Er hat die Zeitenwende ausgerufen, Deutschland durch die Energiekrise geführt. Doch er blieb für viele Menschen wenig greifbar. Jetzt geht seine Kanzlerschaft zu Ende. Was hat Olaf Scholz für das Land erreicht, was hat er versäumt? Wir haben Wegbegleiter und Kritiker gefragt.

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Es ist ein Abschied auf Raten: Schon seit der Bundestagswahl am 23. Februar trifft Olaf Scholz (SPD) keine wichtige Entscheidung mehr, ohne sich mit seinem designierten Nachfolger Friedrich Merz (CDU) abzustimmen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Scholz bereits offiziell entlassen. Seither ist er nur noch geschäftsführend im Amt. Am Dienstag dürfte auch damit Schluss sein. Dann wird Merz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum neuen Bundeskanzler gewählt.

Zeit, zu resümieren. Was hat Olaf Scholz für Deutschland erreicht, was hat er versäumt? Was bleibt von seiner Kanzlerschaft?

Strack-Zimmermann wirft Scholz "durchwursteln" vor

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) darf man getrost zu seinen schärfsten Kritikerinnen zählen. Als sie im vergangenen Jahr vom Bundestag ins EU-Parlament wechselte, sagte sie laut "Südkurier", Scholz werde wohl "drei Kreuze machen", dass er sie in Berlin los ist.

Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses hat sie Deutschlands Unterstützung für die Ukraine wieder und wieder als unzureichend gegeißelt. Auf unsere Anfrage sagt sie: "Olaf Scholz' Kanzlerschaft stand unter keinem guten Stern. Sie war geprägt vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, mit all den dramatischen wirtschaftlichen, sicherheitsrelevanten und gesellschaftlichen Folgen." Statt mutig zu führen, habe Scholz versucht, sich "geräuschlos durchzuwursteln". "Mit der 'Zeitenwende', wie er die Lage ja selbst treffend bezeichnet hat, reichte das aber nicht mehr."

Olaf Scholz und Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Verteidigungsausschuss
Nicht immer so harmonisch: Olaf Scholz und Marie-Agnes Strack-Zimmermann 2022 im Verteidigungsausschuss. © dpa/Michael Kappeler

Während Scholz zurückhaltend auftritt, ist Strack-Zimmermann selten um markige Worte verlegen. Auch zum Abschied: von Versöhnlichkeit keine Spur. Was bleibt, sei seine "fast kindliche Sturheit, gepaart mit Ignoranz und sich selbst überschätzender Arroganz", sagt sie. "Sein Narrativ, er sei der einzig 'Besonnene', haben ihm nicht einmal mehr seine eigenen Parteifreunde abgenommen. Der Einzige, der daran glaubte, war vermutlich er selbst."

Hamburgs Bürgermeister Tschentscher wird Scholz vermissen

Der Erste Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher (SPD), zählt zu den jahrelangen Weggefährten von Olaf Scholz. Als Genosse und ehemaliger Finanzminister in den Senaten Scholz I und II hat Tschentscher von 2011 bis 2018 eng mit ihm zusammengearbeitet, bevor Scholz das Amt des Ersten Bürgermeisters der Hansestadt an Tschentscher übergab und unter Angela Merkel (CDU) ins Finanzministerium nach Berlin wechselte.

Peter Tschentscher und Olaf Scholz
Olaf Scholz (l.) war Bürgermeister von Hamburg, Peter Tschentscher folgte ihm nach. © dpa/Kay Nietfeld

Mit Blick auf Scholz' Amtszeit als Bundeskanzler sagt Peter Tschentscher auf Anfrage unserer Redaktion: "Olaf Scholz hat Deutschland in einer schwierigen politischen Konstellation sicher durch schwere Krisen geführt." Dabei habe Scholz auf eine "beeindruckende politische Erfahrung" zurückgreifen können, mit der er schon in Hamburg vieles in die Wege geleitet und erreicht habe, sagt Tschentscher. "Seine entschlossene, auf Vernunft und Analyse beruhende Politik wird fehlen."

Klara Geywitz: Scholz hat Frieden gesichert

Auch Klara Geywitz gehört zu den Wegbegleitern des scheidenden Kanzlers: 2019 bewarb sie sich zusammen mit Scholz in einer Doppelspitze um den Bundesvorsitz der SPD. Die beiden scheiterten zwar, doch die Brandenburgerin blieb an der Seite von Scholz. Nach seinem Wahlsieg holte er Geywitz als Bundesministerin für Wohnen und Bauwesen in sein Kabinett.

Wollten 2019 gemeinsam SPD-Vorsitzende werden: Olaf Scholz und Klara Geywitz. © dpa/Bernd von Jutrczenka

"In der letzten Legislaturperiode wurde so viel in bezahlbares Wohnen investiert, wie seit Jahrzehnten nicht mehr", sagt Geywitz unserer Redaktion. Das sei auch das Verdienst von Olaf Scholz. Auch darüber hinaus lobt sie den scheidenden Kanzler. Scholz habe zugehört und sich im ganzen Land in Bürgerforen den Fragen der Menschen gestellt. "Er hat die Zeitenwende ermöglicht, unseren Frieden gesichert und der Ukraine den Rücken gestärkt", sagt Geywitz.

AfD-Chefin Weidel: "Scholz-Jahre waren verlorene Jahre"

Dass Alice Weidel die Kanzlerschaft von Olaf Scholz negativ bewertet, verwundert nicht. Ideologisch trennen die AfD-Vorsitzende und Scholz Welten. Im Bundestag ließ Weidel keine Gelegenheit aus, um mit der Ampel abzurechnen. Und mit Scholz. An ihrem Blick auf den Regierungschef hat sich seitdem nichts geändert.

Olaf Scholz (v.) und AfD-Chefin Alice Weidel im Bundestag
Olaf Scholz (v.) und AfD-Chefin Alice Weidel: keine Freunde. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS/Ebrahim Noroozi

"Die dreieinhalb Kanzlerjahre des Olaf Scholz waren verlorene Jahre für Deutschland", sagt sie auf Anfrage unserer Redaktion. Scholz stehe für Wirtschaftskrise, eine verfehlte Energiewende, ungesteuerte Migration und zerrüttete Staatsfinanzen. Weidel spricht von einer "Kanzlerschaft der versäumten Möglichkeiten".

Deutschland habe einen dramatischen Ansehensverlust in Europa und der Welt erlitten, sagt sie. Positiv anzurechnen sei Scholz lediglich, "dass er sich der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an Kiew und damit der möglichen Eskalation des Ukraine-Kriegs zum dritten Weltkriegs bis zuletzt widersetzt hat".

Sahra Wagenknecht: "Scholz war der schlechteste Kanzler aller Zeiten"

Noch deutlicher fällt die Kritik von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht aus. "Olaf Scholz war der wohl schlechteste Bundeskanzler, den die Bundesrepublik bisher hatte", sagt sie unserer Redaktion. Schon der Beginn der Amtszeit verlief aus ihrer Sicht schlecht mit "Corona-Autoritarismus und Impfdruck". Wie Weidel kritisiert auch die BSW-Chefin hohe Energiepreise und die "Implosion der deutschen Industrie". Wagenknecht: "Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist in Scholz' Regierungszeit ärmer geworden."

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht und Olaf Scholz im Bundestag
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht (r.) trauert der Kanzlerschaft von Olaf Scholz (M.) nicht hinterher. © picture alliance / dts-Agentur

Auch wenn der Noch-Kanzler "sich zumindest der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern bis zum Schluss verweigert hat", stehe Scholz doch "für eine seit dem Ende des Kalten Krieges beispiellose Aufrüstung und Kriegsrhetorik" und "endlose Waffenlieferungen" an die Ukraine.

Linken-Politiker Bartsch: "Problemstau" wird bleiben

Die Wege von Olaf Scholz und Dietmar Bartsch (Linke) kreuzen sich seit mittlerweile 27 Jahren immer wieder. 1998 zog der Linken-Politiker erstmals in den Bundestag ein, damals noch für die PDS. Scholz, für die SPD, ebenfalls. Die Bilanz, die Bartsch Scholz‘ Wirken ausstellt: bescheiden.

Linken-Politiker Dietmar Bartsch (l.) und Olaf Scholz
Linken-Politiker Dietmar Bartsch (l.) und Olaf Scholz: Hier nicht auf Augenhöhe. © dpa/Bernd von Jutrczenka

"Olaf Scholz konnte die Versprechen, die er gegeben hat, nicht einlösen." Bartsch nennt in diesem Zusammenhang die Kindergrundsicherung oder das Klimageld. Dennoch: "Scholz hat versucht, einiges vernünftig umzusetzen. Aber die Ampel-Koalition war, wenn wir ehrlich sind, mit den handelnden Personen von vornherein zum Scheitern verurteilt."

Aus Sicht von Bartsch gibt es kaum ein Thema, auf das Scholz mit Stolz zurückblicken kann. Der Linken-Politiker geht außerdem davon aus, dass selbst Scholz mehr von seiner Kanzlerschaft erwartet hätte. "Was von ihm bleiben wird, ist ein Problemstau im Land und in der SPD. Es wurden auch Themen vorangetrieben wie die E-Patientenakte – letztlich fehlte mir aber überall die Konsequenz."

Eine sozialdemokratische Kanzlerschaft müsse zudem das Ziel haben, "den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu befördern", findet Bartsch. Das aber sei nicht passiert. "Es gibt mehr Milliardäre, mehr Vermögensmillionäre und eine 20-Prozent-AfD im Parlament: Das Ergebnis der Kanzlerschaft ist letztlich kein gutes."

Franziska Brantner vermisste Führung beim Kanzler

Mit den Grünen hat Olaf Scholz gemeinsam regiert. Auch ihr Fazit fällt zwiespältig aus. Russlands Angriffskrieg habe Deutschland und Europa auf eine harte Probe gestellt, sagt die Parteivorsitzende Franziska Brantner unserer Redaktion. Als Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium hat sie viele Stunden neben Scholz auf der Regierungsbank gesessen.

Kennen sich von der Regierungsbank: Franziska Brantner und Olaf Scholz. © picture alliance / M. Popow

"Auch wenn die Unterschiede zwischen den Parteien teils groß waren, haben wir als Regierung vieles gemeinsam erreicht, aber uns zu häufig öffentlich gestritten", sagt Brantner. Man habe etwa die Abhängigkeit von russischem Gas überwunden und die Ukraine unterstützt. "Dennoch bleibt der Eindruck, dass es Olaf Scholz immer wieder an der nötigen Entschlusskraft und Führung mangelte und er in entscheidenden Momenten nicht beherzt genug handelte", findet Brantner.

Die Grünen-Chefin findet: "Seine oft vage Kommunikation, das späte Reagieren und das Ausbleiben klarer strategischer Führung haben Vertrauen gekostet – sowohl im Inland als auch bei europäischen Partnern."

Wird Scholz dennoch als "Zeitenwende-Kanzler" in die Geschichte eingehen? Das bleibt nach Einschätzung von Brantner abzuwarten. "Am Ende hat er es nicht geschafft, zentrale Partnerschaften auszubauen und mit klaren Worten und der nötigen Führungskraft in Europa voranzugehen. Dies ist nun eine der vielen großen Aufgaben, vor denen sein Nachfolger Friedrich Merz steht."

CDU-General Linnemann fällt zu Scholz nichts ein

Die nächste Bundesregierung wird die CDU anführen. Dort macht man sich über die nahe Vergangenheit offenbar keine Gedanken mehr.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fällt auf mehrere Anfragen unserer Redaktion nichts ein, was er zur Kanzlerschaft von Scholz zu sagen hat.

So geht es für Scholz nach der Kanzlerschaft weiter

Wie Olaf Scholz selbst zurückschaut? Angela Merkel und mancher ihrer Vorgänger haben sich nach Ende ihrer Kanzlerschaft an ihre Memoiren gemacht. Scholz dürfte dafür erst mal keine Zeit haben. Er hat im Wahlkreis Potsdam und Umgebung das Direktmandat gewonnen und will die nächsten vier Jahre als einfacher Bundestagsabgeordneter weitermachen. Trotz seiner 66 Jahre hat Scholz offenbar noch kein Bedürfnis nach Ruhestand. Und nicht genug von der Politik.

Verwendete Quellen