrum.de: 'SpaceX zwingt uns zum Nachdenken'
- tagesschau.de: Deutsche Rakete nach erfolgreichem Start abgestürzt
- tagesschau.de: Warum Verbände mehr Geld für den Weltraum fordern
- br.de: Söder und die Raumfahrt: Viel Show oder gut für Bayerns Zukunft?
- zeit.de: Raumschiff Deutschland
- br.de: Flugtaxis: Spott im Netz für künftige Digitalministerin Bär
spiegel.de: Irrlichternder Dominator - zdfheute.de: Europa enorm abhängig von Musk - auch im All
- senatspressestelle.bremen.de: Bremen wird Austragungsort der ESA-Ministerratskonferenz 2025