Bald stellt die CDU wieder den Kanzler – vor allem dank der Stimmen aus dem Westen. Auch das CDU-Führungspersonal ist westdeutsch geprägt. Welche Rolle spielt der Osten für die Partei? Und versteht sie ihn überhaupt noch? Fragen an den Ost-Hoffnungsträger Philipp Amthor.

Ein Interview

Die CDU hat ein Ost-Problem. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl wurde die AfD in allen fünf ostdeutschen Flächenländern stärkste Kraft. Auch bei den Direktmandaten räumte die in Teilen rechtsextreme Partei ab. Anders als die CDU. Sie ging komplett leer aus.

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Eines der prominentesten Gesichter der Ost-CDU ist Philipp Amthor aus Mecklenburg-Vorpommern. Er findet: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD stärkt auch den Osten – und damit das Vertrauen in die demokratische Mitte. Der AfD will Amthor das Feld nicht kampflos überlassen.

Herr Amthor, was ist für Sie typisch ostdeutsch?

Philipp Amthor: Anstatt über "den Osten" zu reden, könnte ich schon allein zwischen typischen Eigenschaften von Mecklenburgern und Vorpommern unterscheiden. Und die Sachsen sind wiederum anders. Typisch ostdeutsch sind für mich also auch die regionalen Unterschiede in Ostdeutschland. Ich komme aus Vorpommern – dort gilt: Lob, Freude und Begeisterung zeigen sich oft erst im zweiten Schritt. Für Politiker ist es dementsprechend nicht immer einfach, die Vorpommern zum Jubeln zu bringen – umso schöner ist es, wenn es doch gelingt. Daran arbeite ich.

Welche Angebote macht der schwarz-rote Koalitionsvertrag dem Osten?

Für den Osten ist vor allem die Stärkung des ländlichen Raums von großer Bedeutung. Wir wollen dafür unter anderem Infrastrukturprojekte vorantreiben, die Pendlerpauschale erhöhen und den Agrardiesel wieder zurückerstatten, wovon vor allem Gegenden abseits der Großstädte profitieren. Für mein touristisch geprägtes Heimatbundesland Mecklenburg-Vorpommern ist zudem der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Hotellerie und Gastronomie ein wichtiger Punkt. Insgesamt müssen wir dabei beachten, dass in Ostdeutschland eine konservative Eigenschaft weit verbreitet ist: die Skepsis.

Welche Folgen hat das?

Die Bürger hinterfragen dort manches stärker und verlassen sich nicht nur auf wohlklingende Ankündigungen. Deshalb ist es nun entscheidend, die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele auch konsequent umzusetzen.

Wäre eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns nicht auch ein starkes Signal an den Osten, wo viele Menschen wenig verdienen? Die CDU fremdelt aber mit 15 Euro pro Stunde.

In Ost wie West gilt: Löhne sind Ausdruck von Produktivität, Wirtschaftsleistung und einer gemeinsamen Verständigung der Tarifparteien. Wir haben uns im Koalitionsvertrag bewusst gegen eine politische Lohnfestlegung entschieden. Der Mindestlohn wird auch in Zukunft nicht per Gesetz vom Deutschen Bundestag festgelegt, sondern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern vereinbart. Und das ist auch gut so.

Auch die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen stellt der Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt. Dabei würden viele Ostdeutsche davon profitieren.

Wir wollen die Bürger schnellstmöglich entlasten. Dabei geht es aber nicht nur um den Tarif der Einkommenssteuer. Entscheidend ist, dass Deutschland wieder zu Wirtschaftswachstum kommt, weil darin die Grundlage für Wohlstand der Bevölkerung liegt. Dafür werden wir zügig etwa Turbo-Abschreibungen in Höhe von 30 Prozent auf Ausrüstungsinvestitionen auf den Weg bringen. Und auch jenseits der Unternehmensbesteuerung werden die Bürger konkrete Entlastungen spüren, weil wir unter anderem die Stromsteuer absenken werden. Das macht sich sofort im Portemonnaie bemerkbar.

An anderer Stelle sind Sie konkret: bei Klientelpolitik. Die Mehrwertsteuer in der Gastronomie soll am 1. Januar sinken. Davon wird kein Restaurantbesuch günstiger.

Ich sehe das ausdrücklich anders. Wir betreiben keine Klientelpolitik für Hotels und Restaurants, sondern beseitigen bestehende Nachteile der Branche. Als Ostdeutscher muss ich dafür nur nach Polen schauen. In der überwiegenden Mehrzahl der EU-Länder gilt für Hotellerie und Gastronomie ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz. Das ist ein Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen, den wir ausgleichen wollen. Und es gehört für mich zudem zur Glaubwürdigkeit von Politik, das umzusetzen, was man vor der Wahl verspricht.

"Es darf nicht nur Ostdeutsche beunruhigen, wie stark dort das Vertrauen in das politische System und in die Lösungsfähigkeit der Demokratie schwindet."

Philipp Amthor

Die CDU selbst hat Nachholbedarf bei der Repräsentanz von Ostdeutschen. Die Parteiführung wirkt eher westdeutsch geprägt.

Den Eindruck teile ich nicht. Ostdeutschland ist in unserer Parteiführung sehr gut vertreten. Im Parteipräsidium sitzen mit unseren drei ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten und mit Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze sehr profilierte Vertreter Ostdeutschlands. Zudem hat uns insbesondere Michael Kretschmer in den Koalitionsverhandlungen stark vertreten. Und ich selbst habe als Mitgliederbeauftragter ja auch eine besondere Rolle in der Partei.

Wie müssen Minister mit ostdeutscher Biografie in der neuen Regierung vertreten sein?

Ich sage da immer pointiert: Ich erwarte 100 Prozent für den Osten. Alle Ministerinnen und Minister sollten sich für Ostdeutschland starkmachen. Es darf nicht nur Ostdeutsche beunruhigen, wie stark dort das Vertrauen in das politische System und in die Lösungsfähigkeit der Demokratie schwindet. Darauf braucht es Antworten aller Ministerinnen und Minister – ganz unabhängig von ihrer Herkunft.

Also ist es Ihnen nicht so wichtig, ob Minister mit ostdeutscher Biografie im Kabinett sitzen?

Ostdeutschland gehört natürlich in die Bundesregierung. Aber die Ampelkoalition hat auch gezeigt: Ostdeutsche Minister allein bringen noch lange kein Lametta in den Osten. Fragen Sie doch mal die Leute in Ueckermünde, in Drebkau oder in Spremberg, ob Klara Geywitz und Steffi Lemke die ostdeutschen Interessen besonders gut vertreten haben. Ich glaube das nicht.

An der CDU-Basis in Ostdeutschland grummelt es – auch weil die sogenannte Brandmauer es der CDU untersagt, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Ist das Konzept angesichts der guten AfD-Wahlergebnisse noch zeitgemäß?

Unsere Bewertung der AfD hängt nicht von Wahlergebnissen ab. Wir gehen mit Gegnern unserer demokratischen Institutionen keine Zusammenarbeit ein und stellen mit der AfD keine gemeinsamen Anträge. Dabei bleibt es. Aus meiner Sicht ist der Begriff der Brandmauer gleichwohl missverständlich. Richtig daran ist zwar, dass die AfD im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich für das Vertrauen in unser politisches System und für die Stabilität der parlamentarischen Demokratie ist. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass zu wenig über das notwendige Löschen des schwelenden Brands hinter der Mauer gesprochen wird. Dabei fühlen sich viele Bürger alleingelassen. Dafür braucht es eine inhaltliche Debatte.

Was heißt das konkret?

Ein undifferenziertes Schwingen der Nazi-Keule ist für manchen ein bequemer Ausweg aus unliebsamen Diskussionen. Wir müssen uns aber zumuten, uns stärker inhaltlich mit der AfD auseinanderzusetzen. Die AfD-Funktionäre, die sich nicht vom Extremismus abgrenzen, sondern sich immer weiter radikalisieren, sind unsere politischen Gegner. Die Wählerinnen und Wähler der AfD sind allerdings nicht unsere Gegner. Viele von denen können wir noch zurückgewinnen. Die Leute erwarten von uns, dass wir die AfD mit den besseren Argumenten schlagen.

Sie selbst suchen im Bundestag immer wieder die Auseinandersetzung mit der AfD. Müssten sich Ihre Parteikollegen ein Beispiel an Ihnen nehmen?

Andere Kolleginnen und Kollegen machen das ebenfalls mit großem Engagement. Ich halte es jedenfalls für richtig und für zwingend, vor der AfD nicht wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen. Einige Politiker und politische Beobachter verfallen ja gelegentlich in eine Schockstarre und sagen: Wenn wir es jetzt nicht richtig machen, gewinnt in vier Jahren die AfD die absolute Mehrheit. Da frage ich mich: Was ist das für eine mutlose Einstellung? Um im Bild zu bleiben: Das Wappentier der Bundesrepublik ist der Adler – und der ist der natürliche Fressfeind der Schlange.

Über den Gesprächspartner

  • Philipp Amthor wurde 1992 in Ueckermünde geboren. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaft in Greifswald. Im Jahr 2008 trat er der Jungen Union und der CDU bei. Seit 2017 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags. Außerdem ist Amthor seit April 2024 Generalsekretär seiner Partei in Mecklenburg-Vorpommern. Als Mitgliederbeauftragter der CDU gehört er seit Mai 2024 dem Bundesvorstand an. Amthor zählt zum konservativen Flügel seiner Partei.