Ein "Manifest", das sich gegen Aufrüstung und für mehr Diplomatie ausspricht, sorgt für Unruhe in der Regierungspartei. Der Zeitpunkt ist pikant.
Trotz heftiger Kritik aus der eigenen Partei halten SPD-Politiker an einem Positionspapier fest, das eine Abkehr von der Aufrüstungspolitik fordert. Gut zwei Wochen vor dem Bundesparteitag stellen sie sich damit gegen die offizielle Linie der SPD in der schwarz-roten Bundesregierung zum Ukraine-Krieg und der Verteidigungspolitik insgesamt. Das sogenannte Manifest war am Mittwoch bekanntgeworden. Zu den Unterzeichnern gehören Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans und der Außenpolitiker Ralf Stegner.
"Über Waffen kann öffentlich jeder Trottel reden. Selbst jemand, der ein Gewehr nicht von einem Regenschirm unterscheiden kann. Aber die Diplomatie, die hinter verschlossenen Türen stattfindet, das ist die wirkliche Kunst", sagte
Ihm gehe es im Umgang mit Russland aber nicht um den Verzicht auf militärische Abschreckung. "Niemand will Appeasement", sagte Stegner im ZDF-Morgenmagazin mit Blick auf die Verfasser des sogenannten Manifestes. Es gebe "gar keinen Zweifel" daran, dass Russlands
Ex-Parteichef Walter-Borjans sagte der "Westdeutschen Zeitung": "Was wir beklagen, ist der Glaube, dass man einem Ende des Blutvergießens näher kommt, wenn man Abrüstungsverhandlungen für nicht mehr zeitgemäß erklärt, Sicherheit nicht mehr mit, sondern gegen einen nach wie vor großen Nachbarn organisieren will und sich bei schon sehr hohen Rüstungsausgaben in einen finanziell unbegrenzten Rüstungsrausch steigert." Die harte Kritik an dem Manifest sei eine Fehlinterpretation des Inhaltes.
Bewusst vor dem Parteitag veröffentlicht
Mützenich sagte dem Berliner "Tagesspiegel": "Unsere Überlegungen sollen eine breite, seit Jahren in der SPD und außerhalb geführte Diskussion ergänzen. Dass es vor dem Parteitag fertiggestellt wurde, hat auch damit zu tun, dass wir uns ein neues Grundsatzprogramm geben wollen."
Der frühere Fraktionschef zeigte sich überrascht von den Reaktionen: "In dem Papier steht nichts Anrüchiges, es ist kein Russlandpapier." Es sei "eine Antwort auf den Überfall Russlands auf die Ukraine". Zu Vorwürfen, er vertrete mit den Mitunterzeichnern eine naive Politik gegenüber Kreml-Chef Wladimir Putin, antwortete Mützenich: "Appeasement ist eine Behauptung, die mich schwer trifft."
Stegner stellte im "Cicero" klar, das Manifest sei "keine Forderung an die Bundesregierung, sondern ein Diskussionspapier für die Debatte in der Sozialdemokratie". Der Bundestagsabgeordnete war vor wenigen Wochen für eine Reise nach Baku in Aserbaidschan zu Gesprächen mit russischen Vertretern kritisiert worden. Diese hätten aber auf privater Initiative beruht und seien "informell organisiert und finanziert", hatte Stegner entgegnet.
Verständnis für die Initiative, aber nicht für den Inhalt
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sagte zu dem Papier im "Playbook-Podcast" von "Politico", sie teile dessen Vorschläge nicht. Allerdings betonte sie auch: "Dass Ralf Stegner oder
Ähnlich äußerte sich Juso-Chef Philipp Türmer bei "Zeit Online". Er habe zwar Verständnis für das Ziel der Abrüstungs- und Friedenspolitik. "An anderer Stelle erscheint mir die Linie, die dort skizziert wird, leider zu kurz gedacht und unausgegoren – insbesondere mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Da bleibt das Papier eine zentrale Antwort schuldig: Wie geht man mit einem Russland um, das keine Gespräche führen will? Wie soll eine Entspannungspolitik mit Putin möglich sein?"
Pistorius schäumt, Klingbeil hat "eine andere Meinung"
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der als einer der Urheber der aktuellen Sicherheitspolitik gilt, war mit dem "Manifest" hart ins Gericht gegangen: "Dieses Papier ist Realitätsverweigerung. Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden", sagte Pistorius der Deutschen Presse-Agentur.
Parteichef Klingbeil distanzierte sich von dem Papier. Zu mehreren Aussagen aus dem "Manifest" habe er explizit eine andere Meinung, sagte der Vizekanzler nach Angaben der SPD in einer Live-Unterhaltung mit Kevin Kühnert auf Instagram. "Wir brauchen keine Kehrtwende, was die Unterstützung der Ukraine angeht." Deutschland müsse sich nicht entscheiden zwischen militärischer Stärke und Ukraine-Unterstützung auf der einen sowie diplomatischen Bemühungen auf der anderen Seite. "Das ist nicht „entweder oder“, sondern es sind zwei Seiten einer Medaille", sagte Klingbeil am Mittwochabend. Zugleich betonte der Parteichef, die SPD und auch die Gesellschaft müssten solche Debatten aushalten.
Zu den Unterstützern des "Manifests" zählen neben Politikern vom linken SPD-Flügel, die überwiegend keine bedeutenden Positionen mehr bekleiden, bis zum Donnerstagnachmittag mehr als 4.700 Menschen über die Website "openPetition". (dpa/bearbeitet von lh/fab)