- Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz gibt sein Amt ab.
- Spät aufgetauchte Polizeivideos aus der Nacht der Flutkatastrophe sind dem Innenminister zum Verhängnis geworden – viel zu spät, kritisiert die Opposition.
- Wer auf Lewentz folgt, will Regierungschefin Dreyer schon in wenigen Tagen bekannt geben.
Der politische und öffentliche Druck war zu stark – Innenminister Roger Lewentz hat am Mittwoch seinen Rücktritt erklärt. "Heute übernehme ich für in meinem Verantwortungsbereich gemachte Fehler die politische Verantwortung", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch mit Blick auf spät aufgetauchte Polizeidokumente zur Nacht der Flutkatastrophe im Ahrtal.
Eine Entscheidung zu seiner Nachfolge will Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) schon in wenigen Tagen treffen. Die Oppositionsparteien CDU und AfD kritisierten den Rücktritt als überfällig, die Ampelparteien und Freien Wähler zollten dem langjährigen Minister ihren Respekt.
Gefasst und aufrecht wandte sich Lewentz in seiner Rücktrittserklärung zuerst an die Menschen im Ahrtal. "Mich werden die Eindrücke aus dieser Zeit mein ganzes Leben lang begleiten." Ab dem Morgen nach der Katastrophennacht sei er nahezu täglich vor Ort gewesen. Es tue ihm weh, wenn er in der jüngsten Diskussion nun als gefühlskalt und herzlos dargestellt werde. "Dass ich als Minister nicht mehr öffentlich durchdringe, dass meine Argumente nicht mehr aufgegriffen werden, das ist für einen Minister nicht gut."
Ministerpräsidentin Dreyer will bald Nachfolge für Lewentz bekannt geben
Die jetzt verspätet bekannt gewordenen Videos und der Einsatzbericht der Hubschrauberstaffel der Polizei seien ihm in der Nacht vom 14. zum 15. Juli 2021 nicht vorgelegt worden, sagte Lewentz. "Der Bericht der Hubschrauberstaffel wurde mir nicht zugeleitet, das war ein Fehler in meinem Verantwortungsbereich." Er mache aber niemandem einen Vorwurf. Die laut Polizei versehentlich vergessenen Videoaufnahmen zeigen Menschen in höchster Not im Hochwasser.
Der scheidende Minister äußerte Bedauern, dass die Dokumente dem Untersuchungsausschuss des Landtags verspätet zugegangen sind. "Im Zuge der Bewältigung sind sicherlich an vielen Stellen Fehler gemacht worden – Fehler, aber keine Vertuschungen." Lewentz hatte vor dem Untersuchungsausschuss erklärt, er habe in der Flutnacht kein vollständiges Lagebild gehabt.
CDU und Freie Wähler (FW) wollten die Rolle von Lewentz in der Flutnacht am Mittwochnachmittag zum Thema im Landtag machen, die AfD hatte sich für ein Misstrauensvotum ausgesprochen. Wegen des Rücktritts wurde der Punkt dann kurzfristig auf Wunsch von CDU und FW wieder von der Tagesordnung genommen.
Ministerpräsidentin Dreyer will schon bald die Nachfolge für Lewentz bekannt geben. "Er bleibt geschäftsführend noch für ein paar Tage im Amt", sagte sie und fügte hinzu: "Sie können davon ausgehen, dass ich in den nächsten Tagen öffentlich machen werde, wer Roger Lewentz folgt."
Die Regierungschefin wirkte bedrückt. "Es gibt selten Menschen in der Politik, denen man so umfänglich vertrauen kann, wie ich Roger Lewentz vertrauen konnte." Es gebe wenige, die sich so sehr in den Dienst des Landes gestellt hätten wie der Minister. "Wir sind durch viele Höhen und Tiefen miteinander gegangen." Menschlich wie fachlich werde mit seinem Ausscheiden aus dem Kabinett eine große Lücke gerissen. Dreyer würdigte den Ausbau der Polizei während der elfjährigen Amtszeit von Lewentz. "Die Zahl der Straftaten war noch nie so niedrig wie heute."
Zur Frage nach seinem Vorsitz in der SPD Rheinland-Pfalz sagte der 59-jährige Lewentz, er sei gewählt bis zum nächsten Parteitag im Jahr 2023. Er fügte hinzu: "Ich nehme mir jetzt eine Auszeit und werde das dann mit den Gremien beraten."
Der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Christian Baldauf kritisierte, dass sich Lewentz in seiner Rücktrittsrede nicht für persönliche Fehler und Fehleinschätzungen entschuldigt habe. Die politische Aufarbeitung der Flutkatastrophe im Untersuchungsausschuss des Landtags werde intensiviert. Es gehe nun darum aufzuklären, wo die Verantwortung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) liege. Die CDU behalte sich vor, Dreyer erneut vor den Untersuchungsausschuss zu laden.
Grünen-Politikerin Anne Spiegel auch schon als Bundesfamilienministerin zurückgetreten
Die AfD erklärte, der Schaden, den Lewentz mit seinem viel zu spät erfolgten Rücktritt dem Ansehen des Staates und der Demokratie zugefügt habe, sei immens. "Es bleibt das Bild eines an seinem Posten klebenden Berufspolitikers, der bis zuletzt von seinen Partei- und Regierungskollegen gedeckt wurde."
Die drei Ampelparteien und auch die oppositionellen Freien Wähler (FW) würdigten Lewentz' langjähriges Wirken in verschiedenen Funktionen der Landespolitik und zollten ihm Respekt für den Rücktritt. Dieser werde "eine Lücke hinterlassen", sagte SPD-Fraktionsvorsitzende Sabine Bätzing-Lichtenthäler. Lewentz sei in den vergangenen Jahren "ein Garant für Sicherheit und Stabilität" und ein "mitfühlender Minister" gewesen. Mit seinem Rücktritt habe er die politische Verantwortung für Fehler übernommen, die nicht ihm, aber in seinem Verantwortungsbereich – "in Momenten schier unvorstellbarer Belastung" – geschehen seien. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter von Grünen, FDP und FW.
Bereits im April war die Grünen-Politikerin Anne Spiegel als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. Sie war zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe Umweltministerin in Rheinland-Pfalz gewesen und damit für den Hochwasserschutz zuständig. Rund zehn Tage später brach sie zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich auf. Die Grünen-Politikerin begründete dies damit, dass der Urlaub wegen großer Belastungen ihrer Familie notwendig gewesen sei. (dpa/ari/pak)
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