Der Streit der Ampel-Regierung soll sich nicht wiederholen. Darin sind sich die Koalitionäre einig – und doch kommt es bereits innerhalb der ersten Woche zur öffentlichen Auseinandersetzung. Wie wollen Union und SPD die Ampel-Falle umgehen?
Hauptsache nicht zu viel öffentlicher Streit. Das hat sich die schwarz-rote Koalition vorgenommen. Die Vorgänger-Regierung aus SPD, Grünen und FDP hatte sich im Dauerzwist aufgerieben, die Bevölkerung genervt und auch zu wirtschaftlicher Verunsicherung beigetragen. In der neuen Bundesregierung habe man den "festen Willen", es anders zu machen, sagte Friedrich Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags.
Aller Anfang ist bekanntlich schwer – und so scheint auch Schwarz-Rot noch an der Zusammenarbeit zu feilen. Für erste Aufruhr hat die neue Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) gesorgt. Sie sagte der Funke-Mediengruppe, in die Rentenversicherung sollten in Zukunft auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete einzahlen. Das ist keine neue Forderung – aber sie steht nicht im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Und so lieferten sich Vertreter beider Parteien am Anfang diese Woche eine erste Meinungsverschiedenheit.
Unionsfraktion ist "irritiert"
In der CDU/CSU-Fraktion sei man irritiert gewesen, sagte deren neuer Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Steffen Bilger am Dienstag. Schließlich habe sich
"Regierungsmitglieder sollten sich an dem orientieren, was im Koalitionsvertrag steht", sagte Bilger dazu. Jede Diskussion zu anderen Themen halte nur auf. "Es sind herausfordernde Zeiten. Da kann man es sich nicht leisten, so zu streiten, wie es bei der Ampel der Fall war."
Ein "Anti-Zoff-Pakt" für die Disziplin?
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, verteidigte Bas am Mittwoch: Es sei klar verabredet worden, dass die Sozialversicherungssysteme reformiert werden. Die Fragen, die Bas aufgeworfen habe, müssten mit Experten besprochen werden. Auch bei Schwarz-Rot handele es sich um drei eigenständige Parteien – sicherlich werde es immer wieder vorkommen, dass die auch deutlich machen, wofür sie im Kern stehen. "Das sollte man nicht überhöhen und sagen: Der Ampel-Streit ist zurück", sagte Wiese. Einen solchen Streit sehe er in "keiner Art und Weise".
Was Wiese nicht sagt, für viele im politischen Berlin aber auf der Hand liegt: Bärbel Bas dürfte mit ihren Aussagen vor allem die eigene Basis im Blick haben. Schließlich ist inzwischen bekannt, dass sie demnächst auch Co-Vorsitzende der SPD werden will. Da kann es sinnvoll sein, auf sozialdemokratische Standpunkte zu pochen.
Profilieren, auch wenn man damit Krach provoziert: Genau das wollten die neuen Koalitionäre wie gesagt vermeiden. Die "Bild" berichtet, Union und SPD hätten sich gar auf einen "Anti-Zoff-Pakt" geeinigt: In den 100 ersten Tagen der Regierungszeit solle es demnach keinen öffentlichen Streit geben. CDU-Politiker Bilger sagte dazu am Dienstag, ihm sei ein solches Abkommen nicht bekannt. "Aber ich finde das eine sinnvolle Idee."
SPD-Mann Wiese äußerte sich ebenfalls nicht direkt zum möglichen Anti-Streit-Abkommen. Er sagte aber: "Es gibt keine Sehnsucht nach dem, was wir in der Ampelkoalition erlebt haben." Was dort am Ende gerade zwischen FDP und Grünen abgelaufen sei, sei für die gesamte politische Kultur nicht gut gewesen.
Wenn es dieses Abkommen wirklich gibt, müsste wohl auch der Regierungschef daran erinnert werden: Bundeskanzler
Grüne sehen in Start "kein gutes Signal"
In der Opposition reibt man sich überrascht die Augen. "Es ist kein gutes Signal, dass die jetzt so starten", sagt Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion. Sie weiß natürlich: Die Vorgänger-Koalition, an der auch die Grünen beteiligt waren, hat bei dem Thema negative Maßstäbe gesetzt. Mihalic betont aber, dass zumindest der Start der Ampel noch harmonisch war.
"Wir sind optimistisch, geschlossen und freudig vereint gestartet. Das hat sich erst im Lauf des Regierungshandelns abgeschliffen und wurde erst mit der Zeit konfliktreicher", sagt sie: Nun stelle sie fest: "Die starten ja gleich so, wie wir aufgehört haben – und das ist nicht gut." Sie könne nur hoffen, dass jede und jeder in der neuen Koalition sich in seiner Rolle erst noch finden muss.
Holprige Kanzlerwahl als "heilsamer Schock"
Aus Sicht von SPD-Politiker Wiese müsse man nicht jede Meinungsverschiedenheit "auf die Goldwaage legen", oder immer gleich von Streit sprechen. Dass Friedrich Merz nicht im ersten Wahlgang zum Kanzler gewählt wurde, könnte außerdem ein "heilsamer Schock" gewesen sein. Wiese hätte sich ein anderes Ergebnis gewünscht -– letztlich habe es aber allen vor Augen geführt, dass eine Mehrheit von zwölf Stimmen im Parlament nicht enorm ist. Disziplin ist also gefragt.
In Zukunft sollen solche Schock-Momente aber vermieden werden oder die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen darauf zumindest vorbereitet sein. Zum Tag der Kanzlerwahl waren Bilger und Wiese noch nicht im Amt. Zwischen ihnen herrsche aber ein vertrauenswürdiger Austausch, sagte Wiese. Der SPD-Politiker ist also optimistisch, was die Zusammenarbeit von CDU/CSU und SPD angeht – trotz holprigem Start.
Verwendete Quellen
- Teilnahme an Pressegesprächen von Steffen Bilger, Dirk Wiese und Irene Mihalic.