- Ein Mammut-Prozess soll die mächtige Mafia-Organisation 'Ndrangheta schwächen.
- Sie macht mehr Umsatz als manche Dax-Unternehmen und schafft es trotzdem, weitgehend im Schatten zu agieren.
- Starke Familienbande und gute Verbindungen in die Politik erschweren die Ermittlungen gegen sie.
Sechs Männer verlassen nachts um zwei das Restaurant "Da Bruno", in dem sie den Geburtstag eines Familienmitglieds gefeiert haben. Tommaso-Francesco V. ist gerade volljährig geworden. Die Feier war gleichzeitig sein Aufnahmeritual in die Mafiaorganisation 'Ndrangheta.
Als sie in ihre Autos steigen, geht ein Kugelhagel auf sie nieder. Die Täter geben 54 Schüsse aus Schnellfeuerwaffen ab, alle sechs Männer sterben. Der Hintergrund der Tat: eine langjährige Fehde zwischen zwei Familien aus dem italienischen Dorf San Luca. Was sich wie eine Szene aus einem Mafia-Film anhört, ereignete sich nicht in Palermo oder Chicago, sondern im August 2007 in Duisburg und machte sichtbar, wie stark die italienische Mafia auch in Deutschland verankert ist.
Der Kampf gegen die mächtige 'Ndrangheta
Die 'Ndrangheta hat ihren Ursprung in der italienischen Region Kalabrien und agiert inzwischen international. Der berüchtigten Cosa Nostra hat sie längst den Rang abgelaufen. Doch nach dem Willen der italienischen Staatsanwaltschaft soll ihre Aktivität in absehbarer Zeit ein Ende haben.
Seit einigen Jahren gehen die Behörden verstärkt gegen die organisierte Kriminalität vor. Davon zeugt auch der Mammut-Prozess gegen die 'Ndrangheta, der gerade begonnen hat: In der süditalienischen Stadt Lamezia Terme sollen in den nächsten zwei Jahren Hunderte Angeklagte vor Gericht gestellt werden – darunter Geschäftsleute, Politiker und Anwälte.
Gegen die 'Ndrangheta vorzugehen, gilt als besonders schwierig, weil sie weniger hierarchisch strukturiert ist als etwa die Cosa Nostra. Sie ist ein loses Netzwerk aus Dutzenden Familienclans, das seine eigenen gesellschaftlichen Regeln hat.
Eines ihrer besonderen Merkmale ist, dass sie großen Wert auf Blutsverwandtschaft zwischen ihren Mitgliedern legt. Das sorgt für Zusammenhalt. Tatsächlich kommt es viel seltener als bei anderen Organisationen vor, dass Aussteiger als Kronzeugen gegen andere Mitglieder aussagen.
Gute Vernetzung erschwert Ermittlungen
"Ein Mann, der schweigt, kann sicher sein, dass für seine Familie auch dann gesorgt wird, wenn er in Haft kommt. Seine Frau und Kinder genießen Ansehen im Ort, sie werden respektiert, sie bekommen Geld", heißt es in einem BKA-Bericht über die Gepflogenheiten in den kalabrischen Dörfern, in denen die 'Ndrangheta aktiv ist. Wenn der Mann aber rede, werde die Familie verachtet und verliere alles.
Ein weiteres Problem ist die gute Vernetzung der Organisation mit der Politik und Justiz. In den vergangenen Jahrzehnten machten immer wieder Festnahmen ranghoher Mitglieder Schlagzeilen.
So trat etwa 2010 Antonio Pelle, Kopf des Pelle-Clans, eine 13-jährige Haftstrafe an. Nachdem er jedoch mit Hilfe von Schlankheitspillen deutlich an Gewicht verloren hatte, wurde er in ein Krankenhaus gebracht, aus dem er mit Leichtigkeit fliehen konnte. "Obwohl seine Identität zweifelsfrei bekannt und die Justiz über den Umstand seiner Verlegung informiert war, gab es keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Da stand kein einziger Polizist vor der Tür", heißt es im BKA-Bericht.
Mehr Umsatz als die Deutsche Bank und McDonalds zusammengenommen
Spuren der Mafiaorganisation haben Forscher schon in Dokumenten aus dem 19. Jahrhundert aufgespürt. Anfangs waren Schutzgelderpressungen und Lösegeld nach Entführungen ihre Haupteinnahmequellen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Prostitution, Drogenhandel und Geldwäsche dazu – und das vermehrt auch im Ausland. Ab den 1980ern entdeckte die 'Ndrangheta in der illegalen Giftmüllentsorgung ein äußerst lukratives Geschäft. Sie verdiente Milliarden, indem sie radioaktive und sonstige giftige Abfälle einfach im Mittelmeer versenkte.
Das italienische Forschungsinstitut Demoskopika errechnete, dass die Organisation im Jahr 2013 rund 54 Milliarden Euro umgesetzt hat. Die Deutsche Bank und McDonalds erwirtschafteten in dem Jahr zusammengenommen weniger als die 'Ndrangheta.
Verwendete Quellen:
- AFP: "Ndrangheta-Umsatz übertrifft Deutsche Bank und McDonalds"
- Bundeskriminalamt: "Die 'Ndrangheta in Deutschland"
- Europol Public Information: "Threat Assessment Italian Organised Crime"
- "Frankfurter Rundschau": Tod im Kugelhagel
- Mafianeindanke e.V.: "Der erste Maxiprozess in Deutschland: von Kronzeugen und Hochsicherheitsbunkern"
- University of Nebraska-Lincoln: "'Ndrangheta in southern Italy in the region of Calabria"