Social Media und technologische Entwicklungen prägen zunehmend den Alltag junger Menschen. Die Lebensrealität von Schülerinnen und Schülern hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert – ebenso wie die pädagogischen Anforderungen an Lehrkräfte. Wurde der digitale Fortschritt in Deutschlands Klassenzimmern verschlafen?
Soziale Netzwerke sind aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Laut der "DAK-Suchtstudie 2025" verbringen Jugendliche in Deutschland an einem typischen Wochentag mehr als zweieinhalb Stunden auf Social Media. In Zeiten von TikTok und Instagram werden junge Nutzer an manchen Tagen mit Hunderten von Kurzvideos konfrontiert. Doch sind sie in der Lage, diese Inhalte stets korrekt einzuordnen?
Ernüchterndes Studienergebnis
Eher nicht, wie die 2023 veröffentlichte "International Computer and Information Literacy Study (ICILS)" zeigt. Die alle fünf Jahre durchgeführte Studie weist darauf hin, dass hierzulande mehr als 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler lediglich über grundlegende oder rudimentäre digitale Kompetenzen verfügen, was wiederum zu Problemen bei der kritischen Einordnung von Inhalten führt. Nur etwa ein Prozent erreichen die höchste Kompetenzstufe.
So rückt neben der Familie zwangsläufig das Bildungssystem in den Fokus. Wie werden Medien- und Digitalkompetenz in deutschen Schulen vermittelt? Und welche Voraussetzungen sind für eine wirksame digitale Bildung eigentlich gegeben?
Probleme und Herausforderungen
"Der aktuelle Stand der Digitalisierung an deutschen Schulen ist ausbaufähig", stellt Joscha Falck, Lehrer, Fortbildner, Autor und Blogger, der sich intensiv mit digitalen Themen im Bildungsbereich auseinandersetzt, im Gespräch mit unserer Redaktion fest. Es gebe viele Faktoren, die die Umsetzung digitaler Bildung erschwerten. Ein zentraler Punkt sei die Ausstattung: "In weiten Teilen der Schullandschaft ist dieses Thema noch längst nicht abgeschlossen. Noch immer gibt es zahlreiche Schulen ohne leistungsstarkes und flächendeckendes WLAN oder ohne einen ausreichenden Gerätepool", kritisiert Falck.

Diese Beobachtung wird von der "ICILS-Studie 2023" bestätigt. Demnach teilen sich in Deutschland durchschnittlich fünf Schülerinnen und Schüler ein digitales Gerät, das von der Schule zur Verfügung gestellt wird. Zudem besucht nur jeder zehnte Achtklässler eine Schule, an der adaptive Lernsysteme für Lehrkräfte und Schüler verfügbar sind (EU-weit ist es jeder Fünfte). Und: Lediglich 26,2 Prozent der Achtklässler haben an ihrer Schule Zugang zu WLAN.
Initiativen zur Förderung digitaler Bildung
Ein Blick zurück: Im Dezember 2016 präsentierte die Kultusministerkonferenz die Strategie "Bildung in der digitalen Welt", die Medien- und Digitalkompetenz verbindlich in die Curricula integrierte. Zweieinhalb Jahre später ermöglichte eine Änderung des Grundgesetzes dem Bund, die Länder finanziell bei der Verbesserung der Bildungsinfrastruktur zu unterstützen. Der "DigitalPakt Schule" stellte fünf Milliarden Euro bereit, um digitale Infrastruktur wie Tablets und WLAN an Schulen auszubauen, während die Länder und Kommunen für die Umsetzung verantwortlich sind. Die Corona-Pandemie beschleunigte die Digitalisierung im Bildungsbereich und legte gleichzeitig Schwächen in der Infrastruktur sowie bei der Lehrerfortbildung offen.
Im Dezember 2024 einigten sich der Bund und die Länder auf den "DigitalPakt 2.0", der unter der neuen Bundesregierung bis 2031 mit zusätzlichen fünf Milliarden Euro die digitale Ausstattung der Schulen und die Fortbildung der Lehrkräfte weiter vorantreiben soll.
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Medien- und Lebenskompetenz als eigenes Fach
Doch im Hier und Jetzt gibt es weiterhin Mängel. Angelika Beranek, Professorin für Medienbildung an der Hochschule München, kritisiert, dass die digitale Kompetenzvermittlung stark vom Engagement einzelner Schulen und Lehrkräfte abhängt: "Leider ist dieses Thema weder flächendeckend Teil verpflichtender Fortbildungsprogramme noch wird es in der Lehrerausbildung in dem Maße behandelt, wie es eigentlich notwendig wäre. Dadurch haben wir einen Flickenteppich aus Schulen, Regionen und einzelnen Lehrkräften, die großartige Arbeit leisten, und anderen, die sagen: ‚Hat nichts mit meinem Unterricht zu tun, steht nicht im Lehrplan, also kümmere ich mich nicht darum.‘"

Sie spricht sich des Weiteren dafür aus, Medien- und Lebenskompetenz flächendeckend in Deutschlands Schulen zu implementieren – und zwar nicht nur als übergreifendes Querschnittsthema, sondern als eigenes Fach. In diesem sollen nicht nur Alltagsfragen behandelt werden, sondern beispielsweise auch Themen wie die Wirkung digitaler Medien und ethische Fragestellungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz.
Social Media als Teil des Unterrichts
Joscha Falck ist ähnlicher Ansicht und der Meinung, dass Social Media einen eigenen Raum im Unterricht braucht, um die Gewohnheiten der Schülerinnen und Schüler zu reflektieren: "Dabei ist es wichtig, dass sie uns zeigen, was sie dort machen, denn oft sind wir als Lehrkräfte nicht nur anders sozialisiert, sondern bewegen uns selbst in ganz anderen Welten und mit anderen Inhalten, wenn wir ein TikTok- oder Instagram-Konto haben."
Der Lehrer sieht nicht nur die Politik, sondern auch seine Kolleginnen und Kollegen in der Verantwortung, wenn es um den digitalen Fortschritt geht: "Digitalisierung darf nicht als kurzfristiges Projekt verstanden werden, sondern muss mit Beharrlichkeit verfolgt werden – durch regelmäßige Angebote, durch wiederholte Thematisierung in Konferenzen und vor allem durch das Teilen von Good-Practice-Beispielen." Nur so könne man Lehrerinnen und Lehrer langfristig dazu inspirieren, digitale Innovationen auszuprobieren. "Der Königsweg liegt darin, Entlastung sichtbar zu machen. Wenn digitale Lösungen nicht nur neue Aufgaben bringen, sondern Lehrkräfte tatsächlich im Alltag unterstützen und ihnen Zeit sparen, dann entsteht echte Überzeugungskraft."
Jeder Mensch ist Medienproduzent
Auch Susanna Endres, Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und Digitale Bildung an der Katholischen Stiftungshochschule München, fordert eine verbindlichere Umsetzung digitaler Bildung und Medienkompetenz.
Sie benennt dabei einen wichtigen Punkt: "Wenn ich selbst über Medien kommuniziere, muss ich mir bewusst sein, dass meine Botschaften Wirkung haben – auf die, die sie empfangen. Das ist im digitalen Zeitalter wichtiger denn je – denn heute sind wir alle zugleich auch Medienproduzent:innen", sagt sie und betont die Wichtigkeit, junge Menschen zu befähigen, Informationen kritisch zu hinterfragen und zwischen seriösen und unseriösen Quellen zu unterscheiden.
Es ist ersichtlich: Bei der digitalen Bildung in Deutschland gibt es Nachholbedarf - aber auch Fortschritte: Laut der "ICILS-Studie 2023" hat sich der Anteil der Lehrkräfte, die digitale Medien täglich im Unterricht einsetzen, von 9,1 Prozent im Jahr 2013 auf 69,9 Prozent im Jahr 2023 signifikant erhöht. Zudem wurden in den vergangenen Jahren mehrere Initiativen ins Leben gerufen, um die digitale Bildung voranzutreiben. Ein Beispiel ist das bayerische Programm "Digitale Schule der Zukunft", das seit 2024 die flächendeckende Ausstattung von Schülern an staatlichen weiterführenden Schulen mit mobilen Endgeräten fördert.
Erfolgreiche praktische Umsetzung
Joscha Falcks Schule ist von Anfang an Teil des 2023 gestarteten Pilotprojekts, bei dem ab der fünften Jahrgangsstufe jedes Kind mit einem eigenen digitalen Gerät ausgestattet wird. "Wir arbeiten mit einer gut integrierten Lernplattform, stellen Aufgaben digital, gestalten Feedbackprozesse im digitalen Raum und erweitern die Heftführung digital auf den iPads. Unser Fokus liegt dabei immer auf der Frage: Wo können digitale Endgeräte den Lernprozess unserer Schülerinnen und Schüler sinnvoll und motivierend unterstützen?"
Bundesweit wird jährlich die Auszeichnung "Digitale Schule" von der Initiative "MINT Zukunft schaffen!" vergeben. Sie würdigt Schulen, die über ein besonders starkes digitales Profil verfügen. Bewertet werden unter anderem die digitale Lernkultur, die technische Ausstattung, die Qualifizierung der Lehrkräfte und langfristige Digitalstrategien.
Zahlreiche Projekte zur digitalen Bildung und Medienkompetenz unterstützen diese Entwicklungen. Beispiele sind der "Medienführerschein" in Bayern, ein Programm, das Schüler in der sicheren Nutzung von digitalen Medien schult; die EU-Initiative "klicksafe", die als zentrale Anlaufstelle für Informationen zur Internetsicherheit dient; das "Internet-ABC", eine Webseite, die Kindern spielerisch den sicheren Umgang mit dem Internet beibringt; und das Projekt "Gutes Aufwachsen mit Medien", das Eltern und Fachkräften hilft, Kinder und Jugendliche im Umgang mit digitalen Medien zu unterstützen. Auch "Schule macht stark" fördert digitale Bildung, während Programme wie "#excitingedu" und "Mobile Schule" Lehrkräften Weiterbildungsmöglichkeiten zur Integration digitaler Technologien bieten.
Fakt ist: Der digitale Wandel ist in der schulischen Realität angekommen, aber noch lange nicht abgeschlossen. Es braucht verbindliche Strukturen, flächendeckende Ausstattung, kontinuierliche Lehrerbildung – und eine klare Vision, wie Schule im digitalen Zeitalter aussehen soll. Denn digitale Bildung ist eine Schlüsselkompetenz für die Zukunft.
Zu den Gesprächspartnern:
- Joscha Falck ist Lehrer, Fortbildner, Autor und Blogger. Er beschäftigt sich intensiv mit den Themen digitale Bildung, Schulentwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unterricht. Kontakt: www.joschafalck.de
- Prof. Dr. Angelika Beranek ist Professorin für Medienbildung an der Hochschule München und Studiendekanin der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften. Sie beschäftigt sich intensiv mit der digitalen Transformation in der Sozialen Arbeit, insbesondere mit Themen wie Cybermobbing, Medienkompetenz und der kreativen Nutzung digitaler Medien.
- Prof. Dr. Susanna Endres ist Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und Digitale Bildung an der Katholischen Stiftungshochschule München.
Verwendete Quellen:
- Interviews mit Joscha Falck, Prof. Dr. Angelika Beranek und Prof. Dr. Susanna Endres
- DAK Gesundheit: DAK-Suchtstudie: Millionen Kinder haben Probleme durch Medienkonsum
- Kooperation International: Ergebnisse der ICILS-Studie 2023
- bildung.digital: ICILS zeigt Entwicklungsbedarf digitaler Bildung
- Kultusministerkonferenz: Strategie "Bildung in der digitalen Welt"
- Bundesministerium für Bildung und Forschung: Was ist der DigitalPakt Schule?
- Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bund und Länder einigen sich auf Digitalpakt 2.0
- Digitale Schule der Zukunft: Schulaufwandsträger
- Medienführerschein Bayern: Homepage
- klicksafe.de: Homepage
- internet-abc.de: Homepage
- gutes-aufwachsen-mit-medien.de: Für positive Erfahrungen in der digitalen Welt
- SchuMaS.de: 'Schule macht stark' - SchuMaS
- excitingedu: Homepage
- mobile.schule: Gemeinsam für die Bildung von morgen.