Karl Lauterbach kam mit hohen Erwartungen in das Amt, auf das er lange hingearbeitet hatte. Jetzt geht seine Zeit als Bundesgesundheitsminister zu Ende. Was hat er erreicht?
Aus Sicht der SPD war die Ernennung von
Mediziner, Gesundheitsökonom, Professor und Talkshow-Dauergast: Mit Fachwissen und Bekanntheit war Karl Lauterbach von Anfang an besser ausgestattet als viele andere Bundesminister. Die Aufgabe war die Krönung seiner Karriere. "In diesem Amt überschneiden sich mein Selbstverständnis als Arzt und Gesundheitspolitiker", hat er einmal im Gespräch unserer Redaktion gesagt.
Inzwischen steht fest: Er wird es nach knapp dreieinhalb Jahren wieder verlassen, der nächsten Bundesregierung wird Lauterbach nicht mehr angehören. Er hat große Reformen angeschoben, konnte vieles jedoch nicht zu Ende bringen. Und er hat einen hohen persönlichen Preis für dieses Amt bezahlt.
Große Reformen und offene Baustellen
Dreieinhalb Jahre sind keine lange Zeit. Doch sie waren ereignisreich. Lauterbach hat die Corona-Pandemie abgewickelt, wenn auch unter dem beständigen Druck des damaligen Koalitionspartners FDP. Seine größte Reform, sein "Erbe" ist die im vergangenen Herbst beschlossene Krankenhausreform. Sie soll den Kliniken eine bessere Finanzgrundlage verschaffen, sie aber gleichzeitig zu stärkerer Spezialisierung drängen. Wenn das gelingt, ohne die Versorgung im ländlichen Raum zu schwächen, wäre das in der Tat die Revolution, die Lauterbach selbst ausgerufen hat.
Kurz vor seinem Ausscheiden hat er noch die elektronische Patientenakte an den Start gebracht – was in den 20 Jahren zuvor nicht gelungen war. Lauterbach hat Cannabis entkriminalisiert und die Honorar-Obergrenzen für Hausärztinnen und -ärzte abgeschafft, um ihnen Anreize für mehr Patiententermine zu geben.
Die meisten anderen Minister des scheidenden Kabinetts haben eine deutlich dünnere Bilanz.
Auf einem anderen Papier stehen die Vorhaben, die Lauterbach nicht abschließen konnte. Eine Reform der chronisch überlasteten Notaufnahmen muss sein Nachfolger umsetzen. Bei der Kranken- und Pflegeversicherung hat er nur an Stellschrauben gedreht – auch weil sich die zerbrochene Ampelkoalition in dieser Systemfrage komplett uneinig war. Dem vorzeitigen Ende der Koalition fiel auch Lauterbachs "Gesundes-Herz-Gesetz" zum Opfer, mit dem er die Früherkennung und -bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessern wollte. Auch auf einen Weg, die Corona-Pandemie gründlich aufzuarbeiten, konnten sich die Koalitionspartner nicht mehr einigen.
Lauterbach geht, ohne sein angestoßenes Werk wirklich vollenden zu können.
Kraftprobe mit den Verbänden
Sein großes Wissen – und sein Bewusstsein, dieses Wissen zu besitzen – waren nicht immer hilfreich. Wer politisch viel erreichen will, muss Verbündete finden und für sich einspannen. Bundestagsabgeordnete, Ministerialbeamte, Vertreter von Verbänden hatten aber immer wieder den Eindruck, dass der Professor-Minister am besten zu wissen meinte, was zu tun sei.
Einige Vertreter der mächtigen Interessenverbände im Gesundheitswesen weinen dem Minister keine Träne nach. Das muss allerdings nicht gegen ihn sprechen. Lauterbach hatte bewusst die Kraftprobe mit ihnen gesucht. Er wollte verhindern, dass Reformen schon im Entstehen zerpflückt werden, wenn die mächtigen Verbände der Krankenkassen, Kliniken, Ärzte oder Pharmaindustrie ihren Einfluss geltend machen.
Das Gesundheitsministerium sicherte sich die CDU
Am Ende stand auch die Partei, die ihn am Nikolaustag 2021 noch so begeistert ins Amt gehoben hatte, nicht mehr fest hinter ihm. In den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU wurde die SPD-Delegation nicht von Lauterbach angeführt, sondern von der Landespolitikerin Katja Pähle aus Sachsen-Anhalt. Am Ende sicherte sich die Union auch das Recht, den nächsten Gesundheitsminister oder die -ministerin zu stellen.
Damit war klar, dass es für Lauterbach im Ministerium nicht weitergeht. Was hat er jetzt vor? Darüber will er bisher nichts verraten. Lauterbach hat bei der Wahl sein Bundestagsmandat verteidigt. Kehrt er als Gesundheitsexperte ins Parlament zurück und verfolgt von dort aus, wie sein Nachfolger die Macht übernimmt? Schwer vorstellbar. Sucht er sich ein ganz anderes Fachgebiet, macht künftig Klima-, Arbeitsmarkt- oder Kulturpolitik? Auch schwer vorstellbar.
Ein Abschied in Dankbarkeit?
Wie blickt Lauterbach selbst auf das Amt, das seine Karriere krönte? Er gibt sich bescheiden und ehrfürchtig. "Wenn ich in den vergangenen drei Jahren dazu beitragen konnte, dass weniger Menschen schwer erkranken, dass ihre Krankheiten früher erkannt und besser behandelt werden, dass sie vielleicht sogar geheilt werden, bin ich dankbar", erklärt er auf Anfrage unserer Redaktion.
"Ich habe das Amt trotz aller Anfeindungen nie als Last, sondern als Auftrag und Privileg empfunden."
Lauterbach ist kein Mensch, der Gefühle nach außen trägt. Klar ist aber: Er hat für das Amt einen hohen persönlichen Preis bezahlt. Seine pointierten Auftritte in der Corona-Pandemie, sein Einsatz für die Impfung haben ihn zum Hassobjekt der Querdenker-Szene gemacht. Selbst Entführungspläne wurden in diesen Kreisen ausgeheckt. Lauterbach muss auf Schritt und Tritt von Sicherheitsleuten begleitet werden. Eine Bürde, die zum Teil auch seine Familie tragen musste.
Er habe das Amt des Gesundheitsministers trotzdem mit Leidenschaft wahrgenommen, sagt Lauterbach. "Ich habe es daher trotz aller Anfeindungen nie als Last, sondern als Auftrag und Privileg empfunden."