Über 10.000 ausreisepflichtige afghanische Bürgerinnen und Bürger leben derzeit noch in Deutschland. Innenminister Dobrindt will nun die Ausweisungen vorantreiben – gegen jede Kritik.

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Knapp 11.500 in Deutschland lebende Afghaninnen und Afghanen sind nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ausreisepflichtig. Zum Stichtag 31. Mai hielten sich in der Bundesrepublik 11.423 ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige auf, teilte eine Bamf-Sprecherin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit. Unter ihnen seien 9.602 Menschen mit und 1.821 Menschen ohne Duldung, fügte sie hinzu.

Eine Duldung bedeutet nach Paragraf 60a des Aufenthaltsgesetzes eine "vorübergehende Aussetzung der Abschiebung". Die Ausreisepflicht besteht dabei jedoch im Prinzip fort. Wie viele Straftäter oder Gefährder sich unter den Ausreisepflichtigen befinden, konnte die Bamf-Sprecherin nicht sagen.

Dobrindt will mit Taliban in Afghanistan sprechen

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) strebt mit Blick auf Abschiebungen afghanischer Straftäter aus Deutschland nach Afghanistan direkte Verhandlungen mit der dortigen radikal-islamischen Taliban-Regierung an. "Mir schwebt vor, dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen", sagte Dobrindt in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit dem "Focus".

Dobrindt kritisierte, dass Kontakte zu den Taliban derzeit nur über Dritte stattfänden und forderte, dass sich das ändern müsse. Das Taliban-Regime in Afghanistan ist international nicht anerkannt, regelmäßig gibt es Vorwürfe wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen. Scharfe Kritik an der Äußerung Dobrindts kam von der SPD und den Grünen, die eine Zusammenarbeit mit den Taliban ablehnen.

Auch von der UN kommt Kritik an den Abschiebeplänen der Bundesregierung. Die Bedingungen vor Ort seien noch nicht für Rückführungen geeignet, sagte Arafat Jamal, der Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Kabul. "Wir fordern Länder dringend auf, Afghanen nicht zwangsweise zurückzuschicken", betonte er in einer Reaktion auf Dobrindts Aussagen, wonach er Gespräche mit den radikal-islamischen Taliban in Afghanistan anstrebe, um leichter Abschiebungen von Straftätern zu erreichen. Jamal äußerte sich auf eine entsprechende Journalisten-Frage bei einer Videoschalte im Rahmen einer UN-Pressekonferenz in Genf.

Die Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros, Ravina Shamdasani, wies ebenfalls auf die Frage eines Journalisten auf laufende Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan hin, wie etwa Hinrichtungen oder die Unterdrückung von Frauen. "Es ist nicht angebracht, zum jetzigen Zeitpunkt über die Rückführung von Menschen nach Afghanistan zu sprechen", sagte sie in Genf.

Russland erkennt Taliban-Regime an

Anders geht der Kreml mit dem zentralasiatischen Land um. Als erster Staat weltweit hat Russland die Taliban-Regierung fast vier Jahre nach ihrer erneuten Machtübernahme in Afghanistan anerkannt. "Wir gehen davon aus, dass der Akt der offiziellen Anerkennung der Regierung des Islamischen Emirats Afghanistan der Entwicklung einer produktiven bilateralen Zusammenarbeit einen Impuls gibt", teilte das russische Außenministerium mit. Moskau wolle zudem Kabul Unterstützung bei der Bekämpfung des Terrorismus und des Drogenhandels gewähren, hieß es.

Das Außenministerium der Taliban, Amir Chan Muttaki, sprach auf der Online-Plattform X von einem "historischen Schritt" für die Beziehung zwischen den beiden Ländern. Russland setze anderen Staaten ein gutes Beispiel, teilten die Islamisten mit. Muttaki sprach von einer "neuen Phase positiver Beziehungen, gegenseitigen Respekts und konstruktiven Engagements." In einem beigefügten Video sagte der Minister: "Jetzt, wo der Prozess der Anerkennung begonnen hat, war Russland allen voraus."

Russland erkennt als erstes Land Taliban-Regierung in Afghanistan an

Russland erkennt Taliban-Regierung in Afghanistan an

Man wolle weiter besonders in den Bereichen Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und Drogenkriminalität zusammenarbeiten, hieß es in Moskau.

Moskau hatte im April mit der Streichung der Taliban von seiner Terror-Liste einen ersten Schritt in Richtung einer Normalisierung der Beziehungen gemacht. Im Juli 2024 bezeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin die Taliban als "Verbündete im Kampf gegen Terrorismus".

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt und litt jahrzehntelang unter Krieg. Im Sommer 2021 kehrten die radikalislamischen Taliban inmitten des Abzugs westlicher Streitkräfte an die Macht zurück, viele Staaten und Organisationen fuhren ihre Hilfen für das Land zurück. In Afghanistan haben Menschen kaum Aussicht auf Arbeit, ihre Zukunft ist höchst ungewiss. Vor allem Frauen werden systematisch diskriminiert.

China begrüßt die Anerkennung des Taliban-Regimes

China begrüßte Russlands Entscheidung am Freitag. "Als traditionell freundlicher Nachbar Afghanistans war die chinesische Seite immer davon überzeugt, dass Afghanistan nicht von der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen werden sollte", sagte Außenamtssprecherin Mao Ning in Peking. Sie versicherte überdies: "Egal, wie sich die innere oder äußere Situation Afghanistans verändert: Die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Afghanistan sind nie unterbrochen worden."

Viele afghanische Frauenrechtsaktivistinnen verurteilten Russlands Anerkennung der Taliban-Regierung. Diese legitimiere "ein Regime, das Mädchen von Bildung ausschließt, Menschen öffentlich auspeitschen lässt und von der UNO sanktionierten Terroristen Unterschlupf gibt", erklärte Mariam Solaimanchil, die früher dem afghanischen Parlament angehörte. Russlands Entscheidung signalisiere, "dass strategische Interessen immer über Menschenrechte und internationales Recht gestellt werden".

Auch westliche Länder sind insbesondere wegen des weitgehenden Ausschlusses von Mädchen und Frauen vom öffentlichen Leben in Afghanistan nicht bereit zu einer Normalisierung der Beziehungen zu den Taliban. (afp/dpa/bearbeitet von the)