Der Bundestag verabschiedete am Freitag eine umstrittene Wahlrechtsreform. Vor allem von der Union und den Linken gab es heftige Kritik – sogar eine Klage vor dem Verfassungsgericht droht. Für zwei Parteien geht es um ihre Existenz im Parlament.
Mit der von der Ampel-Regierung auf den Weg gebrachten Wahlrechtsreform könnte eine neue Ära im Bundestag anbrechen. Dabei steht die Reduzierung der Sitze von derzeit 736 auf künftig 630 gar nicht unbedingt im Vordergrund. Viel entscheidender ist die recht kurzfristig vor der Abstimmung mit in den Gesetzesentwurf eingebaute Abschaffung der Grundmandatsklausel.
Eben diese Klausel ist der Grund, warum die Linke in der laufenden Legislaturperiode mit 39 Abgeordneten im Bundestag vertreten ist. Und sie ist auch der Garant, sollte es für die CSU einmal nicht mehr reichen für die Fünf-Prozent-Hürde, dass sie immer noch Politiker nach Berlin schicken darf. Derzeit sitzen 45 Abgeordnete der Christ-Sozialen im Parlament.
Abschaffung der Grundmandatsklausel: Wo liegt das Problem?
Zunächst sah der Plan der Ampel für die Wahlrechtsreform vor, die Sitze im Bundestag auf 598 zu reduzieren. Das lehnte allerdings die Union ab. Und so wurde noch einmal an der Gesetzesvorlage gefeilt. Am Ende kam die Variante mit den jetzt beschlossenen 630 Sitzen heraus. Überraschende weitere Neuerung: die Streichung der Grundmandatsklausel.
Diese sieht vor, dass Parteien, denen es nicht gelungen ist, bei der Wahl fünf Prozent der Zweitstimmen auf sich zu vereinigen, dennoch in den Bundestag einziehen können. Sollten sie mindestens drei Direktmandate (Erststimme) bekommen haben, dürfen sie Abgeordnete in den Bundestag schicken.
Profitiert von dieser Regel hatte bei der vergangenen Bundestagswahl 2021 die Linke. Sie erreichte nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen. Da sie aber drei Direktmandate gewinnen konnte, zog sie in das Parlament ein. Nach dem neuen Wahlrecht wäre sie jedoch leer ausgegangen.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, warf der Ampel deshalb "Arroganz" vor. Sie habe die Änderung kurz vor der Abstimmung einfach so "hingerotzt". "Ihnen geht es doch vor allem darum, als SPD eine linke Kritik auszuschalten", schimpfte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch.
Die CSU könnte es noch härter treffen
Besonders hart könnte die Abschaffung der Grundmandatsklausel die CSU treffen. Die Schwesterpartei der CDU bekam bei der vergangenen Bundestagswahl 5,2 Prozent der Zweitstimmen – zog also ohnehin in den Bundestag ein. Sollte sie allerdings bei der nächsten Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, müsste der Bundestag wohl auf fast alle Abgeordnete aus dem Freistaat verzichten.
45 von 46 Direktmandaten konnte die CSU in Bayern erringen. Diese würden wegfallen, sollte sie nicht genug Zweitstimmen bekommen. Dementsprechend war die Stimmung bei den Christ-Sozialen vor und nach der Abstimmung.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, der Plan ziele darauf ab, die Linke aus dem Parlament zu drängen und "das Existenzrecht der CSU" infrage zu stellen. "Sie machen hier eine Reform für sich selbst", um den
"Machtanspruch der Ampel" zu zementieren. CDU-Chef
Linke und Union wollen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen
CDU, CSU und Linke halten das neue Wahlrecht für verfassungswidrig. Sie wollen es daher von Karlsruhe überprüfen lassen. Der Politologe Albrecht von Lucke sieht diesen Schritt im Gespräch mit "ntv" als völlig legitim und sogar ratsam an. "Ich halte tatsächlich die Klagen vor dem Verfassungsgericht für zwingend erforderlich. Das (Streichung der Grundmandatsklausel, Anm. d. Red.) wäre für mein Verständnis ein eklatanter Verstoß gegen das Verhältnis von direkten Mandaten und Zweitstimmen."
Von Lucke ordnet aber auch ein. Die CSU bremste in den vergangenen Jahren immer wieder eine Reform des Wahlrechts aus. "Das ist der große Vorwurf, den man der Partei machen muss. Sie hat sich immer wieder auch Vorschlägen der CDU gegenüber verweigert. Jetzt muss sie möglicherweise dafür ein hohes Lehrgeld zahlen."
In der Abschaffung der Grundmandatsklausel sieht von Lucke eine "völlige Entwertung der Erststimme". Für ihn wäre eine im Vorfeld diskutierte Anhebung der Grundmandatsklausel auf beispielsweise 15 Direktmandate der bessere Weg gewesen. "Dann wäre noch ein gewisses Maß gehalten. Aber so, wie von der Ampel jetzt beschlossen, kann es nicht gehen."
Die Ampel-Regierung verteidigt ihren Gesetzesentwurf
Auf die Kritik, die Ampel wäre nur auf ihren eigenen Machterhalt fixiert gewesen, antwortete der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann, Ziel des Vorhabens sei "ein einfaches, nachvollziehbares Wahlrecht" gewesen.
CDU-Chef Merz wollte die Abstimmung noch kurz vorher verschieben. Darauf reagierte FDP-Fraktionschef Christian Dürr wie folgt: Dass die Union Minuten vor der Abstimmung neue Einwände eingebracht habe, zeige, dass sie an einer Lösung nicht wirklich interessiert gewesen sei. Er wies "Verleumdungen" der CSU zurück: "Die CSU ist nicht das Opfer dieser Wahlrechtsreform, bei der alle Parteien gleichermaßen zur Verkleinerung des Bundestages beitragen."
"Ich wusste nicht, dass die CSU die Fünf-Prozent-Hürde fürchtet", bemerkte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, süffisant. Um dieses Risiko zu minimieren, könnten CDU und CSU bei Wahlen künftig als Parteienverbund antreten oder eine Liste eingehen. Dies sei aber nicht möglich, wie von Lucke erklärt. "Das hat das Verfassungsgericht bereits ausgeschlossen, weil damit die CDU die Schwesterpartei huckepack nehmen würde."
Verwendete Quellen:
- Mit Material der dpa
- n-tv.de: Von Lucke zu "bedenklicher" Reform - "Fliegt die Linke raus, freut sich vor allem die AfD"

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