Die Diskussion über die Arbeitsbereitschaft in Deutschland wird zunehmend emotional geführt. Während CDU-Politiker wie Carsten Linnemann und Friedrich Merz längere Arbeitszeiten fordern, warnen Experten vor zu viel Emotionen und betonen, dass die Lösung nicht in mehr Arbeitsstunden liegt.
Das Thema Arbeit bewegt derzeit. Zuletzt hatte der CDU-Generalsekretär
Merz fordert mehr Flexibilität für Arbeitnehmer, eine wöchentliche statt täglicher Höchstarbeitszeit. Die Wirtschaft steckt in einer Rezession, der Vorwurf steht im Raum, dass zu wenig gearbeitet wird. Nach Berechnung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) arbeiten Deutsche im Jahr 1036 Stunden, Griechen 1172 Stunden, Polen 1304 Stunden. Sind wir also alle viel zu faul?
Experte: Die Äußerungen adressieren das Problem nicht
Fragt man Experten, ergibt sich ein differenziertes Bild. "Arbeitsbedarf und Produktionspotenzial, also was wir produzieren könnten, wenn wir genug Arbeitskräfte hätten, sind ein Dauerbrenner", sagt Alexander Kritikos aus dem Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Solche Äußerungen pushen das Thema emotional, aber adressieren das eigentliche Problem nicht."
Zunächst müsse man die Begriffe klären, worüber gesprochen wird. Arbeitsproduktivität ist der Wert verkaufter Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens geteilt durch geleistete Arbeit. Die Arbeitszeiten beziehen sich auf die durchschnittliche Arbeitsstunden der Menschen im Land. Wobei nur die dokumentierte Arbeitszeit berücksichtigt, oft Vollzeit und Teilzeit vermischt wird.
Viele leisten schon Überstunden, Frauen würden gern mehr arbeiten
"Ein internationaler Vergleich hilft nicht weiter", sagt Kritikos. Denn es gebe keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der geleisteten Arbeitszeit und der Produktivität in einzelnen Ländern. Die Produktivität in Deutschland steigt derzeit nicht, aber das zentrale Problem sei demografischer Natur: Es kommen weniger Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt als ausscheiden, durch Wegzug oder Rente.
Zudem gebe es zu große Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die Arbeitszeiten."Viele Frauen arbeiten in Teilzeit und würden gerne mehr arbeiten, aber finden oft keine Betreuung für ihre Kinder." Das sei ein zentrales Problem, unzureichende Entlastung durch Kitas und Schulen. Arbeitspotenzial kann auch mit mehr Effizienz, Weiterbildung, Motivation und Technologie steigen. "Wir müssen wegkommen von starrer Stundenarbeitszeit. Viele Leute leisten bereits Überstunden", sagt der Experte.
Die Lösung: 48 Stunden pro Woche und arbeitende Rentner?
Weiteres großes Thema sei die Rente mit 63. "Wir verlieren dadurch Arbeitskräfte", sagt Kritikos,"Menschen müssten bis 67 oder sogar 70 arbeiten, um das demografische Problem zumindest zu einem gewissen Grad zu adressieren." Zuwanderung ist ein weit wichtigerer Faktor, um den Fachkräftemangel im Land zu schließen. Alles keine populären Themen, Parteien links wie rechts können damit Stammwähler vergraulen.
Zumindest gibt es Ideen. Bundeskanzler Merz schlägt 48 Stunden Arbeitszeit pro Woche vor, damit Arbeitnehmer an bestimmten Tagen länger arbeiten können, um andere frei zu haben. Steuerfreie Überstundenzuschläge und Bürokratieabbau sollen Anreize schaffen, länger zu arbeiten. CDU-General Linnemann regt eine Aktivrente an, mit der Rentner 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen können. Sind das die richtigen Lösungen?
Einen Feiertag zu streichen, würde kaum helfen
"Es ist wichtig, dass Menschen die Wahl haben, wie sie ihre Arbeitszeit gestalten", sagt Kritikos. Aber die Idee, eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich einzuführen, sei nicht zielführend, wenn dadurch die Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden sinke. Er glaubt aber nicht, dass die Deutschen fauler würden. "Die ältere Generation neigt dazu, die jüngere Generation als faul zu betrachten, das wiederholt sich."
Aktuell wird auch diskutiert, ob ein Feiertag abgeschafft werden sollte, um Arbeitszeit zu erhöhen, und ob der gesetzlich festgelegte Acht-Stunden-Tag infrage gestellt werden sollte. Gewerkschaften lehnen diese Vorschläge ab, während das IW die Idee unterstützt. "Das Streichen eines Feiertags löst das demografische Problem ganz bestimmt nicht", sagt Kritikos, das habe schon früher wenig bewirkt.
Ist Arbeit eine "unangenehme Unterbrechung der Freizeit"?
Der DIW-Vorstand bleibt dabei: "Die aktuelle Wirtschaftsflaute lässt sich durch den Fachkräftemangel, Infrastrukturprobleme und Überbürokratisierung erklären." Diese Themen seien verschleppt worden und müssten angegangen werden, um die stagnierende Wirtschaft zu beleben. Die Rolle der Gewerkschaften sieht Kritikos dabei zwiespältig wegen ihrer Interessenskonflikte. "Sie vertreten die Interessen ihrer arbeitenden Mitglieder, nicht immer die gesamtwirtschaftlichen Lösungen."
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Er sieht andere verschenkte Potenziale. "Wir haben in Deutschland zu viele Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss." Das seien über zehn Prozent. Oder rettet am Ende die Künstliche Intelligenz alles? "Digitalisierung wird Prozesse beschleunigen, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass wir dadurch weniger Fachkräfte benötigen", sagt Kritikos.
Sinnhaftigkeit mehr gefragt als Statussymbole
Eine grundsätzliche Kritik lautet, dass vor allem junge Menschen keine Lust mehr auf Arbeit hätten. Sie werde, so wiederholt es der Kanzler in Reden, als "unangenehme Unterbrechung der Freizeit" gesehen."Es gab immer fleißigere und weniger fleißige Menschen", sagt Kritikos, es gebe die Wünsche nach Work-Life-Balance, "aber auch viele, die gern mehr arbeiten würden, wenn Bedingungen stimmen."
Viele Unternehmen hätten das erkannt, lockten die knappen Fachkräfte mit speziellen Angeboten. Vielen Arbeitnehmern geht es nicht mehr um Statussymbole wie Häuser, die ohnehin teuer werden. Oft geht es um flexible Strukturen, die zum eigenen Lebensstil passen, Gefühle von Sinnhaftigkeit. Viele Unternehmen hätten das erkannt. "Sie versuchen, Jobs attraktiver zu machen", sagt Kritikos.
Fehlt nur ein Umdenken der Politik, weniger von Fleiß zu sprechen und selbst Probleme anzugehen.
Über den Gesprächspartner
- Alexander Kritikos ist ein deutscher Ökonom und Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Mit einer Professur für Industrie- und Institutionenökonomie an der Universität Potsdam und umfangreicher Erfahrung in der Forschung berät er zudem verschiedene Ministerien in wirtschaftspolitischen Fragen.
Verwendete Quellen
- ardmediathek.de: Caren Miosga: Müssen wir für unseren Wohlstand mehr arbeiten?
- Bundesregierung: Erste Regierungserklärung: "Verantwortung für Deutschland"
- iwkoeln.de: Arbeitszeiten: Griechen arbeiten 135 Stunden im Jahr mehr als Deutsche