Hohe Mieten und Wohnungsnot sind die zentrale soziale Frage in Deutschland. Das spürt man nirgends so deutlich wie in München. Oberbürgermeister Dieter Reiter würde die Lage gern verbessern. Doch dafür bräuchte er Hilfe aus Berlin.

Lichtdurchflutet, geräumig und in bester Lage direkt im Stadtzentrum: Wäre das Büro von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) eine Mietwohnung, könnte sie sich wohl kaum jemand leisten. Denn bei den Mieten führt München seit Jahren die Ranglisten als teuerste Stadt Deutschlands an.

Und nicht nur hier, rund um den Marienplatz, werden Spitzenpreise aufgerufen – und bezahlt. München boomt. In der Stadt haben sich zahlreiche große Unternehmen angesiedelt und bieten vielen Menschen Arbeitsplätze. Gleichzeitig wird der Platz in der bayerischen Landeshauptstadt immer enger.

Was also tun? Fragen an den Mann, der den Mietenwahnsinn täglich managen muss.

Herr Reiter, in München liegt der durchschnittliche Mietpreis inzwischen bei über 20 Euro pro Quadratmeter. Wie sehr treibt Sie das um?

Dieter Reiter: Politisch gesehen ist es das wichtigste Thema. Es geht um die existenzielle Frage, wie man es schafft, dass sich Menschen, die hier geboren sind oder seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten, die Stadt auch in Zukunft noch leisten können.

Besonders für viele Berufsgruppen, auf die München als Stadt angewiesen ist – etwa Erzieher und Polizeibeamte -, wird das immer mehr zum Problem. Spüren Sie das bereits?

Klar merken wir das. Zum Beispiel bei den Busfahrern. Wir finden hier kaum noch Personal, wenn wir nicht gleichzeitig sagen: Wir bieten auch Wohnraum für diese Menschen an. Dasselbe gilt für das Pflegepersonal. Wenn wir Kliniken bauen, schaffen wir deshalb auch immer Wohnraum für die Angestellten. Das allein reicht aber nicht.

"Vermieter profitieren aktuell leistungslos davon, dass München so erfolgreich und attraktiv ist."

Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München

Müsste die Stadt nicht auch die Privatwirtschaft stärker in die Pflicht nehmen, damit große Unternehmen hier Wohnraum schaffen?

Das würde ich sehr gerne. Und ich versuche es auch – nur habe ich kein Druckmittel. Den High-Tech-Unternehmen in München wie Google, Microsoft oder Facebook ist das gelinde gesagt egal. Die bezahlen ihr Personal so gut, dass die sich jederzeit eine Wohnung hier leisten können. Das befeuert aber den Verdrängungsprozess in München weiter. Mit Folgen auch für diese Firmen. Auch sie brauchen Personal, das den Laden am Laufen hält: vom Pförtner, über den Kantinenmitarbeiter bis hin zum Sicherheitsdienst. Dasselbe gilt für die angestammten Dax-Konzerne.

Was für Druckmittel bräuchten Sie, um die Privatwirtschaft stärker einzubinden?

Eine Gesetzesänderung, die es uns erlaubt zu sagen: Du bekommst eine Baugenehmigung für dein Gewerbe – aber du musst gleichzeitig die Unterbringung von 10 Prozent deiner Mitarbeiter abdecken. Das heißt nicht, dass diese Firmen Wohnungen bauen müssen. Sie könnten auch Belegrechte oder Genossenschaftsanteile kaufen.

Bau- und Wohnungspolitik ist Sache des Bundes. Was müsste die neue Regierung tun, um die Situation zu verbessern?

Die Kappungsgrenze müsste deutlich sinken. Aktuell dürfen Bestandsmieten um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren steigen, laut neuem Koalitionsvertrag soll sie auf 11 Prozent gesenkt werden. Für München reichen auch drei Prozent, finde ich. Vermieter profitieren aktuell leistungslos davon, dass München so erfolgreich und attraktiv ist. Ihre Immobilien gewinnen jedes Jahr an Wert, ihr Vermögen wächst also jedes Jahr, ohne dass sie einen Finger dafür rühren müssen. Warum soll man also noch ihre laufenden Einnahmen stärken? Sinnvoll wären deshalb auch feste Miet-Obergrenzen. Heißt: Ab einem bestimmten Quadratmeterpreis wäre dann keine Erhöhung mehr möglich.

"Egal, welche politische Couleur: Niemand traut sich an echte Reformen."

Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München

Die Mietpreisbremse reicht Ihnen nicht?

Bei uns ist die Ausgangsmiete schon so hoch, dass die Mietpreisbremse allein deshalb nicht effektiv ist. Eine Reform des Mietspiegels ist seit 15 Jahren Dauerthema. In dem sind bislang nur Neuvermietungen enthalten. In München wird aber keine einzige Wohnung günstiger, wenn ein neuer Mieter einzieht. Deshalb kann der Mietspiegel nur nach oben gehen. Wenn wir die Bestandsmieten miteinbeziehen, würde die Steigerung zumindest deutlich flacher ausfallen. Denn auch in München gibt es Wohnungen, die seit Jahrzehnten für 5 bis 8 Euro pro Quadratmeter vermietet werden.

Und was hören Sie aus Berlin zu solchen Vorschlägen?

Ich bin vor zehn Jahren mit diesen Themen erstmals an die damalige Bundesregierung herangetreten. Aber egal, welche politische Couleur: Niemand traut sich an echte Reformen. Die Bundesregierung geht immer noch davon aus, dass es Regeln gibt, die für ganz Deutschland gelten könnten.

Und das ist nicht so?

Die Zeiten sind vorbei. In den Ballungsräumen haben wir völlig andere Bedingungen als beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern. Dort bekomme ich für 400 Euro eine Zwei-Zimmer-Wohnung. In München reicht das für einen Tiefgaragen-Stellplatz. Diese Unterschiede mit denselben Vorschriften abdecken zu wollen, ist schlicht falsch.

"In letzter Konsequenz sind Hilfen wie das Wohngeld ein Subventionsprogramm für Vermieter."

Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München

Mehr Mieterschutz bedeutet aber auch, dass Bestands- und Neuvertragsmieten weiter auseinanderklaffen. Das führt zum Lock-in-Effekt: Menschen bleiben in ihren Wohnungen.

Würden wir dem Markt in München einfach freien Lauf lassen, könnte sich kein Rentner, keine Rentnerin das Leben in der Stadt noch leisten. Der Mietspiegel ist eine Farce. Aktuell liegt er bei 15,38 Euro pro Quadratmeter. Dafür findet man in München keine einzige neuvermietete Wohnung. Vermieter müssen in München nicht mit dem Hut herumgehen. Bei Neuvermietungen können sie im Grunde verlangen, was sie wollen. Daher müssen wir regulierend eingreifen.

Heißt: Das Gesetz von Angebot und Nachfrage funktioniert auf dem Wohnungsmarkt in München nicht?

Das ist exakt der Punkt. Und er hat noch eine weitere Dimension. Je höher die Quadratmeterpreise sind, umso mehr Menschen brauchen Hilfe, weil sie ihre Miete nicht bezahlen können. Sie zu unterstützen, ist richtig. Aber: In letzter Konsequenz sind Hilfen wie das Wohngeld ein Subventionsprogramm für Vermieter. Deren Einkommen ist weiterhin gesichert, aber die Mietpreise sinken kein Bisschen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Sie fordern immer mehr Eingriffe in den Mietmarkt. Dabei ist der bereits jetzt stark reguliert – und die Ergebnisse stimmen nicht. Warum dann immer mehr davon?

Es geht nicht darum, die Marktwirtschaft außer Kraft zu setzen. Klar könnte man auch festlegen: Kein Quadratmeter Wohnraum in Deutschland darf mehr als 15 Euro kosten. Das ist aber ebenfalls nicht sinnvoll. Damit würde man den Anreiz, Wohnungen zu bauen gefährden. Zum Spaß baut schließlich auch niemand. Und wenn ich das Angebot verknappe, führt das auch nicht dazu, dass die Preise fallen.

"Ich glaube, die SPD hat in den letzten Jahren die falschen Schwerpunkte gesetzt."

Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München

Sowohl das Bau- als auch das Justizministerium sind jetzt in der Hand der SPD. Stimmt Sie das optimistisch?

In der letzten Bundesregierung war die FDP der Bremser. Es wäre wünschenswert, dass diese Dinge schnell umgesetzt werden – aber die Union wird begeistert sein von solchen Ideen (lacht). Im Ernst: Es ist die Kernklientel der SPD, die von einer Reform des Mietrechts profitieren würde. Die Ampel stand in der Kritik und hat hier nicht viel erreicht. Aber als Kommunalbeamter bin ich es, der den Bürgern auf der Straße die Misere erklären muss. Und nicht ein Minister oder eine Ministerin aus Berlin.

Die SPD hat bei der Bundestagswahl mit 16,4 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Trotzdem findet keine Aufarbeitung statt. Wieso nicht?

Ich kann nur für mich sprechen, aber: Ich glaube, die SPD hat in den letzten Jahren die falschen Schwerpunkte gesetzt. Wir haben uns zu sehr um Menschen gekümmert, die nicht arbeiten. Und zu wenig um die, die jeden Morgen aufstehen und dieses Land am Laufen halten. Das muss sich ändern. Und das weiß auch Lars Klingbeil.

Lars Klingbeil ist eins der Gesichter des Wahldebakels. Doch während Saskia Esken gehen muss, fällt er nach oben. Ist das fair?

Es ist gut, dass er an der Spitze steht. Mir fehlt die Fantasie, wie die SPD wieder aufgerichtet werden kann, wenn alle aufhören würden, die zuletzt Verantwortung getragen haben.

Sie werben also für mehr Pragmatismus und weniger Linkskurs.

Noch weiter nach links geht es bundespolitisch kaum, oder? Da gibt es auch eine Partei. Und die Leute wählen im Zweifel das Original. Mir geht es darum, dass wir uns klarmachen: Wer gehört zu unserer Zielgruppe? Dazu gehört der Siemens-Mitarbeiter, der 5.000 Euro brutto verdient. Das ist in einer Stadt wie München nicht viel. Aber diese Menschen gehören zur Mitte. Und die wollen nicht das Gefühl haben, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt. Die müssen wir wieder erreichen.

Auf die linkere Mitte zielen aber auch die Grünen. Auch hier ist die Konkurrenz stark.

Empfehlungen der Redaktion

Als Münchner Oberbürgermeister kann ich sagen: Die Grünen vertreten insbesondere eine urbane, besserverdienende und gebildete Klientel. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber das ist nicht die Mehrheit, da bleibt viel Platz für die SPD. Allerdings sollten wir dann auf bestimmte Aussagen verzichten. Ich denke an die eines ehemaligen SPD-Generalsekretärs, der BMW verstaatlichen wollte. Bei sowas fassen sich viele Menschen an den Kopf. Ich übrigens auch.

Über den Gesprächspartner:

  • Dieter Reiter ist am 19. Mai 1958 in Rain am Lech geboren. Nach München zieht er bereits 1960. 1981 macht er seinen Abschluss als Diplomverwaltungswirt. Anschließend arbeitet er bis 2009 in der Stadtkämmerei. Danach ist er bis 2014 als berufsmäßiger Stadtrat als Referent für Arbeit und Wirtschaft aktiv. 2014 folgt die Wahl zum Oberbürgermeister Münchens, 2020 wird Reiter wiedergewählt.