- Der Bundespräsident sieht Deutschland vor einer schwierigen Zeitperiode.
- "Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu", sagte Frank-Walter Steinmeier am Freitag in einer Grundsatzrede.
- Steinmeier nimmt auch die Bevölkerung in die Pflicht: Der Staat brauche jetzt den Einsatz und den Veränderungswillen der Bürgerinnen und Bürger.
- CDU-Chef Friedrich Merz spricht von einer "außerordentlich wichtigen Rede zum richtigen Zeitpunkt".
Bundespräsident
Steinmeier fordert "Konfliktfähigkeit" nach innen und außen
Der Bundespräsident war im Februar dieses Jahres für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden. Deutschland könne in diesen Jahren auf seine Kraft und Stärke bauen, die es sich in der Vergangenheit erarbeitet habe, sagte Steinmeier am Freitag. Das Land sei wirtschaftlich stark, habe gute Forschung, starke Unternehmen, einen leistungsfähigen Staat sowie eine große und starke Mitte in seiner Gesellschaft.
Zu diesen Stärken müsse aber etwas hinzukommen. "Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung." Nötig sei keine Kriegsmentalität. "Aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft."
Dazu gehöre zuallererst eine starke und gut ausgestattete Bundeswehr, betonte der Bundespräsident. Deutschland sei das starke Land in der Mitte Europas und stehe in der Pflicht, seinen Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten. "Ich versichere unseren Partnern: Deutschland nimmt seine Verantwortung an, in der Nato, in Europa."
Konfliktfähigkeit und Widerstandskraft erfordere aber noch mehr. In dem Maße, in dem die Erwartungen an Deutschland wüchsen, werde auch die Kritik an der Bundesrepublik zunehmen. "Dass ein Land wie unseres in der Kritik steht, daran werden wir uns gewöhnen müssen", sagte Steinmeier. "Damit müssen wir erwachsen umgehen und nicht jede Kritik von außen umgehend als Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung missbrauchen."
Steinmeier: Menschen müssen Einschränkungen hinnehmen
Steinmeier wandte sich direkt an die Bürgerinnen und Bürger. Die neue Zeit fordere jeden Einzelnen. "Vielleicht konnte man in den Zeiten mit Rückenwind noch durchkommen, ohne sich selbst großartig einzusetzen. Vielleicht konnte man es sich erlauben, Politik den anderen zu überlassen. Das gilt heute nicht mehr. Deutschland, unser Land, braucht Ihren Willen zur Veränderung, braucht Ihren Einsatz für unser Gemeinwesen, damit wir dort ankommen, wo wir hin wollen."
Die Menschen müssten in den kommenden Jahren Einschränkungen hinnehmen. Aber: "Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein!" Vermögende und reiche Menschen müssten jetzt ihren Beitrag dazu leisten, die immensen Kosten der Entlastungen zu stemmen. "Beeindruckende Entlastungspakete sind wichtig - aber nicht weniger wichtig ist Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten."
Die Welt seit dem Epochenbruch sei eine andere. "Und das bedeutet, dass wir von alten Denkmustern und Hoffnungen Abschied nehmen müssen", sagte Steinmeier. Dies gelte insbesondere für den Blick auf Russland. Der friedliche Abzug der sowjetischen Truppen mit der Wiedervereinigung habe viel Hoffnung auf eine friedliche Zukunft gemacht. "Diese Hoffnung hatte auch ich, und sie war Antrieb für meine Arbeit in vielen Jahren". Wenn man auf das Russland von heute schaue, sei kein Platz für alte Träume. "Unsere Länder stehen heute gegeneinander."
Bundespräsident sieht keine Alternative zu Sanktionen
Steinmeier betonte, der russische Angriff auf die Ukraine sei ein Angriff auf das Recht, auf die Prinzipien von Gewaltverzicht und unverletzlichen Grenzen. "Er ist im Grunde ein Angriff auf alles, wofür auch wir Deutsche stehen." Wer also schulterzuckend frage, was uns in Deutschland dieser Krieg angehe, der rede "unverantwortlich, aber vor allem geschichtsvergessen", so der Bundespräsident. "Mit dieser Haltung können wir als Deutsche in Europa nicht bestehen - diese Haltung ist falsch!"
Viele Menschen fragten ihn, warum Deutschland denn Lasten tragen solle für einen Krieg in einem anderen Land, und ob man die Sanktionen nicht sein lassen könne. Er wolle diese Fragen nicht abtun, denn die dahinter stehenden Ängste seien real. "Wir müssen diese Fragen beantworten."
Die Sanktionen hätten Kosten, auch für uns, räumte Steinmeier ein. "Aber was wäre denn die Alternative? Tatenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen als wäre nichts geschehen?" Es sei im deutschen Interesse, sich mit den Partnern Russlands Rechtsbruch entgegenzustemmen. "Es ist unser Interesse, dass wir uns aus Abhängigkeiten von einem Regime lösen, das Panzer rollen lässt gegen ein Nachbarland und Energie als Waffe benutzt. Es ist unser Interesse, uns selbst zu schützen und unsere Verwundbarkeit zu reduzieren."
Lob von Friedrich Merz
Steinmeier war vor seiner Zeit als Bundespräsident unter anderem SPD-Fraktionsvorsitzender, Bundesaußenminister und Vizekanzler. In den vergangenen Monaten war er immer wieder der Kritik ausgesetzt, in der Vergangenheit zu große Nähe zu Russland gepflegt zu haben. Seit der russischen Invasion in die Ukraine hat sich Steinmeier allerdings von Moskau distanziert und war in dieser Woche auch nach Kiew gereist, um der Ukraine die Solidarität Deutschlands zu versichern.
Der CDU-Vorsitzende und Oppositionsführer Friedrich Merz lobte Steinmeiers Rede am Freitag. "Das war eine außerordentlich wichtige Rede zum richtigen Zeitpunkt", sagte Merz der "Rheinischen Post" (Samstagsausgabe). "Der Bundespräsident kann nur appellieren, und das hat er in beeindruckender Weise getan." Nun liege es "an der operativen Politik, die Aufgaben unseres Landes zu lösen."
Merz hatte bei der Rede im Schloss Bellevue im Publikum gesessen. Aus dem Bundeskabinett nahm hingegen niemand an der Veranstaltung teil, wie das Bundespräsidialamt bestätigte.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe die Rede aber "natürlich auch verfolgt", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Steinmeier habe außerdem "im Vorfeld intensiv über diese Rede informiert". Eine Stellungnahme zu Steinmeiers Rede lehnte Hebestreit ab. Aussagen des Staatsoberhaupts würden grundsätzlich nicht kommentiert. (dpa/afp/fab)