Tunesien soll zukünftig eine Schlüsselrolle in der europäischen Migrationspolitik spielen. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser wirbt bei ihrem Besuch für ein Migrationsabkommen mit dem Küstenstaat. Damit könnten künftig auch Nicht-Tunesier in das Land abgeschoben werden.

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat in Tunesien Möglichkeiten für eine künftige Vereinbarung zu Migrationsfragen ausgelotet. Mit Blick auf die gefährlichen Überfahrten mit Schlepperbooten sagte die SPD-Politikerin am Montag in der Hauptstadt Tunis, ihr gehe es auch darum, "das furchtbare Sterben im Mittelmeer zu beenden".

Zuvor hatte Faeser Gespräche mit Innenressortchef Kamel Fekih und Präsident Kais Saied geführt. Dabei sei es gelungen, "Arbeitsstrukturen" zu etablieren, "auf die wir aufbauen können", sagte Faeser. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen kamen auch Menschenrechtsfragen zur Sprache.

Tunesien als "sicherer Drittstaat" im Gespräch

Die EU will Tunesien künftig als sicheren Drittstaat einstufen. Damit könnten auch Nicht-Tunesier nach Tunesien abgeschoben werden. Bedingung wäre lediglich, dass ein "Bezug" zu Tunesien besteht. Dieser wäre beispielsweise mit der Durchreise erfüllt. Aus den Reihen der Grünen wird immer wieder Kritik an der geplanten Einstufung Tunesiens als sicherer Drittstaat geäußert.

Der Nordafrika-Berichterstatter der Grünen im Bundestag, Tobias Bacherle, sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Für mich ist klar, dass sich der autokratisch regierende Kais Saied, der rücksichtslos gegen Kritikerinnen vorgeht und rassistisch gegen Migrantinnen hetzt, nicht zum Grenzpolizisten Europas eignet".

Notwendig sei vielmehr "ein gesamteuropäisches Migrationskonzept, das die Menschen in den Vordergrund stellt und die Herausforderungen nicht an autokratische Drittstaaten delegiert".

Tunesischer Präsident schürt Gewalt gegen Ausländer

Beamte der Bundespolizei, die in Tunesien seit 2015 ein Projekt für die Ausbildung und Ausrüstung der Sicherheitskräfte hat, berichten, dass Präsident Saied die Stimmung gegen Ausländer in Tunesien anheizt. Eine hetzerische Rede im Februar hatte demnach zu einer Welle von Gewalt und Schikanen gegen Ausländer aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara geführt.

In den Tagen nach der Rede des Präsidenten hätten sich praktisch keine Migranten aus diesen Ländern mehr auf die Straße gewagt. Später habe sich die Situation dann wieder entspannt.

Faeser betonte, es gehe ihr einerseits darum, Abschiebungen in das arabische Land zu erleichtern. Andererseits soll es für tunesische Arbeitskräfte mehr Möglichkeiten der legalen Erwerbsmigration nach Deutschland geben. Das und verstärkte Kontrollen der tunesischen Seite, sollen verhindern, dass Menschen in die Boote von Schleppern steigen.

Immer mehr Menschen kommen von Tunesien nach Europa

Tunesien gehört aktuell neben Belarus zu den wichtigsten Transitländern für irreguläre Migration nach Europa. Allein in den ersten fünf Monaten kamen nach Kenntnis der Bundespolizei rund 26.000 Menschen auf diesem Weg – im Vorjahreszeitraum waren es nur 4.000 gewesen. Die Gründe für die gefährliche Überfahrt sind vielschichtig. Manche fliehen vor Repression, Gewalt und Dürren. Andere hoffen auf ein besseres Leben in Europa.

Mit Indien hatte die Bundesregierung Ende 2022 ein sogenanntes Migrationsabkommen vereinbart. Georgien und Moldau sollen demnächst folgen – auch wenn die in der Bundesregierung besprochene Einstufung dieser beiden Staaten als sogenannte sichere Herkunftsländer noch etwas länger dauern könnte.

Solche Migrationsabkommen sollen einerseits die legale Einreise von Fachkräften fördern und andererseits die Rückführung von ausreisepflichtigen Menschen aus dem jeweiligen Land erleichtern.

Zwölf Jahre nach dem arabischen Frühling herrscht Ernüchterung

Tunesien war einst die Wiege des sogenannten Arabischen Frühlings, einer Serie von Aufständen, durch die 2011 mehrere langjährige arabische Machthaber hinweggefegt wurden. Der frühere tunesische Präsident Zine al-Abidine Ben Ali floh damals nach Saudi-Arabien.

Nach anfänglichen demokratischen Fortschritten machte sich in Tunesien Ernüchterung breit, unter anderem wegen der vielen arbeitslosen Jugendlichen. Tunesien braucht zudem Devisen und wirbt um ausländische Investitionen. Präsident Kais Saied regiert zunehmend autoritär.

Faeser besucht Tunesien gemeinsam mit dem französischen Innenminister Gerald Darmanin. Damit schließen sie an die Reise von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor einer Woche an. Dort stellte von der Leyen dem unter wirtschaftlichen Problemen leidenden Land zusätzliche Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro in Aussicht. An den Treffen nahmen auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Regierungschef Mark Rutte teil. (dpa/afp/lko)

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