Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Wissen, über was politisch diskutiert wird.
Guten Morgen, liebe Leser und Leserinnen,
der Datenschutz und der Datenmissbrauch wohnen unter einem Dach: unter dem des Staates. Dabei wird bei jeder technischen Neuerung hoch und heilig versprochen, dass man die Privatsphäre der Menschen achten und ihre Persönlichkeitsrechte verteidigen wolle. Datenschutz ist ein Bürgerrecht, steht in jeder Sonntagsrede eines mittelmäßig begabten Politikers.
So war es auch bei der Einführung der Luca App, die in Zeiten der Pandemie die Infektionsketten für die Gesundheitsämter offen legen soll. Sobald ein Mensch ein Restaurant, ein Kino oder auch nur den Friseursalon betritt, so die Idee, registriert er sich mit seinem Handy in der Luca App. Diese sammelt und verschlüsselt die Profile und die Orte, sodass man später, im Falle eines Coronaausbruchs, den Menschen präzise benachrichtigen kann. Aber eben nur dann.
- Beinahe 40 Millionen Menschen in Deutschland nutzen die Luca-App.
- Patrick Hennig hat sie mit erfunden und ist gegenwärtig CEO der Betreiberfirma.
- Er sagte erst kürzlich in einem Podcast der FAZ zweierlei:
Vor allem der letzte Satz wirkt auf die Ermittlungsbeamten von Polizei und Staatsanwaltschaft offenbar wie der Lockstoff einer läufigen Hündin. Die Betreiber der Luca App, das berichtet Patrick Hennig im Gespräch mit dem Morning Briefing Podcast, werden ständig von Ermittlungsbehörden kontaktiert, mit der aufdringlichen Bitte, ihnen doch Einblicke in die Bewegungsdaten von Bürgern zu gewähren.
Die in Sicherheitsfragen sensiblen Betreiber der App lehnen ab, sagt Hennig, und verweisen auf die besondere Sicherheitsarchitektur ihrer Schöpfung. Die Daten können demnach nur dann eingesehen werden, wenn die Gesundheitsämter die Initiative ergreifen und den Restaurant- oder Shop-Besitzer ebenfalls zur Freigabe der Daten gewinnen können. Nur diese beiden Akteure gemeinsam können technisch die verschlüsselten Daten wieder entschlüsseln.
Doch der Staat in Gestalt seiner Ermittlungsbehörden akzeptiert diese Stufe der Geheimhaltung nur widerwillig – oder gar nicht. Wie in Mainz, wo die Staatsanwaltschaft in einem Todesfall ermittelte und im Zuge dieser Ermittlungen das Gesundheitsamt zum Mitmachen überredete.
Der dortige Beamte gewann unter dem Vorwand, er müsse ein lokales Infektionsgeschehen recherchieren, auch den Restaurantbesitzer zur Datenfreigabe. Und schon geschah, was niemals hätte geschehen dürfen:
- Die 21 Personen, die an jenem fragwürdigen Todesabend das Restaurant besucht hatten, wurden dechiffriert und mit Telefonnummer, Name, Anschrift, Verweildauer und Geschlecht dem ermittelnden Staatsanwalt zur Verfügung gestellt.
- Die Geheimhaltungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes waren damit suspendiert.
- 21 Bürger standen nackt vor ihrem wissbegierigen Staate.
- Erst nachdem der Schwindel durch eine Recherche des SWR aufflog, entschuldigten sich Gesundheitsamt und Staatsanwalt.
Fazit
Die Digitalisierung und Verknüpfung von Daten ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Aber so wie in den Anfangsjahren des Goldrausches am Klondike River sind die wertvollen Claims auch heute wieder unzureichend gesichert. Die Datenschürfer trinken Champagner im Salon. Der liberale Rechtsstaat steht draußen vor der Tür. Wie lange noch?
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr
Gabor Steingart