• Wolfgang Schäuble hat einen Rekord aufgestellt.
  • Seit 50 Jahren sitzt der Politiker im Deutschen Bundestag – so lange wie kein anderer.
  • Dies sei "einmalig in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus", sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.
Ein Porträt
von Ulrich Steinkohl (dpa) André Stahl (dpa)
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Ulrich Steinkohl (dpa) und André Stahl (dpa) sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein halbes Jahrhundert. Das hat vor ihm noch keiner geschafft. Und es wird mit Sicherheit so schnell nicht wieder jemandem gelingen. 50 Jahre ist es her, dass Wolfgang Schäuble in den Bundestag als Abgeordneter kam. Am 13. Dezember 1972 war das.

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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erinnerte am Montag an diesen Tag. "Seitdem vertritt er seinen Wahlkreis ununterbrochen im Deutschen Bundestag. Immer direkt gewählt. Das ist einmalig in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus", sagte die SPD-Politikerin.

Einfacher Abgeordneter, Ausschussvorsitzender, Parlamentarischer Geschäftsführer, Fraktionsvorsitzender, Bundestagspräsident – Schäuble hat in seinen 50 Jahren im Parlament alle nur vorstellbaren Stationen durchlaufen.

Schäuble ist wieder einfacher Abgeordneter – wie vor 50 Jahren

Dass er nun wie vor 50 Jahren wieder einfacher Abgeordneter ist, hat der heute 80-Jährige selbst mitverschuldet. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass CDU und CSU den damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021 aufstellten und nicht seinen unionsinternen Widersacher Markus Söder aus Bayern – mit dem bekannten Ergebnis: Laschet verpatzte Wahlkampf und Wahl, die Union musste in die Opposition, die SPD übernahm das Amt des Bundestagspräsidenten.

Manch einer hätte in dieser Situation vermutlich ans Niederlegen des Mandats gedacht. Nicht so Schäuble. Es widerspricht schlicht seinem Pflichtbewusstsein als direkt gewählter Abgeordneter, sich einfach davon zu machen. Im Rampenlicht steht er heute nicht mehr, lässt eher seine Laufbahn als "Elder Statesman" ausklingen.

Seine letzte große Rede im Parlament hielt er am 26. Oktober vergangenen Jahres in der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Bundestags, die er als Alterspräsident eröffnete. Schade eigentlich, denn Schäuble ist ein gewitzter, geistreicher, sehr direkter Redner, der auch vor Spitzen gegen die eigenen Leute nicht zurückscheut.

Jetzt also einfacher Abgeordneter – muss man sich das nach einer derartigen Karriere nochmals antun? Diese Frage begleitet Schäuble schon seit dem Attentat eines geistig Verwirrten im Oktober 1990. Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Habe er damals daran gedacht, mit der Politik aufzuhören, wurde er eben von der "taz" gefragt. "Ja, klar", lautete die Antwort. Aber er habe das Angebot gehabt, weiterzumachen. "Das war für mich die beste Rehabilitationsmöglichkeit. Es war eine Chance, psychisch damit fertig zu werden."

CDU-Spendenaffäre – Bruch mit Helmut Kohl

Wenn man ihn fragen würde, welcher Job ihm am meisten Spaß gemacht habe, dann würde er wohl die Zeit als Unionsfraktionschef nennen. Und seine Rolle bei der Wiedervereinigung. Dennoch ist der Viel-Leser und begeisterte Handbike-Fahrer eher ein Mann der Exekutive, jemand, der lieber regiert und Reformen aus einem Ministerium heraus anstößt.

Das hat der Jurist als Kanzleramtschef gemacht, als Architekt der deutschen Einheit, als Innenminister mit der Islam-Konferenz und als Finanzminister in der Euro-Krise. Schäuble diente Kanzler Helmut Kohl und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU). Mit Kohl kam es zum Bruch, als Schäuble in den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach seinen Aussagen im Bundestag zu einer 100.000-Mark-Barspende Anfang 2000 als CDU-Chef weichen musste. Merkel übernahm den Parteivorsitz. Als sie 2005 Kanzlerin wurde, holte sie ihn ins Kabinett.

In der Rolle als oberster Kassenwart kokettierte Schäuble auf internationalem Parkett gern damit, kein Ökonom zu sein – und häufig mit seinem badischen Englisch. Hängen geblieben ist sein Spruch aus der Griechenland-Krise: Dann "isch over". Gerade in der Eurokrise zeigte sich Schäuble als harter Verhandler.

Bas: Wolfgang Schäuble hat "Geschichte unseres Landes geprägt"

Mit dem Amt des Bundestagspräsidenten hatte Schäuble durchaus geliebäugelt. Als die rechtspopulistische AfD 2017 in den Bundestag einzog, war an dessen Spitze eine Autorität gefragt, die rhetorisch gegenhalten kann. Und das konnte Schäuble. Im Umgang mit der AfD zeigte er fortan Gelassenheit und Bestimmtheit zugleich. Es gebe eben beim Souverän ein nicht unerhebliches Spektrum von Meinungen, das sich auch durch die gewählten Repräsentanten dieser Partei parlamentarisch abbildet, sagte er mal. "Das muss man respektieren."

Die Corona-Pandemie wurde zur nächsten Herausforderung. Auch in Zeiten höchster Infektionszahlen trat der Bundestag stets in Präsenz zusammen. "Das Parlament war zu jedem Zeitpunkt arbeits- und entscheidungsfähig", sagte Schäuble später zufrieden. Seine wohl größte Enttäuschung: Er scheiterte wie schon sein Vorgänger Norbert Lammert (CDU) mit dem Versuch einer Wahlrechtsreform.

Bas, die Schäuble an der Spitze des Parlaments beerbte, wird den Mann aus Baden an diesem Mittwoch würdigen – sicherlich als einen "leidenschaftlichen Verfechter der repräsentativen Demokratie", wie sie ihn am Montag nannte. "Wie nur wenige hat Wolfgang Schäuble die Geschichte unseres Landes in den vergangenen Jahrzehnten mitgeprägt." (dpa/tas)

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