Der Föderalismus gehört zu Deutschland – aber er macht politische Prozesse auch kompliziert und teuer. Brauchen wir ihn noch? Zwei unterschiedliche Sichtweisen aus unserer Redaktion.

Meine Meinung
Dieser Meinungsbeitrag stellt die Sicht von Fabian Busch und Thomas Eldersch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

16 Bundesländer. Das bedeutet auch: 16 unterschiedliche Schulsysteme und Polizeibehörden. Der föderale Staatsaufbau, bei dem auch die Bundesländer eigene Parlamente, Regierungen und Entscheidungsgewalt haben, hat in Deutschland zwar Tradition. Aber er steht auch immer wieder in der Kritik. Ist der Föderalismus ein Segen? Oder gehört er abgeschafft?

Pro: Der Föderalismus macht Deutschland vielfältiger und demokratischer

Von Fabian Busch

Wenn es den Föderalismus noch nicht gäbe, müssten wir ihn einführen. Die Bundesländer bilden die regionale Vielfalt ab, die Deutschland ausmacht – und sie erlauben zielgerichtete Politik, passend zu den Bedürfnissen vor Ort.

Das Industrieland Baden-Württemberg braucht eine andere Wirtschaftspolitik als das auf Tourismus ausgerichtete Mecklenburg-Vorpommern. Das an Frankreich grenzende Saarland setzt in Schulen und Nachbarschaftsbeziehungen andere Schwerpunkte als Brandenburg, das eine 270 Kilometer lange Grenzen mit Polen teilt. Nur weil sie ein eigenes Parlament und eine Regierung haben, können Bayern oder Sachsen ihre Eigenständigkeit pflegen und sich von Berlin absetzen.

Ohne Föderalismus wäre Deutschland langweiliger, starrer, Menschen hätten weniger Möglichkeiten, sich politisch einzubringen. Ohne Föderalismus wäre Deutschland aber auch weniger innovativ. Die Bundesländer können Konzepte zunächst auf kleinerer Ebene ausprobieren, die bei Erfolg ein Modell für andere Länder oder den ganzen Bund werden. Die Länder stehen im Wettbewerb um Ideen, Menschen, Unternehmen. Auch das kommt uns allen zugute.

Die USA, Kanada und die Schweiz sind ebenfalls föderal aufgebaute Staaten, in denen die Einzelstaaten oder Kantone sogar mehr Befugnisse besitzen als unsere Bundesländer. An Wohlstand und Innovationskraft dieser Staaten zweifelt trotzdem niemand. Nicht umsonst haben zentralistische Länder wie Großbritannien und Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten Aufgaben an regionale Parlamente oder Präfekten übertragen.

Ja, manchmal sind die Dinge kompliziert – und genau das ist die Idee. In Deutschland lässt sich aus der Hauptstadt weniger von oben nach unten durchregieren. Das verschafft auch politischen Kräften, die im Bund in der Opposition sind, die Möglichkeit, das Land auf anderer Ebene mitzugestalten. In Deutschland ist nicht alle Macht in der Bundeshauptstadt geballt. Nach den Erfahrungen von zwei totalitären Regimen ist das auch gut so.

Bund und Länder sind zur Zusammenarbeit verpflichtet – und damit auch zum Kompromiss. In dieser politischen Tugend sind wir Staaten überlegen, in denen sich politische Gegner erbarmungslos bekämpfen. Dem Bundesstaat sei Dank.

Contra: Deutschland kann sich den Föderalismus nicht mehr leisten

Von Thomas Eldersch

Der Föderalismus gehört abgeschafft. Damit ist nicht das Ende der Bundesländer per se gemeint, sondern das Ende von aufgeblasenen Länderparlamenten, überbordender Bürokratie und einem undurchschaubaren Regeldschungel.

In Deutschland kocht in vielen Bereichen jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Das bayerische Abi ist das Beste in Deutschland, werden vor allem Politiker der CSU nicht müde zu erwähnen. Dafür schließen dort Geschäfte pünktlich um 20 Uhr, während man in fast ganz Deutschland noch ein bis zwei Stunden länger shoppen kann. Und in Reine leistet man sich zwei Bürgermeister und zwei Stromnetze, denn die Stadt liegt zur Hälfte in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen.

Unzählige solcher Beispiele verdeutlichen, warum wir eben doch nicht in einem Deutschland leben. Das geht inzwischen so weit, dass darüber diskutiert wird, ob Berufsabschlüsse aus einem Bundesland in einem anderen nicht akzeptiert werden. Braucht es bald eine Greencard für den Umzug von Berlin nach Köln?

Nicht falsch verstehen – Traditionen und Geschichte der Bundesländer gehören zu ihrem und zum deutschen kulturellen Vermächtnis. Aber 16 Länderparlamente, fast 2.000 Abgeordnete und über 100 Ministerien muss man sich erst einmal leisten können. Dazu kommen massenhaft länderspezifische Vorschriften und Gesetze, die nicht nur den einen oder anderen Bundesbürger in den Wahnsinn treiben, sondern auch die länderübergreifende Zusammenarbeit erschweren.

Sicher, ohne eine regionale Verwaltungsebene wird es auch in Deutschland nicht gehen. Politiker aus Berlin können nicht über jede Baumschutzverordnung wachen. Aber Abgeordnete aus ganz Deutschland tragen schon jetzt dazu bei, dass im Bundestag Stimmen aus jeder Region vertreten sind.

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In Zeiten, in denen Volk und Wirtschaft in einem Bürokratiekorsett eingeschnürt sind, unüberwindbar erscheinende Kosten für Rente, Pflege, Digitalisierung und Infrastrukturerneuerung auf uns zukommen und ein kettensägenschwingender Argentinier vormacht, wie man am Staatsapparat sparen kann, muss man sich zweimal fragen: Kann sich ich Deutschland den Föderalismus noch leisten?

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    Ich finde, beide haben gute Argumente.