Vor 60 Jahren nahm die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Ein Meilenstein auf dem Weg zur Aussöhnung nach dem Massenmord an den europäischen Juden. Heute verbindet beide Staaten eine enge Freundschaft – doch sie steht vor neuen Herausforderungen.
Eine Feierstunde gab es nicht. Dazu war der Anlass wohl zu heikel. Am 12. Mai 1965 nahmen die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel offiziell diplomatische Beziehungen auf. Der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) und Israels Ministerpräsident Levi Eschkol vereinbarten, Botschafter ins jeweils andere Land zu schicken. Ein Meilenstein nach dem unvorstellbaren Grauen des Holocaust, 20 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz.
Der Jahrestag wird in den kommenden Tagen mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. Nicht nur auf politischer Ebene, sondern vor allem in der Zivilgesellschaft. Dass Deutschland und Israel 1965 diplomatische Beziehungen aufnahmen, war aus Sicht des CDU-Bundestagsabgeordneten
Deutschland und Israel bewegten sich langsam aufeinander zu
Als Israel und die Bundesrepublik 1948 und 1949 entstanden, war an diesen Schritt noch nicht zu denken. Zu einschneidend war das Trauma der Shoa, des Massenmords an den europäischen Juden durch das deutsche NS-Regime. Nur sehr langsam bewegten sich Israel und die BRD aufeinander zu.
1952 hatte die Bundesrepublik im Luxemburger Abkommen die Verantwortung für das Menschheitsverbrechen übernommen. 1960 trafen die damaligen Regierungschefs
Trotzdem war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen wie erwähnt heikel. Schließlich spitzte sich im Jahr 1965 nicht nur die Konfrontation zwischen West und Ost zu, sondern auch der Nahostkonflikt. Mehrere arabische Staaten brachen ihre Beziehungen zur Bundesrepublik nach dem 12. Mai 1965 ab. Der andere deutsche Staat, die DDR, erkannte Israel übrigens bis kurz vor ihrem Ende nicht als Staat an.
Ron Prosor: "Deutschland-Bild der Israelis ist positiv"
Besonders umstritten war der Schritt 1965 in Israel. Der jüdische Staat sollte diplomatische Normalität einläuten mit dem Nachfolgestaat eines Regimes, das die Juden vernichten wollte? Das war in der israelischen Bevölkerung nur schwer vermittelbar. "Es bedurfte jahrelanger Überzeugungsarbeit in Israel, überhaupt mit einem deutschen Repräsentanten, geschweige denn mit dem Bundeskanzler, zu sprechen", erklärt Ron Prosor auf Anfrage unserer Redaktion. Er ist seit 2022 Israels Botschafter in Deutschland.
Aus Sicht Prosors hat David Ben-Gurion die entscheidende Vorarbeit geleistet und auch seine persönliche Autorität eingebracht. Womöglich hätte aber auch Ben-Gurion nicht zu träumen gewagt, wie sich die Beziehung der Staaten entwickeln würde.
"Deutschland ist heute der wichtigste Verbündete Israels in Europa", sagt Botschafter Prosor. "Das Deutschland-Bild der Israelis ist heute sehr positiv, auch wenn die Shoa und die deutsch-jüdische Geschichte immer präsent bleiben."
Ein Werk von Vereinen, Schulen, Universitäten
Zum Jahrestag kommt am Montag Israels Präsident Isaac Herzog nach Berlin. Gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier wird er dann am Dienstag nach Israel reisen. Vor allem aber soll dieser Jahrestag von der Zivilgesellschaft gefeiert werden. Denn sie hat maßgeblich daran gearbeitet, die schier unüberwindbare Kluft zu überbrücken, die NS-Deutschland mit dem Holocaust geschaffen hatte.
Rund 100 Städtepartnerschaften sind nach dem 12. Mai 1965 entstanden. Auch über Universitäten, Vereine, Schulen, die deutsch-israelische Gesellschaft wurden Kontakte und Freundschaften geknüpft, wurde neues Vertrauen aufgebaut. Der Austausch von Mensch zu Mensch ist aus Sicht von Israels Botschafter Prosor entscheidend. "Wer Israel besucht und unvoreingenommen mit den Menschen spricht, wird feststellen, dass die Israelis keine Hörner haben und mit ganz normalen Sorgen und Nöten durch den Alltag gehen."
"Manchmal denke ich, dass der Direktflug von Berlin nach Tel Aviv mehr für die deutsch-israelische Freundschaft getan hat als alle Staats- und Festakte zusammen."
Eine Reise nach Israel könne die Augen öffnen – und das gelte auch umgekehrt. "Junge Israelis, die Deutschland besuchen, kommen oft begeistert zurück und erzählen zu Hause, wie offen und modern das Land geworden ist. Manchmal denke ich, dass der Direktflug von Berlin nach Tel Aviv mehr für die deutsch-israelische Freundschaft getan hat als alle Staats- und Festakte zusammen", sagt Prosor.
Um die Kontakte nicht abreißen zu lassen, seien Austauschprogramme von Schulen und Universitäten von unschätzbarem Wert. "Gerade in der Forschung, vor allem in den Bereichen Medizin und Biotechnologie, hat der Austausch zwischen Deutschen und Israelis einen Nutzen, der weit über die beiden beteiligten Länder hinausgeht – was in der aktuellen Nachrichtenlage leider allzu oft vergessen wird."
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Neue Diskussionen seit dem 7. Oktober
Die aktuelle Nachrichtenlage ist in der Tat eine Herausforderung für die deutsch-israelischen Beziehungen. Nach dem Hamas-Überall auf Israel am 7. Oktober 2023 haben das Land und seine Gesellschaft aus Deutschland viel Solidarität erfahren. Doch die Reaktion der israelischen Regierung, der seitdem andauernde Krieg im Gaza-Streifen, hat auch in Deutschland viele Menschen irritiert oder aufgebracht. Einer gerade veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge haben nur noch 36 Prozent der Deutschen eine positive Meinung vom Staat Israel, 38 Prozent dagegen eine negative.
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Ist es gerade als befreundete Nation Deutschlands Aufgabe, Israels Vorgehen in Gaza zu kritisieren? Oder ist die Bundesrepublik aufgrund ihrer Geschichte zu unverbrüchlicher Solidarität verpflichtet? Diese Fragen werden kontroverser diskutiert als je zuvor.
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Der 7. Oktober habe tiefe Wunden gerissen, sagt CDU-Politiker Armin Laschet. "Gerade deshalb ist unsere Solidarität jetzt besonders gefordert." Politisch folgt für ihn daraus: "Deutschland steht in dieser schwierigen Zeit fest an der Seite der israelischen Bevölkerung und erkennt das legitime Recht Israels auf Selbstverteidigung, im Bewusstsein unserer gemeinsamen Verpflichtung gegenüber dem Völkerrecht, an."
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Die Folgen des 7. Oktober spüre man auch in Deutschland im Alltag, sagt Laschet. "Umso wichtiger ist es, dass wir füreinander da sind, einander zuhören und Räume schaffen, in denen Vertrauen wachsen kann – zwischen Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslimen, Christinnen und Christen, Deutschen und Israelis. Gerade jetzt braucht es echten Dialog und den Willen, einander wirklich verstehen zu wollen."
Empfehlungen der Redaktion
Die Feierlichkeiten in diesem Jahr könnten dafür den passenden Rahmen bieten.
Verwendete Quellen
- Stellungnahmen von Armin Laschet und Ron Prosor
- Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Dossier Deutsch-israelische Beziehungen
- amnesty.de: Aktion: Deutschland & Israel – Keine "Wertepartnerschaft" für Völkermord!