Die SPD ist bei der Bundestagswahl abgestürzt. Trotzdem könnte Lars Klingbeil nicht nur Minister und Vizekanzler werden, sondern auch Parteivorsitzender bleiben. Wie hat er das geschafft?

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Es scheint derzeit gut zu laufen für Lars Klingbeil. Die SPD, deren Vorsitzender er ist, hat bei der Bundestagswahl zwar ein historisch schlechteste Ergebnis eingefahren. Doch dem 47-Jährigen hat das nicht geschadet. Im Gegenteil.

Klingbeil wird voraussichtlich der starke Mann der SPD in der künftigen Koalition mit CDU und CSU sein. Ein wichtiges Ministeramt kann er sich aussuchen, als Vizekanzler dürfte er gesetzt sein. Und wahrscheinlich behält er auch den Chefposten in der SPD. "Ich wünsche mir, dass Lars Klingbeil Parteivorsitzender bleibt", hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig dem Tagesspiegel gesagt: Klingbeil habe "die Unterstützung der Ministerpräsidenten, die SPD in Regierung, Fraktion und Partei neu aufzustellen", sagte Schwesig.

Für die Wahlschlappe übernahm ein anderer die Verantwortung

Angesichts der vergangenen Monate und Jahre war das nicht unbedingt zu erwarten. Während der Ampelkoalition wirkte der SPD-Vorsitzende bisweilen blass, manchmal geradezu ermüdet vom dauernden Streit der Regierungsparteien. Nachdem die Koalition im vergangenen Herbst zerbrochen war, sorgten Klingbeil und seine Co-Vorsitzende Saskia Esken dafür, dass die SPD erneut mit Bundeskanzler Olaf Scholz an der Spitze in den Wahlkampf zog – und nicht mit dem beliebteren Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Den Trend konnten die Sozialdemokraten nicht drehen. Die 16,4 Prozent am Abend des 23. Februar markierten das bislang schlechteste SPD-Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte.

Dass Klingbeil und Esken gegen einige Bedenken Scholz an die Spitze des Wahlkampfs geschoben hatten, hatte für sie aber auch einen Vorteil: Der Bundeskanzler stand damit als Hauptverantwortlicher für die Wahlniederlage da. Scholz räumte das am Wahlabend selbst ein.

In der Wahlnacht schuf Klingbeil Fakten

Klingbeil zeigte noch an diesem Abend Machtinstinkt. Er schuf Fakten, während die Partei noch in einer Schockstarre verharrte. Am Wahlabend schlug er vor, auch den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion zu übernehmen. "Ich war überrascht, auch etwas überrumpelt", erzählte ein Teilnehmer der nächtlichen Sitzung der Parteiführung "Zeit online". Aber als sich am nächsten Tag Zweifel einstellten, sei es bereits zu spät gewesen.

Der Fraktionsvorsitz ist wohl als Übergangslösung gedacht. Klingbeil hatte damit während der Koalitionsverhandlungen alle Macht der SPD in der Hand. Wenn er tatsächlich ein Ministeramt übernimmt, wird er den Chefposten in der Fraktion wieder abgeben. Parteivorsitzender könnte er trotzdem bleiben – erst recht, seit sich Manuela Schwesig für ihn ausgesprochen hat. Sie gilt in der Partei als sehr einflussreich.

SPD schlug bei Verhandlungen viel heraus

Die Parteispitze wird auf einem Bundesparteitag Ende Juni in Berlin neu gewählt. Klingbeil könnte dort auch mit den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen punkten. Sieben Ministerposten hat er für die SPD herausgeschlagen. Vor allem haben die Sozialdemokraten eine Reform der Schuldenbremse und das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen durchgesetzt. Als Bundesfinanzminister hätte Klingbeil deutlich mehr Gestaltungsspielraum als sein Vorgänger.

Klingbeil gilt in seiner Partei als beliebt und integrierend. Er ist kein Polterer. Seine öffentlichen Auftritte machen ihn kaum angreifbar. Im Gegensatz zu Saskia Esken: Die zweite Vorsitzende der SPD bekommt sogar aus ihrem Heimat-Bundesland Baden-Württemberg Gegenwind.

Und Manuela Schwesigs Plädoyer für Lars Klingbeil machte auch deutlich, für wen sie sich offenbar nicht einsetzt: für Saskia Esken.

Krebserkrankung vor zehn Jahren gab ihm Gelassenheit

Klingbeil wirkt im hektischen Politikbetrieb wie jemand, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Offenbar hat das auch mit einer besonderen Erfahrung zu tun. Im Podcast "Alles gesagt?" der Wochenzeitung "Die Zeit" machte er am Freitag öffentlich, vor mehr als zehn Jahren eine Krebserkrankung überstanden zu haben.

"Ich glaube, dass man ein Stück weit gelassener an Sachen rangeht", sagte er dort. Dies sei ein Grund für die ruhige Art, die ihm oft nachgesagt werde. "Man blickt schon anders auf das Leben, wenn man einmal kurz vor der Klippe stand."

Im Jahr 2014 sei bei ihm Zungenkrebs festgestellt worden. Klingbeil hatte die Krankheit zuvor selbst bemerkt und ärztliche Hilfe gesucht. "Zungenkrebs hat sehr wenig Chancen auf eine Heilung", sagte der SPD-Vorsitzende. Dass er erfolgreich behandelt werden konnte, sei ein "sehr großes Glück" gewesen. (fab)

Verwendete Quellen