Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Heute: Die wenig alltagstaugliche S-Klasse von Mercedes und pikante Gespräche von Olaf Scholz. Außerdem: SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach spricht über die aktuelle Corona-Lage und eigene Fehler in der Bewertung des Virus.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und liebe Leser,
das für Morgen geplante Treffen der Automobilindustrie im Kanzleramt wird von Prognosen überschattet, die mit dem Optimismus des Wirtschaftsministers nichts gemeinsam haben:
So steht es in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die heute vorab im „Handelsblatt“ veröffentlicht wird.
Vor allem die Situation der einstigen Industrieperle Daimler ist prekär. Es fehlen Umsätze, Gewinne und Ideen. Der Stuttgarter Automobilkonzern, der neben Mercedes auch die Marken Smart und Maybach produziert, hat aktuell drei Probleme:
Erstens: Die neue S-Klasse wirkt nicht neu, sondern alt. Vollgestopft mit digitaler Technik, die keiner braucht, zum Beispiel beheizbare Kuschelkissen und aufdringliche Duftwelten, gibt es das Auto derzeit nur als Verbrenner. Voluminös, luxuriös, adipös, spottet der „Spiegel“.
Für die „Süddeutsche Zeitung“ ist dieses Auto eine „Innovation mit Makel“:
Zweitens: Damit bedeutet dieses Auto am Vorabend einer schwarz-grünen Bundesregierung und an der Schwelle zum Zeitalter der Elektromobilität einen politischen Reputationsschaden. Der Vorstand nimmt ihn sehenden Auges in Kauf und hofft, dass wenigstens die Verkaufszahlen stimmen. Vorstandschef Ola Källenius sagt:
Drittens: Das erste Modell aus Daimlers vollelektrischer EQ-Familie ist technologisch und bei den Händlern keine Erfolgsgeschichte. Die ersten Testberichte lesen sich wie eine Gruselgeschichte von einem der auszog, aber nicht ankam. Der „Welt“-Redakteur und Autotester Nando Sommerfeldt schreibt in seinem Bericht:
Ich habe bei Nando Sommerfeldt angerufen, um mich mit ihm über seine Erfahrungen mit dem über 400 PS starken EQC zu unterhalten. Er schildert, wie seine Testfahrt zur Mutter in Mecklenburg-Vorpommern – das Auto war mit seiner fünfköpfigen Familie gut besetzt – zur Zitterpartie wurde:
Während der Fahrt musste Nando Sommerfeldt kontinuierlich das Tempo drosseln, um die Reichweite des Autos zu erhöhen:
Fazit: Der Daimler-Vorstand sollte aufwachen, bevor es zu spät ist. Die Welt braucht Elektro-Autos, die im Alltag überzeugen und nicht nur auf den Power-Point-Charts der Vorstandssitzung.
Cum-Ex-Geschäfte: Olaf Scholz als Protektor einer Hamburger Privatbank?
Einst hatte Olaf Scholz eine klare Meinung zu den sogenannten Cum-Ex-Geschäften:
Das klingt nach einer standhaften Haltung. Doch das Rückgrat des heutigen Finanzministers war womöglich im Alltag des damaligen Ersten Bürgermeisters von Hamburg beweglicher als ihm heute guttut. Die Hamburger Privatbank M. M. Warburg wurde in seiner Amtszeit vor einer hohen Steuerrückzahlung bewahrt, womöglich dank seiner Protektion. Das legen Recherchen des ARD-Magazins Panorama in Kooperation mit der ZEIT nahe. Die Steuerrückzahlung hätte die Bank an den Rand des Bankrotts gebracht. Scholz traf den damaligen Bank-Chef Christian Olearius mehrfach im Hamburger Rathaus und sprach mit ihm am Telefon. Die Bank durfte schließlich die 47 Millionen Euro behalten, die eigentlich in die Staatskasse gehört hätten.
Pikant daran: Scholz behielt die Gespräche mit dem Bank-Chef lieber für sich, statt sie den Mitgliedern des Finanzausschusses mitzuteilen. Auch auf mehrmalige Nachfrage des Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi hat Scholz im Finanzausschuss nicht die Wahrheit gesagt.
Die mittlerweile beschlagnahmten Tagebücher des Bank-Chefs erzählen eine andere Geschichte. Dort wird folgendes berichtet: Olearius überreicht Scholz den Entwurf eines Briefes an die Hamburger Finanzbehörden. Darin stellt er die Warburg-Geschäfte als rechtmäßig dar und weist darauf hin, dass die Bank in ihrer Existenz gefährdet sei, sollten Millionenrückzahlungen fällig werden.
Am 9. November habe sich Scholz laut der Tagebuchnotizen von Olearius am Telefon gemeldet und gesagt wie dieser weiter verfahren sollte:
Drei Tage später notiert der Bankchef:
Fazit: Das Parlament und zur Not auch die Gerichte müssen diesen eklatanten Fall von Steuerungleichbehandlung aufklären. Bis dahin gilt: Scholz ist verdächtig, aber nicht schuldig.
Bei Union Investment, der Investmentgesellschaft der DZ-Bank, hat ein Fondsmanager sein Insiderwissen zum privaten Vermögensaufbau genutzt. Durch ein trickreiches System von Depots außerhalb des eigenen Unternehmens hat er nach Schätzungen der Staatsanwaltschaft sich selbst einen Vermögensvorteil von rund neun Millionen Euro verschafft.
Mittlerweile sitzt der Aktienprofi in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft hat sein Vermögen arrestiert – offenbar sieht die Justiz derzeit eine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr. Dem Mann drohen im Extremfall bis zu 15 Jahre Haft. Aufgeflogen ist der Betrug dank aufmerksamer Broker anderer Institute: Ihnen erschienen die Aktiendeals des Profis als so auffällig, dass sie Anzeigen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erstatteten, die wiederum am 20. August die Staatsanwaltschaft einschaltete. Es kam zu Hausdurchsuchungen in der Privatwohnung des Managers und an seinem Arbeitsplatz bei Union Investment.
Lauterbach: Zweite Welle ist nicht vorbei
Karl Lauterbach ist SPD-Politiker, Gesundheitsökonom und seit Ausbruch der Corona-Pandemie einer der profiliertesten Begleiter der Regierung. Lauterbach wirbt seit dem Frühjahr für strenge Präventionsmaßnahmen im Kampf gegen Covid-19.
Im Gespräch mit ThePioneer-Vize-Chefredakteur Gordon Repinski spricht Lauterbach über die aktuellen Infektionszahlen in Deutschland, persönliche Erfahrungen mit Corona und eigene Fehler in der Bewertung des Virus. Im Morning Briefing Podcast sagt der 57-Jährige:
Die aktuelle Entwicklung der Fallzahlen in Deutschland kommentiert er so:
Auf die Frage, ob man bei den Fußballspielen wieder Zuschauer zulassen sollte, sagt er:
Die Lage in Schweden sieht er sehr kritisch:
Fazit: Ein ernstes Gespräch in ernster Zeit. Keine Panik, nur Fakten.
Heute im Briefing aus der Hauptstadt:
Fußball-Fans können – trotz der Ermahnung von Prof. Lauterbach – hoffen. Zahlreiche Bundesländern arbeiten an einer schrittweisen Öffnung der Stadien für Zuschauer. Ihr Argument: Wenn in Sachsen die Landesregierung 2000 Gäste zum Open-Air-Konzert einlädt, können Fußballvereine auch ein paar Tausend Zuschauer mit Abstand und Hygienekonzept ins Stadion lassen. Unter anderem Armin Laschet befürwortet diese Position, aber auch Bundesländer mit geringem Infektionsgeschehen wie Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen.
Den Kollegen vom Newsletter „Hauptstadt – Das Briefing“ liegt das Konzept der Fußballliga und des Deutschen Fußballverbands vor, über das derzeit die Staatskanzlei-Chefs diskutieren. Das Konzeptpapier befindet sich auch auf den Schreibtischen von Kanzlerin und Kanzleramtsminister Helge Braun, die sich inhaltlich noch nicht festgelegt haben.
Außerdem gibt es im Hauptstadt-Newsletter exklusive Zahlen, wie Gutverdiener im kommenden Jahr bei den Sozialversicherungsbeiträgen zur Kasse gebeten werden sollen. Wenn Sie sich den Start in die Woche nicht versauen wollen: Lieber nicht lesen. Wenn Sie tapfer sind, finden Sie alle Details hier: ThePioneer.de/hauptstadt
Landtagswahlen in NRW
In NRW findet mit den Kommunalwahlen am kommenden Wochenende ein Stimmungstest statt, der auch Auskunft gibt über den Rückhalt für Ministerpräsident Armin Laschet.
Gewählt werden, je nach Wohnort, Oberbürgermeister, Bürgermeister, Landräte sowie Stadt- und Gemeinderäte, Kreistage und Bezirksvertretungen in den kreisfreien Städten. Bei den Wahlen 2014 wurden laut Innenministerium rund 19.350 Mandate vergeben, fast 14,3 Millionen Menschen waren wahlberechtigt. Vor allem die bisherigen CDU-Rathäuser in Bonn, Münster und Aachen müssen sich der grünen Konkurrenz erwehren.
Der Ex-Chefredakteur des „Tagesspiegels“, Stephan-Andreas Casdorff, zieht eine direkte Verbindung von der Kommunalwahl zur K-Frage. Er schreibt:
Ich wünsche Ihnen einen beherzten Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr
Gabor Steingart