Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Wissen, über was politisch diskutiert wird. Heute: Ein Angebot der USA an Russland.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
die Zeichen stehen auf Krieg, könnte man meinen. Putin und sein weißrussischer Waffenkamerad Lukaschenko lieferten sich mit den westlichen Teilnehmern der Münchner Sicherheitskonferenz ein veritables Wettdrohen. Putin lässt erklären, dass Russland Nuklearwaffen an der Grenze zur Ukraine stationieren möchte.
Lukaschenko ergänzt:
Wenn aus einem Nein ein Ja wird
Inmitten dieser Kriegsrhetorik nutzte der amerikanische Außenminister Tony Blinken seinen Deutschlandbesuch auch dazu, eine verklausulierte Friedensbotschaft nach Moskau zu senden. Diese Botschaft blieb – da auch die Medien ganz auf Krieg eingestellt sind – weithin unbeachtet.
Der außenpolitische Kopf der "Süddeutschen Zeitung" Stefan Kornelius fragte Blinken im Interview: "Eine der Forderungen (Russlands, d. V.) ist der Abzug amerikanischer Soldaten von der Ostflanke der Nato. Sind Sie dazu bereit?"
Blinken antwortet in einer ersten, kurzen Antwort mit nein. Dann aber schiebt er noch einen Bandwurmsatz hinterher, der das "Nein“ in ein "Ja“ auflöst.
Dieser Satz lautet wie folgt:
Wie das US-Angebot an Russland aussieht
Im Klartext bedeutet dieser Satz das Angebot an die russische Seite, in ein Gespräch über eine neue kollektive Sicherheitsarchitektur in Europa einzutreten:
- In diesem neuen Vertrag zwischen der NATO und der russischen Föderation würde die Rüstungskontrolle eine zentrale Rolle spielen. "Rüstungskontrolle betreiben", sagt Blinken.
- Eine gegenseitige Überprüfung von Mittel- und Kurzstreckenraketen – auch solche mit atomarer Sprengladung – müsste laut Blinken Teil dieses Vertrages sein. Es geht für ihn darum, so der Vorschlag, "die Stationierung von Waffensystemen…zu überprüfen." Das bedeutet auch, sie im Bedarfsfall gemeinsam zu reduzieren.
- Alle künftigen militärischen Manöver müssten auf der Grundlage der Gegenseitigkeit einander angemeldet und durch Militärbeobachter dem jeweiligen Gegenüber transparent gemacht werden.
- Am Ende eines solchen Prozesses und damit in einer Atmosphäre des "Vertrauens“ und des verringerten "Risikos“, zwei Worte, die Blinken hier nicht zufällig benutzt, ist auch der Abzug von Soldaten an der Ostflanke der NATO denkbar: "Dann lautet die Antwort: ja."
Fazit
Vielleicht wäre es schlauer gewesen, dieses westliche Angebot auf offener Bühne und in großer Klarheit zu präsentieren anstatt es in einem Interview zu verstecken, zugänglich nur für sicherheitspolitische Feinschmecker. Im Getöse der Kriegstrommeln gehen die feineren Töne schnell unter.
Die Medien ihrerseits täten gut daran, sich in dieser angespannten Situation nicht als Trommler des Krieges, sondern als Seismografen der Vernunft zu betätigen. Der große Krieg, das weiß heute jedes Kind, beginnt nicht mit dem ersten Schuss, sondern beginnt mit dem lustvollen Schüren von Kriegsbereitschaft im Namen der Wahrheit. Oder um es mit Kurt Tucholsky zu sagen:
Ich wünsche Ihnen einen fulminanten Start in eine womöglich nicht ganz leichte Woche.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Gabor Steingart