"Von allem zu wenig", trotz Sondervermögen und Zeitenwende: Ihre Generalkritik am Zustand der Bundeswehr hat die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) im Bundestag am Donnerstag wiederholt. Bei der Debatte über ihren Wehrbericht 2022 betonte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) den Umbau seines Ministeriums – und den Kampf gegen Rechtsextremismus.
Erntete der Jahresbericht zur Bundeswehr bis dato oft Schulterzucken oder Spott für die kaputte und fehlende Ausrüstung sowie die maroden Kasernen, hat sich sein Stellenwert mit dem Ukraine-Krieg drastisch verändert. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, kritisierte in ihrem jüngsten Bericht das langsame Tempo hin zu einer vollständigen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.
"Zwar sind die ersten Projekte auf dem Weg. Doch ist bei unseren Soldatinnen und Soldaten 2022 noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen. Zu behäbig ist das Beschaffungswesen", schrieb die SPD-Politikerin Mitte Februar. Sie stellte fest: "Die Lastenbücher der Truppe sind voller geworden, die Bekleidungskammern, Munitionsdepots und Ersatzteillager hingegen nicht." Nun wiederholte sie ihre Kritik im Bundestag.
70 Mal besuchte die Wehrbeauftragte die Truppe
Doch zuerst dankte Högl den deutschen Soldatinnen und Soldaten. "Wir können wirklich stolz auf Sie sein." Noch nie sei die Bundeswehr so gefordert gewesen wie jetzt. Das habe sie auch bei ihren 70 Truppenbesuchen im In- und Ausland gemerkt.
Doch gerade der Angriffskrieg in der Ukraine zeigt laut der Wehrbeauftragten: "Wir haben von allem zu wenig. Es ist gut, dass wir das Sondervermögen haben. Aber im vergangenen Jahr wurde nichts davon ausgegeben." Sie hoffe, dass 2023 mehr auf den Weg gebracht werde. Statt der 100 Milliarden brauche es 300 Milliarden Euro, um alle Fehlbestände auszugleichen.
Ebenso betonte Högl eine Priorisierung der Einsätze. "Die Soldaten können nicht alles gleichzeitig machen, wie es gegenwärtig der Fall ist, das geht nicht." Es brauche klare Vorgaben, etwa für Ziele und Dauer. "Sie verdienen unseren Dank und die volle Unterstützung und deshalb die allerbesten Rahmenbedingungen."
Pistorius: "Wir müssen besser werden"
Dem stimmte Verteidigungsminister
Diese macht sich auch im Verteidigungsministerium bemerkbar: Der seit Januar tätige Verteidigungsminister will die Strukturen und Abläufe anpassen. "Ich habe viel gelernt, mir ein Bild von allem gemacht", sagte er. Egal, mit wem er dabei gesprochen habe, es seien sich alle einig gewesen: "Angesichts der Herausforderungen müssen wir besser werden."
Das liege nicht an der Arbeit der Frauen und Männern im Ministerium, sondern an den Strukturen und Abläufen. Es werden dabei nicht mehr Posten geschaffen, denn das Ziel der "Neuaufstellung" sei es, schneller und sichtbarer in den Erfolgen zu werden. "Wir befinden uns am Anfang einer großen Anstrengung", sagte Pistorius. Diese bestehe aus vier großen Baustellen.
Erstens werde man der Ukraine so lange helfen, "wie es nötig ist". Dann gelte es, die Bundeswehr besser zu machen. Die Kampfbereitschaft soll sichergestellt werde, um keinen "Kaltstart" im Falle eines Angriffs hinzulegen. "Vor anderthalb Jahren haben sich bei diesen Worten noch viele erschreckt. Jetzt liegt seit der Zeitenwende ein Brennglas auf der Bundeswehr." Als dritte Baustelle nannte er Militärbündnisse. Man müsse wieder in großen Zeiträumen und Bündnissen denken.
Zum Schluss ging es wieder ums Geld. "Verteidigung ist teuer, aber die Sicherheitslage wird immer schwieriger", sagte der SPD-Politiker. Neben Russland gebe es auf der Welt auch Aggressoren im Sudan und Mali; Länder, die er kürzlich besuchte.Auch mit Hinblick auf immer mehr Cyberattacken versprach Pistorius: "Zwei Prozent sind und bleiben unser Ziel für Verteidigung." Mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben, ist das vereinbarte Ziel der Nato-Staaten.
Mehr Tempo beim Kampf gegen Rechtsextremismus
Mehr Tempo versprach Pistorius auch im Kampf gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Dazu kündigte er in Kürze eine Änderung des Soldatengesetzes an. Man werde die Bedingungen verbessern, um diejenigen, die "nachweislich gegen unsere Verfassung arbeiten und sie ablehnen, schneller aus dem Dienst entfernen zu können", sagte er. Der überwiegende Teil der Truppe stehe jedoch fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Details nannte er nicht.
Teile der Opposition kritisierten das Sondervermögen als "Märchen" der Bundesregierung. Man habe bisher nichts davon gesehen. "Wir warnen vor einem Weiter so. Das zweite Jahr der Zeitenwende darf nicht so verschlafen werden wie das erste“, sagte Kerstin Vieregge von der Union.
Da es alleine 30 Milliarden Euro für Munition brauche, seien die veranschlagten 100 Milliarden Euro nur "Geld für ein Notpflaster". Dreimal so viel sei nötig. "Wir wünschen Ihnen viel Kraft und Glück bei den Haushaltsverhandlungen, Herr Pistorius", sagte Vieregge an den Verteidigungsminister gewandt.
Grüne fordern mehr Gleichstellung
Während die AfD seinem Ministerium vorwarf die Bundeswehr mit „Gendersternchen und einem kleinen bisschen Flecktarn" zu ideologisieren, forderte Merle Spellerberg von den Grünen: "Geld allein macht nicht attraktiver. Es braucht auch Gleichstellung." Viele Soldatinnen würden Sexismus erleben, es gebe mehr als 50 Fälle von Übergriffen, die allein 2022 aufgenommen worden seien. Neben mehr physischer und psychischer Versorgung nach den Einsätzen, erinnerte sie auch an die Tausenden muslimischen Soldatinnen und Soldaten sowie die fortlaufende Bedrohung durch Rechtsextremismus. "Gerade in Sicherheitsbehörden ist das noch gravierender, auf Grund der Relevanz der Institutionen."

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