Die elektronische Patientenakte soll für mehr Transparenz und bessere Behandlungen sorgen. Doch das Angebot wird bisher nur wenig genutzt. Gesundheitspolitiker sagen, wie sich das ändern ließe.

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Aus Sicht des früheren Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach handelt es sich um eine Revolution: In seinen letzten Amtsmonaten hatte der SPD-Politiker noch die elektronische Patientenakte (kurz: ePA) an den Start gebracht. Ende April wurde das Angebot bundesweit ausgerollt.

Jedem gesetzlich Krankenversicherten steht seitdem eine ePA zur Verfügung. Sie kann über eine App der Krankenkasse eingesehen werden und bündelt Informationen, die für Behandlungen in Arztpraxen oder Krankenhäusern wichtig sind: Abrechnungen für Arztbesuche, Medikationslisten, Befunde. Jeder Versicherte kann auch selbst Dokumente wie den Impfpass in die Akte laden.

Das Bundesgesundheitsministerium erhofft sich davon mehr Transparenz für Patienten, aber auch eine bessere Behandlung – weil etwa gefährliche Doppelmedikationen vermieden werden. "Mit der elektronischen Patientenakte können allein durch die vermiedenen Medikationsfehler pro Jahr mehrere 10.000 Menschen gerettet werden", sagte Lauterbach Anfang des Jahres im Interview unserer Redaktion.

Umfrage: Elektronische Patientenakte wird bisher nur wenig genutzt

Allerdings lässt sich knapp zwei Monate nach dem bundesweiten Start feststellen: Im Alltag ist die "Revolution" bisher nur bei wenigen Patientinnen und Patienten angekommen. Anfang Juni ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Siemens-Betriebskrankenkasse: 88 Prozent der Befragten haben zwar bereits von dem Angebot gehört – bekannt ist die ePA also durchaus. Allerdings gaben nur 21 Prozent an, es bereits zu nutzen oder noch nutzen zu wollen. Nur neun Prozent der Befragten wurden bereits von einem Arzt oder einer Ärztin darauf angesprochen.

Karl Lauterbach ist inzwischen nicht mehr im Amt – sein Ministerium hat die CDU-Politikerin Nina Warken übernommen. Und klar ist: Bei der elektronischen Patientenakte muss nachgesteuert werden. Gesundheitspolitiker der im Bundestag vertretenen Parteien sehen dafür jedenfalls Bedarf – die eine mehr, der andere weniger.

CDU-Politikerin Borchardt: "Keine zukunftsfeste Lösung"

Aus Sicht der CDU-Politikerin Simone Borchardt ist die elektronische Patientenakte zwar "das Herzstück einer modernen und koordinierten Gesundheitsversorgung". "Doch in der jetzigen Form handelt es sich bei der ePA nicht um die zukunftsfeste Versorgungslösung, die wir dringend benötigen", teilt die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit.

Die Kritik von Borchardt: Aktuell würden in der Akte Dokumente nur als statische PDF-Dateien und nicht als dynamisch aktualisierbare Gesundheitsdatensätze gespeichert. "Ein durchsuchbares, fortlaufend gepflegtes Patientendossier ist so nicht möglich."

Borchardt plädiert für eine cloudbasierte Lösung, "die schon von der Geburt an die Gesundheitsdaten strukturiert speichert und komplette Patientenverläufe verfolgbar macht". So könnten Ärzte, Therapeuten und Pflegekräften gleichzeitig und standortunabhängig auf relevante Informationen zugreifen. Bisher sei das aber nicht möglich.

Matthias Mieves: "Nutzen zeigt sich bereits jetzt"

Weniger kritisch ist Matthias Mieves, stellvertretender gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. "In der vergangenen Woche wurden bereits über 23 Millionen elektronische Patientenakten durch medizinische Einrichtungen geöffnet. Das zeigt: Die Technik funktioniert, und die ePA kommt in der Versorgung an", sagt Mieves auf Anfrage unserer Redaktion. Er ist also der Meinung: Die elektronische Patientenakte wird sehr wohl genutzt, wenn auch eher von Ärztinnen und Ärzten als von Patienten.

"Ihr Nutzen zeigt sich bereits jetzt, auch wenn Versicherte sie nicht aktiv verwenden. Denn medizinisch wichtige Informationen stehen den Behandelnden schnell und sicher zur Verfügung", sagt Mieves. Gut gemachte Technik funktioniere im Hintergrund und entlaste im Alltag, ohne zusätzlichen Aufwand. "Die ePA kann also helfen, ohne aktiv genutzt zu werden", findet Mieves.

Politiker von SPD und Grünen sehen die elektronische Patientenakte generell positiv. Allerdings sehen auch sie Verbesserungsbedarf. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Janosch Dahmen, findet den stockenden Hochlauf jedenfalls "frustrierend".

"Statt konsequent neue Anwendungen wie Arztbriefe, Röntgenbilder oder Impfungen automatisiert nutzbar zu machen, bleibt das System bislang hinter seinen Möglichkeiten zurück", kritisiert er. Das gefährde Vertrauen und verschenke Potenzial für bessere Versorgung, Forschung und Bürokratieabbau. Gefragt seien nun ein Ausbau und eine Weiterentwicklung der ePA zu mehr Nutzerfreundlichkeit.

"Es braucht einen laienverständlichen und barrierefreien Zugang. Die ePA muss aktuell noch benutzerfreundlicher werden."

Patientenbeauftragter Stefan Schwartze

Stefan Schwartze ist der Patientenbeauftragte der Bundesregierung. Er betont ebenfalls: Die ePA habe großes Potenzial für bessere Behandlungen und eine höhere Sicherheit. Außerdem stärke sie die Rolle der Patientinnen und Patienten. "Dazu braucht es allerdings einen laienverständlichen und barrierefreien Zugang. Die ePA muss aktuell noch benutzerfreundlicher werden", fordert Schwartze.

Linke findet die elektronische Patientenakte unausgereift

Auf die Nutzerfreundlichkeit kommt auch die Linken-Gesundheitspolitikerin Stella Merendino zu sprechen. Die elektronische Patientenakte könne ein sinnvolles Instrument sein, sagt sie. Aktuell zeige das Angebot aber, wie Digitalisierung nicht laufen solle: Es sei unausgereift, mit Sicherheitslücken und technischen Hürden versehen – und gleichzeitig sei unklar, wie viele Akteure von Wissenschaft bis Industrie darauf zugreifen können.

Um mehr Menschen von der elektronischen Patientenakte zu überzeugen, brauche sie "einen klaren Nutzen sowie eine einfache, barrierefreie Anwendung: also auch für ältere oder weniger digitalaffine Menschen", sagt Merendino. Zudem müssten die Patientinnen und Patienten volle Kontrolle über die eigenen Daten haben. "Die Menschen müssen sicher sein können, dass ihre sensiblen Gesundheitsdaten nicht missbraucht werden."

Patienten können ePA löschen lassen

Die AfD-Fraktion im Bundestag lehnt die elektronische Patientenakte dagegen generell ab. "Nichts ist privater und schützenswerter als der Gesundheitszustand eines Menschen", teilt ihr gesundheitspolitischer Sprecher Martin Sichert auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Er weist auch auf Diskussionen über die Sicherheit der Gesundheitsdaten hin. Der Chaos Computer Club hatte Ende 2024 mitgeteilt, es sei aus seiner Sicht möglich, die ePA zu hacken. Das Bundesgesundheitsministerium betonte danach, man habe alle möglichen Sicherheitslücken geschlossen. AfD-Politiker Sichert ist trotzdem der Meinung: "Angesichts der bekannt gewordenen erheblichen Sicherheitsmängel und der grundsätzlichen Problematik einer zentralen Speicherung und Verwaltung von sensiblen Patientendaten sollte die ePA umgehend gestoppt werden."

Die elektronische Patientenakte ist übrigens kein Zwang. Wer seine Daten dort nicht gespeichert wissen will, kann bei der eigenen Krankenkasse jederzeit beantragen, dass die ePA gelöscht wird. Auch bevor sie angelegt wurde, konnte man diesem Schritt bereits widersprechen. Bisher hält sich aber auch die Ablehnung in Grenzen. In der bereits erwähnten Umfrage der Siemens-Betriebskrankenkasse gaben 11 Prozent der Befragten an, der ePA widersprochen zu haben.

Verwendete Quellen