Schmale Streifen, schlechte Beläge – Radfahren ist nach wie vor vielerorts gefährlich. Verkehrsexperten warnen unlängst: Ohne umfangreiche Investitionen bleibt ein "Fahrradland Deutschland" reine Rhetorik.
Ein lückenloses Wegenetz, aber vor allem ein sicheres: Das ist vielerorts für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer immer noch ein großes Problem. Die Realität sieht häufig eher so aus: schmal, holprig oder abrupt zu Ende. Jedes Jahr sterben laut dem Statistischen Bundesamt rund 450 Radfahrerinnen und Radfahrer im Straßenverkehr. Tendenz steigend.
Der Nachholbedarf ist also groß. Laut Verkehrsforscher Jürgen Follmann scheitere es dabei keineswegs am fehlenden Wissen darüber, wie Radinfrastruktur in den Verkehr eingebunden werden kann. "Vielmehr fehlt es an Mut, Pragmatismus und am nötigen Rückgrat in Politik und Verwaltungen", sagte er in einem früheren Gespräch mit unserer Redaktion.
Ideen dafür, wie es besser ginge, gibt es viele. Kürzlich legten Studienautoren im US-amerikanischen Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" ("PNAS") nahe, dass jeder neue Kilometer Radweg im Mittel zu etwa 13.400 Kilometern mehr mit dem Fahrrad zurückgelegter Wegstrecke jährlich führe. In Deutschland hänge laut der Untersuchung die Bevölkerungsdichte unmittelbar mit den zurückgelegten Fuß- oder Radwegstrecken zusammen: Je höher die Bevölkerungsdichte, desto erreichbarer Schulen, Supermärkte oder Ärzte.
Ausbau der Radinfrastruktur könnte überraschende Folgen haben
Mehr Radwege führen der Studie nach zudem auch dazu, dass mehr Strecken zu Fuß zurückgelegt werden. Das könne unter anderem zu erheblichen Einsparungen im Gesundheitssektor führen, schreiben die Wissenschaftler um Adam Millard-Ball von der University of California in Los Angeles. Sie schlussfolgern, dass eine Verdichtung der Stadt eine effektive Maßnahme sein kann, um einen höheren Anteil an Fußgängern und Radfahrern am städtischen Verkehr zu erreichen. Zudem wären Maßnahmen wichtig, die die aktive Mobilität sicherer und komfortabler machen, wie verkehrsberuhigte Bereiche oder sichere Übergänge.
Oft werden die Städte Kopenhagen und Amsterdam als Beispiele für gute Fahrradstädte herangezogen. Um diese Lücke zu schließen, muss sich in Deutschland noch einiges tun. Zwar sei das Auto "ein wichtiges Verkehrsmittel", hält die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag fest, dennoch werde sie den Rad- und Fußverkehr "als Bestandteil nachhaltiger Mobilität stärken und fördern".
Grünen-Verkehrsexpertin fordert "Fahrradmilliarde" und übt scharfe Kritik
In Deutschland ist Radinfrastruktur meistens Länder- oder Kommunensache – ein möglicher Vorteil, der aber auch zu großen Unterschieden im Städtevergleich führen kann. Verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Björn Simon, teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit: "Auch wenn der Bau der Radinfrastruktur Aufgabe der Kommunen ist, werden wir auch in dieser Legislaturperiode den Ausbau der Radinfrastruktur weiter vorantreiben."
Die Regierung wolle "den Bau von Radwegen an Bundesstraßen und Bundeswasserwegen" vorantreiben und die Kommunen mit Förderprogrammen unterstützen, sagt Simon. "Wie bei jedem anderen Verkehrsträger zählt: je attraktiver das Angebot und je zuverlässiger die Infrastruktur, desto höher die Nachfrage bei den Nutzerinnen und Nutzern."
Mit dem "einzigen nichtssagenden Satz" im Koalitionsvertrag zeigt sich verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Swantje Michaelsen (selbst Mitglied beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club), jedoch nicht zufrieden. "Das ist beschämend für ein Land, das Fahrradland werden will!", sagt sie auf Anfrage unserer Redaktion. Dabei hätte ihre Partei mit der Ampel-Koalition bereits die entscheidenden Weichen gestellt: Seit der Reform des Straßenverkehrsrechts könnten Kommunen Radwegenetze deutlich einfacher ausrollen. "Die Bundesregierung muss den Kommunen jetzt bei der Umsetzung helfen, dafür braucht es vor allem eine angemessene finanzielle Unterstützung durch den Bund."
Konkret fordert Michaelsen von der Bundesregierung, die langfristige Finanzierung von Radinfrastruktur sicherzustellen, damit die Kommunen Planungssicherheit für Radverkehrsprojekte hätten. "Mit einer Fahrradmilliarde pro Jahr könnte in den Kommunen viel in Gang gesetzt werden", meint Michaelsen und nimmt den neuen Bundesverkehrsminister in die Pflicht: "Verkehrsminister Patrick Schnieder hat behauptet, dass Radverkehr unter ihm Chefsache wird – dafür reicht es nicht, zur Verkündung der Ergebnisse des Fahrradklimatests zu kommen, das muss er mit Taten, konkret mit dem Haushalt, beweisen."
Wie weit Deutschland mit seinen Radverkehrszielen ist, stellt der sogenannte Fahrradklima-Test fest. Alle zwei Jahre ruft der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Menschen dazu auf, das Fahrrad- und Verkehrsklima in ihren Städten zu bewerten. Das Projekt wird vom Bundesverkehrsministerium aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) gefördert. Am 17. Juni ehrt Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) die fahrradfreundlichsten Kommunen.
Verwendete Quellen
- Statistisches Bundesamt: "Jedes sechste Todesopfer im Straßenverkehr 2024 war mit dem Fahrrad unterwegs"
- Anfragen an die verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU- und der Grünen-Fraktion im Bundestag, Björn Simon (CDU) und Swantje Michaelsen (Grüne)
- Koalitionsvertrag
- dpa