Die Regierung Netanjahu zeigt sich in Gaza erbarmungslos. Wo steht Deutschland als enger Verbündeter Israels und angesichts seiner Historie? Außenpolitiker versichern Israel weiterhin ihre Solidarität. Aber auch bei ihnen nehmen Sorgen und Kritik zu.
"Deutschland ist heute der wichtigste Verbündete Israels in Europa", hat Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, jüngst gegenüber unserer Redaktion klargemacht. 80 Jahre nach dem Holocaust verbindet die Länder eine enge Freundschaft. Ein Wunder, sagt mancher. Andere nennen es das Ergebnis der Bemühungen vieler Politiker und Bürger auf beiden Seiten.
So oder so: In diesen Tagen liegt eine Schwere in dieser Verbindung. Denn Israel führt Krieg in Gaza, mit einer Härte, die auch immer mehr Verbündete als unangemessen empfinden. Die Palästinenser sprechen von über 50.000 Toten. Zwar lässt sich die Zahl nicht unabhängig überprüfen, doch die Vereinten Nationen halten sie für glaubwürdig und gehen davon aus, dass mehr als zwei Drittel davon Frauen und Kinder sind.
Bundeskanzler ist "mehr als besorgt"
Ein Großteil des Gebiets liegt in Trümmern. 90 Prozent der rund zwei Millionen Einwohner sind auf der Flucht, ein Viertel akut von einer Hungersnot bedroht. Es gibt kaum noch medizinische Versorgung. Ärzte operieren ohne Narkose, wenn überhaupt. Hilfslieferungen mit Lebensmitteln und Medikamenten wurden länger gar nicht und zuletzt nur zögerlich über die Grenze gelassen.
Die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien und Kanada sprachen jüngst von einer "völlig unverhältnismäßigen Eskalation". Bei Kanzler
Darf man als deutscher Politiker nicht klarer werden? Oder muss man es gerade? Wie umgehen mit Antisemitismus, wie mit potenziellen Völkerrechtsverstößen Israels? Wir haben uns unter deutschen Außenpolitikern umgehört.
"Wir müssen aufpassen, dass die Hamas-Führung im Ausland aus einer militärischen Niederlage der Hamas keinen politischen Sieg macht, indem sie die Herzen der Menschen weltweit vergiftet."
Forderungen an Israels Regierung
Deutschlands besondere Verantwortung beim Schutz jüdischen Lebens weltweit stellen alle heraus. "Diese Verantwortung endet nicht an der Grenze zu Gaza", betont die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Deborah Dürig. "Wir müssen aufpassen, dass die Hamas-Führung im Ausland aus einer militärischen Niederlage der Hamas keinen politischen Sieg macht, indem sie die Herzen der Menschen weltweit vergiftet", sagt ihr Kollege Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.
Von den Bürgern hierzulande erwartet er mehr Haltung oder zumindest, dass sie diese klarer kundtun: "Ich empfinde es als verstörend, wie wenige Menschen in Deutschland für echten, gerechten Frieden und die Zweistaatenlösung auf die Straße gehen und wie leicht sich Extremisten und Krawalltouristen unter vermeintliche Pro-Palästina-Demos mischen", so Hardt.
Die Herrschaft der Hamas, jener Terrorgruppe, die den Krieg mit ihrem barbarischen Angriff vom 7. Oktober 2023 ausgelöst hat, müsse natürlich beendet werden, so Hardt. Israel sei jedoch in der Pflicht, eine "ausreichende Versorgung der Bevölkerung" und "eine palästinensische Zivilverwaltung in Gaza" zu ermöglichen.
An beidem hat Israel Interesse vermissen lassen. An Israels Regierungschef
Eine doppelte Verantwortung
Adis Ahmetovic ist seit Kurzem außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er bezweifelt, dass das Vorgehen der Netanjahu-Regierung dem "obersten Ziel" nütze: der Freilassung der Geiseln, die die Hamas seit dem 7. Oktober 2023 noch immer in ihrer Gewalt hat.
Mit ihrem bisherigen Vorgehen sei die Regierung diesem Ziel nicht nähergekommen, sagt Ahmetovic unserer Redaktion. "Wenn man zurückblickt, waren diplomatische Beziehungen in den zwei Phasen der Waffenruhe am erfolgreichsten, wenn es darum ging, Geiseln freizubekommen." Sich auch von den letzten loyalen Partnern zu isolieren, könne nicht im Interesse der israelischen Regierung sein, sagt Ahmetovic. "Auch die israelische Bevölkerung will diesen Krieg mehrheitlich nicht."
"Wir müssen jüdisches Leben schützen – national, europäisch und international. Wir haben aber auch eine Verantwortung für die Einhaltung des Völkerrechts."
Ahmetovic begrüßt ausdrücklich, dass Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) täglich mit seinem israelischen Amtskollegen Kontakt hat. Er erwartet bei diesem Thema aber auch klare Worte. "Wir haben vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine doppelte Verantwortung", sagt er. "Wir müssen jüdisches Leben schützen – national, europäisch und international. Wir haben aber auch eine Verantwortung für die Einhaltung des Völkerrechts." Wenn die israelische Regierung bewusst Hilfsgüter verknappe, dann sei das völkerrechtswidrig. "Das muss Deutschland deutlich und klar kritisieren“, findet Ahmetovic.
Ähnlich sieht das Grünen-Politikerin Düring: Sie will Netanjahus Regierung Verstöße gegen das Völkerrecht auf keinen Fall durchgehen lassen. "Ich fordere die Bundesregierung auf, Völkerrechtsverstöße unmissverständlich zu benennen, sich für die Stärkung von UN-Strukturen – unter anderem bei der humanitären Hilfe – einzusetzen und rasch geeignete Konsequenzen zu prüfen."
Solidarität und Kritik: ein Balanceakt
Die Frage nach diesen Konsequenzen wird sich in den nächsten Tagen womöglich noch dringlicher stellen. Auch hier befindet sich Deutschland mit seiner besonderen Geschichte in einer schwierigen Situation.
Deutlich wurde das am vergangenen Mittwoch: Eine Mehrheit der Staaten der Europäischen Union sprach sich dafür aus, das Partnerschaftsabkommen der EU mit Israel auf den Prüfstand zu stellen. Die deutsche Bundesregierung gehörte zu der Minderheit, die sich dagegen aussprach.
Deutschland hat in Brüssel also nicht die Hand gehoben für diesen Schritt – aber es war auch kein lauter Protest aus Berlin dagegen zu vernehmen. Möglicherweise wird dieser Balanceakt weitergehen. SPD-Politiker Ahmetovic sagt jedenfalls: "Deutschland darf und wird Initiativen anderer europäischer Staaten für eine Verbesserung der Situation nicht behindern."
Hinweis der Redaktion
- Auch die AfD wurde von unserer Redaktion um eine Stellungnahme zu dem Thema gebeten. Sie hat auf unsere Anfrage aber bis Redaktionsschluss nicht geantwortet.
Verwendete Quellen
- Stellungnahmen von Adis Ahmetovic, Deborah Düring und Jürgen Hardt