Die Bundeswehr soll massiv wachsen – tut sich aber schwer, neues Personal zu gewinnen. Was sich ändern muss und wie das gehen soll, erklärt der Bundeswehr-Experte Martin Elbe im Interview.

Ein Interview

Seit den 90er-Jahren ist die Zahl der Bundeswehrsoldaten fast kontinuierlich gesunken. Doch seit Russland die Ukraine angreift und massiv aufrüstet, wird umgedacht. Die Truppe soll deutlich wachsen, womöglich um ein Viertel – und zwar schnell.

Dass das nicht einfach wird, zeigt der Personal-Experten Martin Elbe vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) im Interview mit unserer Redaktion. Ein Gespräch über die Frage nach der Wehrpflicht, die Bedeutung von Reservisten und folgenschwere Fehler im System.

Herr Elbe, die Bundeswehr braucht mehr Soldatinnen und Soldaten. Doch in den vergangenen Jahren wurden es immer weniger. Was läuft da schief?

Martin Elbe: Viele verlassen die Bundeswehr aus Altergründen. Die Baby-Boomer-Jahrgänge nachzubesetzen, ist leider alles andere als leicht. Immerhin ist es in den letzten zwei Jahren gelungen, die Zahl der Bewerber und die Zahl der Einstellungen zu erhöhen. Das genügt aber noch nicht, um die Abgänge zu kompensieren.

Aktuell hat die Bundeswehr rund 181.000 Soldatinnen und Soldaten. Bis 2031 sollen es 203.000 werden. Verteidigungsminister Pistorius spricht schon von 240.000. Ist das nicht völlig unrealistisch?

Schon auf 203.000 zu kommen, wird äußerst schwierig, wenn wir die Rekrutierungsstruktur nicht ändern. Daher die Idee eines freiwilligen Wehrdienstes nach dem schwedischen Modell.

Sie glauben, das genügt?

Die Bundeswehr braucht nicht den kompletten Jahrgang und Ausbildung kostet ja auch. Insofern finde ich es vernünftig, erst mal auf Freiwilligkeit zu setzen, wie die Regierung es plant. Wenn man es schafft, die jungen Männer und Frauen so anzusprechen, dass sie Lust auf die Bundeswehr bekommen und die Bewerberzahlen entsprechend nach oben gehen, brauchen wir keine formelle Wehrpflicht.

Seit die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, gibt es den Freiwilligen Wehrdienst, nur: Jeder Dritte bricht ihn vorzeitig ab. Die Quote beim Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz ist ähnlich.

Natürlich wollen wir die Zahl der Abbrecher senken, aber man muss die Kirche auch mal im Dorf lassen: In der dualen Berufsausbildung brechen über 20 Prozent ab, im Handwerk sogar 36 Prozent. Dass nicht jeder bei der Berufswahl gleich das Richtige für sich findet, ist normal.

Über den Gesprächspartner

  • Professor Martin Elbe ist Soziologe mit Schwerpunkt Personalmanagement und Weiterbildungsforschung. Seit 2016 ist er am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam tätig.

Durch den Ukraine-Krieg hat Verteidigung heute wieder einen höheren Stellenwert. Gleichzeitig steigt die Gefahr, als Soldat auch in den Einsatz zu müssen. Ist die geopolitische Situation für die Bundeswehr als Arbeitgeber Vor- oder Nachteil?

Weder noch. Ich habe 2022 eine Bewerberstudie für die Bundeswehr gemacht, da war schon Krieg in der Ukraine. Aber das haben aber nur vereinzelte Bewerber thematisiert.

In einer Erhebung von Ipsos für das ZMSBw haben vergangenes Jahr 49 Prozent der Befragten die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber eingeschätzt. 2017 waren es noch 69 Prozent. Wie ist das zu erklären, wenn nicht mit dem Krieg?

Das Angebot am Arbeitsmarkt ist über die Jahre immer besser geworden. Die Generation Praktikum fand selbst mit abgeschlossenem Studium nicht gleich eine Festanstellung. Die Generation Z kann es sich aussuchen. Das spüren ja auch andere Branchen: Wer hält den Bäcker noch für einen attraktiven Beruf?

Wo lässt sich ansetzen?

Ein Problem ist, dass gerade vielen jungen Leuten zu wenig bewusst ist, was die Bundeswehr alles bietet: über tausend verschiedene Berufsbilder, ganz verschiedene Anforderungsniveaus, Ausbildungen und Studiengänge. Es werden ja nicht nur Soldaten gesucht, sondern auch Mitarbeiter im zivilen Bereich.

Der Löwenanteil bei den Soldatinnen und Soldaten sind Zeitsoldaten. Wie kann man sie langfristig an die Truppe binden?

Wenn es nach mir ginge, würde man diese Zeitverträge abschaffen. Das Auslaufen eines Vertrags ist für viele sicher der Moment, zu sagen: 'Ach ja, dann probiere ich jetzt nochmal was Neues'. Sich aktiv um eine Verlängerung bemühen zu müssen, ist etwas ganz anderes, als einfach zu bleiben.

Gen Z will nicht für Deutschland in den Krieg ziehen

"Persönliche Freiheit und Selbstbestimmung waren in den Interviews die mit Abstand häufigsten Gründe der Generation Z gegen einen Wehrdienst – nach dem Motto: 'Ich lass mir doch nicht vorschreiben, was ich mit meinem Leben mache‘“, sagte Generationenforscher Dr. Rüdiger Maas. Im Rahmen der Jugendtrendstudie erklärte sich der Großteil der befragten Personen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren gegen eine Wehrpflicht.

Warum hält die Bundeswehr an diesem Modell fest?

Das Hauptargument ist, dass eine Armee viele junge, sprich körperlich belastbare Soldaten braucht. Aber viele Ältere sind genauso fit und nicht jeder muss gleichermaßen körperlich belastbar sein, um seinen Dienst gut ausüben zu können. Bei der Polizei funktioniert es ja auch – die haben auch keine Polizisten auf Zeit.

Wenn die Bundeswehr so dringend Personal braucht: Wie kann es da sein, dass sie fast eine Million Reservisten nicht kontaktieren kann – aus Datenschutzgründen. Das hat der Chef des Reservistenverbands jüngst zugegeben.

Bis 2011 war es so: Wer die Bundeswehr nach dem Grundwehrdienst verließ, war verpflichtet, nach einem Umzug die neue Adresse mitzuteilen. Das hat natürlich nicht jeder gemacht, aber in den meisten Fällen war Kontakt gut möglich. Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht wurde auch die Wehrüberwachung eingestellt. Plötzlich hatte man keinen Zugriff mehr auf die Daten ehemaliger Soldaten. Deshalb können wir einen Großteil der 930.000 Reservisten, die theoretisch aktiviert werden könnten, nicht anschreiben. Man könnte höchstens einen Aufruf starten.

Was tun?

Das Verfahren muss sich ändern, sodass Namen mit Einwohnermeldedaten abgeglichen werden können. Und die Strukturen. Momentan hat die Bundeswehr gar nicht das Personal, um sich in der Breite um Reservisten zu kümmern. Das muss finanziell unterfüttert werden.

Derzeit gibt es rund 34.000 aktive Reservistinnen und Reservisten. Welche Bedeutung kommt ihnen zu?

Die Bandbreite ist groß. Manche machen nur von Zeit zu Zeit mal eine Wehrübung mit, andere üben mehrere Monate im Jahr und absolvieren auch Lehrgänge. Aber so oder so: Reservisten sind wichtig. Man muss kein hauptamtlicher Soldat sein, um einen Beitrag leisten zu können.

Schlummert da noch ungenutztes Potenzial?

Empfehlungen der Redaktion

Im Vergleich mit anderen NATO-Staaten stehen wir bei der Zahl der Reservisten nicht schlecht da. Aber klar: Da wir seit 2011 deutlich weniger ausgebildet haben, war auch der Zuwachs an Reservisten deutlich geringer. Jetzt müssen wir auch wieder verstärkt auf Reservisten setzen.

Verwendete Quellen: