Sören Pellmann will die Menschen von seiner Partei überzeugen. In Zukunft soll die Linke auch im Osten wieder punkten, stellt er klar.

Ein Interview

Die Anfahrt von Sören Pellmann zum Linken-Parteitag in Chemnitz dürfte nicht zu lang gedauert haben. Gerade einmal 85 Kilometer liegen zwischen Leipzig Pellmanns Heimat – und der früheren Karl-Marx-Stadt.

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Zwei Tage haben die Linken in der Messehalle Chemnitz über die Neuausrichtung ihrer Partei diskutiert. Für Pellmann ist klar: Die Linke muss Druck machen, damit sich etwas verändert. Dafür sei sie gewählt worden – und dafür stehe sie nun auch ein. Mit Blick auf seine ostdeutsche Heimat mahnt der Linken-Fraktionschef die gemeinsame Verantwortung von Demokraten an.

Herr Pellmann, was haben Sie gegen Reiche?

Sören Pellmann: Ich habe gar nichts gegen Reiche. Aber ich bin davon überzeugt, dass Reiche sich deutlich mehr an der Umverteilung im Land beteiligen müssen. Ganz viele sind nicht durch die eigenen Hände Arbeit Millionär oder Milliardär geworden, sondern weil sie geerbt haben oder durch Eltern und Familienangehörige beschenkt wurden. Die Ungleichheit beginnt sehr früh im Leben, die Startchancen sind in Deutschland völlig unterschiedlich.

Sören Pellmann Chef der Linksfraktion
Linken-Fraktionschef Sören Pellmann. © IMAGO/Chris Emil Janßen

Ihre Fraktions-Co-Chefin Heidi Reichinnek will den Kapitalismus stürzen, um die Demokratie zu schützen. Das klingt radikal.

Ein bisschen radikal muss man schon sein. Wir haben unsere Vision einer sozialistischen Gesellschaft im Parteiprogramm stehen, das geht mit dem Kapitalismus in keiner Weise zusammen. Deswegen müssen wir den Kapitalismus natürlich überwinden.

Der Sozialismus, den wir bisher in der Geschichte gesehen haben, hatte mit Demokratie nichts zu tun.

Natürlich meinen wir nicht den Staatssozialismus der Ostblockstaaten und der DDR. Sozialismus bedeutet, dass es eine Gleichverteilung innerhalb einer Gesellschaft gibt. Ohne große Unterschiede. Wir wollen eine inklusive Gesellschaft, unabhängig vom Einkommen, vom Status, vom Wissen und den Fertigkeiten. Jeder muss die gleichen Chancen haben.

Ihre Partei will das Klassenbewusstsein stärken. Die klassische Arbeiterschaft gibt es heute nicht mehr. Was meinen Sie damit?

Natürlich haben wir die Arbeiterschaft nicht mehr so, wie sie in den marxschen Theorien beschrieben wird. Aber wir leben in einem System, in dem so viele Menschen nicht vom Lohn ihrer Arbeit leben können. In dem so viele Rentnerinnen und Rentner nach einem lebenslangen Arbeitsleben nicht von ihrer Alterssicherung leben können. In dem Kinder von finanziell schlechter gestellten Eltern schlechtere Startchancen, schlechtere Bildungschancen und schlechtere berufliche Perspektiven haben. Das ist es, was wir kritisieren.

Lange sah es so aus, als wäre die Zeit der Linken vorbei. Dann kam das Bundestagswahl-Comeback. Wie wollen Sie diesen Erfolg nachhaltig erhalten?

Wir haben zehntausende neue Mitglieder für unsere Partei gewonnen. Die müssen wir jetzt integrieren. Das ist eine große Chance für uns, weil wir es so schaffen können, flächendeckend Kandidatinnen und Kandidaten bei den Kommunal- und Landtagswahlen aufzustellen. Diese kommunale Verankerung kann die Herzkammer der Linken sein.

"Wir wollen uns nicht mehr zerfleischen."

Sören Pellmann

Sie haben sich in den vergangenen Monaten fast verdoppelt. Ist da Streit vorprogrammiert?

Wer in eine Partei eintritt, tut das in der Regel deswegen, weil er sich mit dem Parteiprogramm identifizieren kann. Und die Ausrichtung der Partei, die diskutieren wir auf unseren Parteitagen.

Das heißt, Sie sorgen sich nicht darum, dass der Streit zurückkommen könnte, den Sie gerade erst losgeworden sind?

Streit im Sinne inhaltlicher Auseinandersetzungen befruchtet Parteien. Natürlich gibt es in pluralistischen Parteien Felder, in denen es unterschiedliche Auffassungen gibt. Wir wollen uns aber nicht mehr zerfleischen, sondern gemeinsam nach guten Lösungen für die Mehrheit suchen.

Bei der Union gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit Ihrer Partei. Am Tag der Kanzlerwahl gab es dennoch Verhandlungen, um die Frist für einen zweiten Wahlgang von Friedrich Merz auszusetzen. Ist die Linke jetzt Teil des Establishments?

Nein, das ist sie nicht. Der Unvereinbarkeitsbeschluss wurde damit dennoch ad absurdum geführt. Auch auf Landesebene und in den Kommunen – gerade in Ostdeutschland – ist die CDU auf die Linke angewiesen. Unter Demokratinnen und Demokraten sollte es Brauch sein, im Gespräch zu bleiben. Und jetzt haben wir eine Größe und Stärke, mit der uns die CDU auf Bundesebene nicht mehr ignorieren kann. Wir haben auch eine Erwartungshaltung.

Inwiefern?

Wir werden vehement einfordern, dass wir bei der von der Bundesregierung versprochenen Expertenkommission zur Reform der Schuldenbremse dabei sind und mitreden. Für uns ist klar, die Schuldenbremse muss dringend reformiert werden. Nur so lassen sich all die Investitionen stemmen, die gerade aus Sicht der Länder und Kommune nötig sind.

Warum haben Sie Friedrich Merz bereits am vergangenen Mittwoch die Möglichkeit eingeräumt, sich ein zweites Mal wählen zu lassen?

Politisch stimmt meine Fraktion an einem Mittwoch genauso wie an einem Freitag und allen anderen Wochentagen gegen Merz. Hätten wir Merz diese Fristverkürzung am Mittwoch aber nicht ermöglicht, hätten wir Rechtsaußen die Möglichkeit gegeben, drei Tage lang für eine Chaotisierung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zu sorgen. Uns ist der Schritt nicht leichtgefallen.

Ach ja?

Wir haben an diesem Tag viel miteinander gesprochen, mit Schwarz-Rot, mit den Grünen. Der Kompromiss war, dass wir einen zweiten Wahlgang ermöglichen. Für die Mehrheit musste Merz selbst sorgen, wir haben zweimal gegen ihn gestimmt und kritisieren seine unsoziale Politik in aller Deutlichkeit.

Spüren Sie durch die Größe Ihrer Fraktion nun auch die staatspolitische Verantwortung, die Grüne und SPD in den vergangenen Jahren bei schwierigen Entscheidungen immer wieder angesprochen haben?

Wir haben nicht zwingend eine staatspolitische Verantwortung. Wir haben eine Verantwortung gegenüber den vier Millionen Wählerinnen und Wählern, die die Erwartungshaltung haben, dass sich etwas verändert im Land.

"Es darf nicht passieren, dass im Jahr 2029 oder 2033 erstmals wieder Rechtsextreme in der Regierung der Bundesrepublik sitzen."

Sören Pellmann

Nämlich?

Dass mehr für Mieterinnen und Mieter getan wird, wir einer Kindergrundsicherung näherkommen, private Haushalte entlastet und Reiche endlich gerecht besteuert werden. Wir wollen weiterhin die null Prozent Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, mehr Unterstützung für die Kommunen, die Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs und des Fernverkehrs.

Wir sind hier in der Stadt, die früher Karl-Marx-Stadt hieß. Der große Nischl, das Karl-Marx-Monument, steht noch immer mittendrin. Heute heißt der Direktabgeordnete Alexander Gauland (AfD). Was macht das mit Ihnen?

Von 16 Wahlkreisen sind hier in Sachsen alle bis auf meiner in Leipzig-Süd an die AfD gegangen. Das macht mich nachdenklich, aber als Antifaschist sage ich ganz klar: Alle Demokratinnen und Demokraten haben eine Verantwortung. Der wird man sicherlich nicht gerecht, wenn man AfD Inhalte kopiert und als seine eigenen verkauft. So wie Friedrich Merz das tut.

Das Karl-Marx-Monument in Chemnitz wird auch Nischl genannt. © IMAGO/Depositphotos

Sondern?

Wir brauchen verlässliche Antworten auf die Fragen unserer Zeit und wir müssen die Menschen dabei mitnehmen. Auch die im ländlichen Raum, die sich zum Teil gar nicht mehr mitgenommen fühlen. Wir müssen das Vertrauen zurückgewinnen. Genau hier sehe ich die Verantwortung von uns Linken. Es darf nicht passieren, dass im Jahr 2029 oder 2033 erstmals wieder Rechtsextreme in der Regierung der Bundesrepublik sitzen.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat einmal gesagt: Der Osten ist der Seismograf von Deutschland. Würden Sie dem zustimmen?

Die Amadeo-Antonio-Stiftung hat eine Wahlanalyse mal über viele Jahre gemacht und hat dabei festgestellt, dass die westdeutschen Bundesländer den ostdeutschen Ländern immer eine Wahlperiode hinterherhängen. Die AfD ist kein Ostproblem, sie ist bundesweit die zweitstärkste Kraft bei der Wahl geworden. Es ist ein Fehler, die Menschen im Osten zu stigmatisieren.

Die Wählerverteilung hat es gezeigt: Die Linke ist eine junge, urbane Frau – die AfD ein junger Mann vom Land. Hat Ihre Partei ein Männer-Problem?

Das muss man differenziert betrachten: In meinem Wahlkreis haben uns junge, mittelalte und ältere Frauen, sowie Männer zu gleichen Teilen gewählt. Im ländlichen Raum trifft es zu, dass wir deutlich mehr von Frauen und deutlich weniger von jungen Männern gewählt wurden. Uns ist es dort offensichtlich noch nicht gelungen, Männer zwischen 30 und 50 Jahren anzusprechen. Ihnen ein Angebot zu machen und zu zeigen, dass die Linke auch für sie eine coole Partei ist.

Woran liegt das?

Wir machen Politik für die Mehrheit, unabhängig vom Geschlecht. Männer und Frauen haben in den meisten Fällen sehr ähnliche Bedürfnisse, etwa die Bezahlbarkeit der Miete, des Stroms oder des Einkaufs. Wir haben aber, insbesondere was die Förderung von Frauen und Politik für Frauen betrifft, noch mehr geboten als für die Männer. Möglicherweise wählen uns deshalb viele Frauen. Wir liegen in den Umfragen aktuell bei zehn Prozent, da ist definitiv noch Luft nach oben und wir sind noch nicht am Ende mit unseren Ideen.

Die Linke macht es sich mit ihrer Neuausrichtung zur Aufgabe, Hoffnung zu verbreiten. Wir leben in Zeiten der sogenannten Polykrise – gibt es die da überhaupt noch?

Wenn man alles nur schlecht redet, gibt es natürlich weder Hoffnung noch Perspektive. Diese Erzählung hat zum Erstarken der Rechten geführt. Wir wollen die Gegenerzählung starten: Wir geben Hoffnung, wir geben Perspektive und wir wollen zeigen, dass die Gesellschaft sozialer, gerechter und besser aussehen kann. Und, ganz wichtig: es ist erfüllend, an einer Zukunft für alle mitzuwirken und manchmal macht es sogar Spaß!

Das heißt, die Linke soll zur radikalen Gute-Laune-Partei werden?

Es muss nicht immer gute Laune sein, aber radikal für soziale Gerechtigkeit und Umverteilung: klar.

Über den Gesprächspartner

  • Sören Pellmann ist der Direktabgeordnete des Wahlkreises Leipzig II im Bundestag und Fraktionsvorsitzender der Linken. Den Posten an der Spitze der Linksfraktion im Bundestag teilt er sich mit Heidi Reichinnek. Der 48-Jährige wurde in Leipzig geboren und ist studierter Grundschullehrer. Mit 16 trat er in die PDS ein und blieb, als sich die Partei mit der WASG zur Linken zusammenschloss.