Auf ihrem Parteitag in Chemnitz will die Linke über die Ausrichtung für die kommenden Jahre diskutieren. Für Gesprächsbedarf sorgen aber auch alte Themen: Krieg, Frieden und Nahost.
Ines Schwerdtner,
Die Bierbänke vor der Bühne sind bereits gefüllt. Zahlreiche Menschen wollen hören, was ihre Stars zu sagen haben. Stars – ein großes Wort für Politiker. Doch bei dem Hype, den gerade Reichinnek bei den Anhängern ihrer Partei auslöst, ist es passend. Die vier sollen in einer moderierten Gesprächsrunde über den Parteitag, der früher am Tag gestartet ist, und aktuelle Entwicklungen sprechen.

Das Festival ist an den Parteitag der Linken angeschlossen, der an diesem Wochenende in Chemnitz stattfindet. Und auch wenn die Partei in diesem Jahr ihre Mitgliederzahl fast verdoppelt hat: Die Delegierten sind die gleichen geblieben. Die Stimmberechtigten, die die Landesverbände entsenden, werden erst für das kommende Jahr neugewählt.
Das Motto des Chemnitzer Parteitags zeigt trotzdem, welche Herausforderungen vor der grunderneuerten Partei liegen: "Die Hoffnung organisieren" lautet es. Das Stichwort dürfte in diesem Zusammenhang das Organisieren sein. Rund 50.000 neue Mitglieder wollen eingebunden werden.
Mit Fünf-Punkte-Plan will die Linke zukunftsfest werden
Um diese Herausforderung anzugehen, beschäftigten sich die Linken früher am Tag in ihrem Leitantrag – und ihrer Arbeitsgrundlage für die kommenden Jahre – mit den Leitplanken. Die prominenten Gesichter der Partei, die Vorsitzenden Schwerdtner und van Aken sowie die Fraktionschefs Reichinnek und Pellmann, laufen ein wie zu einem Boxkampf. Unter lauter Musik von
Die Linke ist zurück – geeint und stark wie lange nicht. Diese Botschaft soll der Auftritt unterstreichen. Die Umfragewerte steigen, mittlerweile liegt die Partei laut der Institute bei rund zehn Prozent.
Parteichefin Ines Schwerdtner zeichnet bei der Einbringung des Leitantrags ein düsteres Bild der Gesellschaft. Arme Menschen, die ihre Rente nicht erleben, weil ihr Leben "eine einzige Rechnung" ist – für diese Menschen wolle die Partei Politik machen. Der Kapitalismus sei eine Gesellschaftsform, die die Menschen knechtet. Karl Marx, dessen meterhohes Monument nur wenige Kilometer entfernt von der Messe Chemnitz steht, wäre womöglich stolz.
Die Linke will Zuversicht schaffen und sich auf soziale Frage fokussieren
"Wir sind zurück und die sollen sich warm anziehen", stellt Schwerdtner klar. Mit "die", sind die politischen Mitbewerber gemeint. Alle wollen aufrüsten, die Linke will sozial – so zumindest die Zuspitzung. Bei den Delegierten und Gästen kommt die Rede gut an. Die Linke ist wieder wer, das macht offenbar Mut. Doch kann die Partei ihren Überraschungserfolg bei der Wahl nachhaltig erhalten?
Der Rahmen für die künftige Ausrichtung: Die Linkspartei soll die sogenannte Arbeiterklasse organisieren – und dafür etwa enger mit Gewerkschaften oder Mieterinitiativen zusammenarbeiten. Ebenfalls geplant: Fraktionen in Landes- und Kommunalparlamenten, und das flächendeckend. Genug Mitglieder hat die Partei mittlerweile, um etwa auch in großen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen genug Personal aufzustellen. Reichinnek ruft in ihrer Auftaktrede sogar zum ersten linken Regierenden Bürgermeister für Berlin auf. Man denkt groß.
Was die Linke im Wahlkampf außerdem gelernt habe: Fokus hilft. Die Kampagne war nach den zahlreichen Haustürgesprächen auf wenige Punkte zugespitzt: Mieten, Bezahlbarkeit, sozial-ökologische Wirtschaft, Frieden. Dieses Vorgehen will die Partei fortsetzen. Preise, Wohnen und Steuern für Reiche dürften in den Mittelpunkt rücken.
Zuständig fühle sich die Linke für "all jene, die dazu gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – also die übergroße Mehrheit in unserer Gesellschaft", heißt es im Antrag. Für ein neues Grundsatzprogramm 2027 will die Partei deshalb nicht nur die eigenen Mitglieder einbinden, sondern auch "gemeinsam mit den Menschen in diesem Land Antworten" finden.
Als fünften Punkt nimmt sich die Linke vor, die "Utopie einer besseren Gesellschaft ausdrücken" zu können – und so Zuversicht zu stärken. In Zeiten der Polykrisen klingt gerade dieser Punkt nach einem frommen Wunsch. Mit großer Mehrheit stimmen die Delegierten dem Antrag zur Neuausrichtung der Partei zu.
Diskussionen um Krieg, Frieden und Nahost
Und auch wenn sich die Linke vorgenommen hat, Streit in der Vergangenheit zu lassen und geeint aufzutreten, gibt es auch in Chemnitz Zündstoff: die ewig schwelende Nahost-Debatte. Einige haben sich an diesem Wochenende ein palästinensisches Kufiya-Tuch umgehängt. Eine Delegierte aus Bayern spricht in der Generaldebatte etwa davon, dass sie bereits mehrfach ihr Parteibuch niederlegen wollte. "Weil diese Partei es nicht geschissen bekommt", einen "Genozid" so zu benennen. Es schwelt.
Eine emotionalisierte, harte Debatte ist bei diesem Themenkomplex nahezu unausweichlich. Und doch schafft es der Parteitag, nach Verhandlungen hinter den Kulissen einen Kompromiss zu erarbeiten. Der neue Antrag reagiert auf aktuelle Entwicklungen in Gaza, stellt Parteichef van Aken klar. Als grundlegende Position der Linken gilt damit weiterhin der Kompromiss von Halle.
In Halle an der Saale wurde die zwei-Staaten-Lösung gefordert, das Existenzrecht Israels sichergestellt und der Terror der Hamas genauso verurteilt wie der "erbarmungslose" Krieg Israels im Gaza-Streifen. Damals waren diesem Kompromiss eine breite Debatte und eine Demonstration vor der Messehalle in Halle vorangegangen.
Einige Mitglieder setzen sich trotzdem dafür ein, über eine andere Antisemitismusdefinition zu diskutieren. Und obwohl den Linken die Zeit davonläuft, beschließen die Delegierten, den Antrag noch auf den letzten Metern zu behandeln. Van Aken spricht dagegen: Er wolle nicht, dass ein Parteitag eine wissenschaftliche Debatte beende. Trotzdem: Eine Mehrheit der Delegierten nimmt den Antrag an. Ob die Debatten innerhalb der Partei über Antisemitismusvorwürfe, die Positionierungen im Nahost-Krieg und Solidarität mit Gaza damit ein Ende haben? Wohl kaum.
Auch mit Blick auf Krieg und Frieden kommt auf dem Parteitag immer wieder Kritik auf. Der eine oder die andere hat wenig Verständnis dafür, dass die Bundesländer Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, in denen die Linken mitregieren, im Bundesrat für das Sondervermögen von Schwarz-Rot gestimmt haben. "Kriegskredite", nennt eine empörte junge Linke das Schuldenpaket.
In einer kontroversen Debatte diskutieren die Delegierten über mehrere Anträge zur Friedenspolitik der Partei, die zu einem zusammengefasst wurden. Der Kompromissantrag wird zwar angenommen – und doch bleibt der Eindruck, dass die Debatte noch nicht beendet ist.
An inhaltlichem Streit und hitzigen Debatten wird die Linke wohl auch in Zukunft nicht vorbeikommen – was an diesem Wochenende aber auch klar wird: Die Partei steht hinter ihrer Spitze, hinter dem gemeinsamen Kurs des Wiederaufbaus und des Comebacks. Nachdem sie ihren Untergang abgewendet hat, muss die Partei einen Weg finden, wie die Mitglieder auch künftig geeint bleiben. Ohne sich durch interne Querelen zu zerreiben.
Verwendete Quellen
- Besuch des Chemnitzer Parteitags der Linken