Wie würde die Gesundheitsversorgung funktionieren, wenn in Deutschland Krieg herrscht? Im Verteidigungsministerium will man für diesen Fall einen Plan erstellen. Denn bislang ist nur klar, dass vieles unklar ist.

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Es gibt Szenarien, die sich kein Mensch vorstellen will. Zum Beispiel: ein Krieg in Deutschland, eine Front im eigenen Land, Hunderte Verletzte jeden Tag. Auch wenn genau das in der Ukraine seit mehr als drei Jahren grausame Realität ist, ist das Szenario in Deutschland schwer vorstellbar.

Im Bundesverteidigungsministerium will man sich am Montag aber genau darüber Gedanken machen.

"Wir wollen darüber diskutieren, was wir konkret machen können, um vorbereitet zu sein auf diese hoffentlich niemals eintretende Situation", sagt Generaloberstabsarzt Ralf Hoffmann bei einem Pressegespräch.

Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Bundesministerien, der Länder, aus Katastrophenschutz, Hilfsorganisationen und zivilen Gesundheitseinrichtungen sollen beim Symposium "Gesundheitsversorgung in der Landesverteidigung" ein konkretes Szenario durchspielen: Die Bundeswehr muss einen Verteidigungskrieg im eigenen Land führen.

Ralf Hoffmann ist auch wehrmedizinischer Berater des Bundesverteidigungsministers und Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Er betont mehrmals, dass dieser Fall hoffentlich niemals eintrete. Trotzdem brauche man einen Plan auch für diese Situation. "Sich zu trauen, darüber offen zu reden, ist ein ganz wichtiger Schritt."

Im Verteidigungsfall würden Lücken entstehen

An Gesprächsstoff dürfte es nicht mangeln. Denn sicher ist bei dem Thema bis jetzt vor allem, dass vieles unsicher ist. Gäbe es genügend Medikamente und Blutkonserven? Die Versorgung mit Arzneimitteln hat sich in den vergangenen Jahren schon ohne den Verteidigungsfall als lückenhaft erwiesen.

Lücken würden sich auch an anderen Stellen auftun. Generalstabsarzt Norbert Weller sagte vor einem Jahr bei einer Anhörung im Bundestag, im Kriegsfall sei mit mehreren Hundert Verletzten pro Tag zu rechnen. Der Sanitätsdienst der Truppe und die fünf Bundeswehr-Krankenhäuser wären dann mit der Versorgung der Soldatinnen und Soldaten wahrscheinlich mehr als ausgelastet.

Außerdem stehen die Bundeswehr-Krankenhäuser im Friedensfall auch zivilen Patientinnen und Patienten offen – diese müssten im Verteidigungsfall an anderen Kliniken versorgt werden.

Generaloberstabsarzt Hoffmann sieht die Gesundheitsversorgung im Fall der Landesverteidigung deshalb als gesamtstaatliche Aufgabe. Das heißt: Viele Einrichtungen und Akteure wären gefordert – auch das zivile Gesundheitswesen, also die Krankenhäuser und die bereits jetzt überlasteten Rettungsdienste.

Doch wäre das Personal dort auf die massenweise Behandlung von Kriegsverletzungen eingestellt? Aus der Ukraine weiß man, dass es dabei nicht nur um Knochenbrüche geht, sondern auch um Splitterverletzungen und Verbrennungen. Dafür müsste das Personal womöglich besser geschult werden.

Und nicht zu vergessen: Wer würde im deutschen Behördendickicht eigentlich das Kommando haben, wenn so viele verletzte Menschen – sowohl Soldatinnen und Soldaten als auch Zivilisten – bundesweit transportiert und versorgt werden müssen? Auch auf diese Frage gibt es bisher keine Antwort.

Gesetzliche Grundlage fehlt

Die Ampelkoalition wollte dafür eigentlich ein "Gesundheitssicherstellungsgesetz" verabschieden. Es sollte unter anderem die Patientensteuerung und die Bevorratung von Arzneimitteln in Situationen regeln, in denen es sehr viele Menschen zu versorgen gibt. Wie eben in einem Krieg. Doch weil die Koalition zerbrach, kam auch das Gesetz nicht mehr zustande.

Die Bundeswehr hat zwar in den vergangenen Jahren einen "Operationsplan Deutschland" aufgestellt. Er legt aber vor allem den militärischen Rahmen für den Verteidigungsfall fest: Welche Aufgaben hätten Heer, Marine und Luftwaffe? Wie ließen sich Truppen durch das Land transportieren?

Während der "Operationsplan Deutschland" streng geheim ist, will die Bundeswehr die Öffentlichkeit über die Beratungen zur Gesundheitsversorgung durchaus informieren. Das Verteidigungsministerium will mit der Veranstaltung auch ein Signal an die Bevölkerung senden: In Friedenszeiten unterstützt die Bundeswehr zivile Einrichtungen im Inland. Im Kriegsfall wäre es andersherum – dann wäre das Militär auf die Mithilfe der zivilen Organisationen und Einrichtungen angewiesen.

"Wir waren auf all diese Szenarien in den Zeiten des Kalten Krieges bis 1989 selbstverständlich vorbereitet. Danach allerdings wurde alles abgebaut."

Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Strack-Zimmermann: "Dringender denn je"

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europäischen Parlament, begrüßt die Bemühungen des Ministeriums. "Wir waren auf all diese Szenarien in den Zeiten des Kalten Krieges bis 1989 selbstverständlich vorbereitet. Danach allerdings wurde alles abgebaut", sagt die FDP-Politikerin unserer Redaktion. Deswegen sei auch die Gesundheitsversorgung im Krisenfall ein bedeutender Aspekt.

Wenn in Deutschland Autos oder Häuser gebaut werden, würden viele Gefahren stets mitgedacht und in die Planung einfließen, sagt Strack-Zimmermann. "Eine mögliche militärische Gefahr hat Deutschland aber komplett ausgeblendet gelassen." Das gelte auch für die möglichen Folgen hybrider Angriffe.

"Wir werden leider wieder viele militärische Gefahren mitdenken müssen", sagt Strack-Zimmermann. "Angesichts des brutalen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der Tragödie, die wir dort jeden Tag sehen, ist das dringender denn je."

Verwendete Quellen