Weil US-Präsident Donald Trump die Welt vor den Kopf stößt, rücken Europäer und Kanadier enger zusammen. Manch einer hält sogar einen EU-Beitritt Kanadas für möglich. Blick auf eine Freundschaft mit Potenzial.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Jahr 2025 hat für Kanada turbulent begonnen. Man könnte vielleicht sagen: Ein Gefühlschaos hat die rund 40 Millionen Menschen zwischen Atlantik und Pazifik, zwischen den Großen Seen und der Arktis ergriffen. Der neue US-Präsident Donald Trump hat seinem Nachbarland nicht nur den Zollkrieg erklärt. Er hat auch damit gedroht, Kanada als 51. Staat den USA einzuverleiben.

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Trumps erste Monate im Amt haben Kanada erschüttert. So viel steht fest. Doch womöglich geht das Land gestärkt daraus hervor. Weil es nun enger zusammenrückt und andere Partnerschaften verfestigt. Auch mit Europa.

Denz: "Es herrscht eine Aufbruchstimmung"

Yvonne Denz. © Dann Tardif

Es sei spannend, was Trumps Äußerungen in Kanada ausgelöst haben, sagt Yvonne Denz unserer Redaktion. Sie ist Präsidentin und Geschäftsführerin der Deutsch-Kanadischen Industrie- und Handelskammer mit Sitz in Toronto. Kurz nach der Amtseinführung seien viele Menschen im Land verzweifelt gewesen, erzählt Denz. "Das hat sich inzwischen gewandelt. Es herrscht eine Aufbruchstimmung – und das ist nicht nur Zweckoptimismus."

Der Handelskonflikt mit den USA sei ein Weckruf gewesen. "Die Menschen in Kanada sind zusammengerückt", sagt Denz. Das Land erlebt einen Aufschwung des Patriotismus und macht sich ernsthafte Gedanken, wie es den wirtschaftlichen Austausch im Inneren vorantreiben kann.

Mehr Unabhängigkeit von den USA

Der Bundesstaat Kanada ist das der Fläche nach zweitgrößte Land der Erde und besteht aus zehn Provinzen und drei Territorien. Die meisten davon liegen aufgereiht entlang der fast 9000 Kilometer langen kanadisch-US-amerikanischen Grenze. Auf den mächtigen Nachbarn im Süden war Kanada bisher wirtschaftlich stark ausgerichtet.

Die Handelswege der einzelnen Provinzen sind in Richtung USA häufig besser ausgebaut als in die kanadische Nachbarprovinz. Außerdem herrschen zwischen den kanadischen Bundesstaaten zum Teil schärfere Handelshemmnisse als innerhalb der Europäischen Union. Missstände, die Kanada nun beseitigen will.

Selbst Provinzen wie das französischsprachige Quebec oder das erdölreiche Alberta, die ihr Glück bisher eher in der Unabhängigkeit gesucht haben, besinnen sich jetzt auf die gemeinsame Stärke im Bundesstaat.

CETA hat Handel mit Europa beflügelt

Zudem sucht das Land Verbündete in der Welt. "Kanada war immer schon eine Handelsnation", sagt Yvonne Denz. "Der starke Glaube an den Freihandel trägt auch zur Offenheit der Kanadier bei."

Vor allem für den Osten des Landes spielt das transatlantische Bündnis mit Europa eine zentrale Rolle. Seit 2017 ist das Freihandelsabkommen CETA zwischen der Europäischen Union und Kanada vorläufig in Kraft. Aus Sicht des SPD-Bundestagsabgeordneten Bernd Rützel ist es ein wirtschaftlicher Erfolg: "Der Handel untereinander hat zugenommen, die Gewinne der beteiligten Unternehmen sind gestiegen", sagt Rützel unserer Redaktion. Er war in den beiden vergangenen Wahlperioden Vorsitzender der deutsch-kanadischen Parlamentariergruppe des Bundestags.

"Wir teilen mit den Kanadiern viele gemeinsame Werte: Offenheit, Solidarität, kultureller Austausch."

Bernd Rützel

Vor allem im Automobilbau, in der Chemie- und Energiebranche arbeiten Unternehmen von beiden Seiten des Atlantiks zusammen – und investieren fleißig. Um nur ein paar Beispiele zu nennen:

  • Ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn hat den Auftrag für Planung, Bau und Betrieb eines regionalen Schienennetzes bekommen, das Kanadas Wirtschaftsmetropole Toronto mit ihrem Umland vernetzen soll.
  • Eine Volkswagen-Tochter baut im Bundesstaat Ontario eine "Gigafactory" für die Fertigung von Elektroauto-Batterien.
  • Siemens plant ebenfalls in Ontario ein Forschungs- und Entwicklungszentrum für Künstliche Intelligenz in der Batterieproduktion.
  • Mehrere große Unternehmen arbeiten an der Produktion von grünem Wasserstoff in Kanada – und an dessen Transport über den Atlantik nach Europa.

Europa sei mit Kanada bereits eng verbunden, sagt Bernd Rützel. Aber der Austausch könne auch noch enger werden. "Kanada ist das europäischste Land auf dem amerikanischen Kontinent. Wir teilen mit den Kanadiern viele gemeinsame Werte: Offenheit, Solidarität, kultureller Austausch."

Kanada freut sich über Zeichen der Solidarität

Trumps Gebaren in den USA hat auch politische Folgen. Die in Kanada regierenden Liberalen waren bei der nächsten Parlamentswahl eigentlich schon abgeschrieben. Doch nach dem Rückzug von Justin Trudeau kann sich der neue liberale Premier Mark Carney jetzt Hoffnungen auf einen Sieg bei den vorgezogenen Wahlen am 28. April machen. Die Liberalen haben Trump die Stirn geboten. Und zwar deutlicher als die oppositionellen Konservativen, die sich zuvor Hoffnungen auf einen Sieg gemacht hatten. Die USA seien "kein verlässlicher Partner mehr", schimpfte Carney – und traf damit die Gefühlslage vieler seiner Landsleute.

Trumps Gerede von Kanada als 51. US-Bundesstaat hat die Menschen im Land verunsichert und verärgert. "Man empfindet das in Kanada als Drohung – und man nimmt diese Drohung ernst", sagt Handelskammer-Präsidentin Yvonne Denz.

Umso mehr freuen sich die Kanadier über Solidaritätsbekundungen. Als Kanada in diesem Jahr Gastland der Hannover-Messe war, stellten sich der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz und Forschungsminister Cem Özdemir deutlich hinter die Gäste aus Nordamerika. "Das wurde hier in Kanada mit großer Dankbarkeit und Begeisterung aufgenommen", sagt Denz.

Kanada in die EU? Viele Menschen im Land fänden das richtig

Der ungewöhnlichste Vorstoß kam in diesem Jahr vom früheren deutschen Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel. "Ich würde den Kanadiern anbieten, Mitglied der Europäischen Union zu werden", sagte der SPD-Politiker und Vorsitzende des Vereins Atlantik-Brücke dem Bremer "Weser-Kurier". Zusammen müssten sich die EU und Kanada dem Druck der USA entgegenstellen.

Der Gedanke klinge zunächst unrealistisch, sagt der Bundestagsabgeordnete Rützel. "Das Kuriose ist aber: In Kanada ist die Zustimmung hoch. Etwa die Hälfte der Menschen dort fände das richtig", so Rützel.

Er spielt damit auf eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Abacus an. Sie hatte im März dieses Jahres ergeben: 44 Prozent der Kanadierinnen und Kanadier waren dafür, dass ihr Land Mitglied der EU wird. 34 Prozent waren dagegen, 23 Prozent waren sich unsicher. Wohlgemerkt: Die Umfrage wurde noch vor der Zuspitzung von Trumps Zoll-Großangriff durchgeführt. Gut möglich, dass die Zustimmung seitdem eher gewachsen ist.

Könnte Kanada also wirklich der nächste Mitgliedstaat der EU statt der 51. Bundesstaat der USA werden? Wahrscheinlich nicht. Doch die Debatte hat durchaus eine symbolische Bedeutung. "Ich glaube, man nimmt das in Kanada nicht unbedingt als konkrete Idee wahr, aber durchaus als Rückendeckung", sagt Yvonne Denz. "Die Botschaft dahinter lautet: Wir Europäer wollen euch als Partner haben – auch wenn andere euch nicht mehr so sehen."

Verwendete Quellen