Die Grünen sind von der Regierung in die Opposition gewechselt. Aber sie wollen weiterhin mitreden. Fraktionschefin Britta Haßelmann spricht im Interview über die neue Rolle ihrer Partei, den Klimaschutz und den Umgang mit der AfD.

Aus Sicht von Britta Haßelmann war es ein "historischer Vorgang": Friedrich Merz (CDU) ist bei der Wahl zum Bundeskanzler im ersten Wahlgang durchgefallen, es klappte erst im zweiten Anlauf. Die Grünen, deren Fraktionsvorsitzende Haßelmann ist, gehören der neuen Bundesregierung zwar nicht mehr an. Haßelmann findet trotzdem: Das Signal hätte sich die neue Koalition sparen sollen.

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Am Tag danach empfängt Haßelmann zum Gespräch in ihrem Büro. Auch ihre Fraktion steht vor einem Umbruch. Sie muss sich nach dreieinhalb Jahren regieren in der Opposition einrichten.

Frau Haßelmann, was haben Sie Friedrich Merz am Dienstag mit auf den Weg gegeben, als Sie ihm gratuliert haben?

Britta Haßelmann: Ich habe ihm natürlich alles Gute für seine Aufgabe gewünscht. Denn es war ein denkbar schlechter Start für diese Regierung. Mein Eindruck ist, dass die von Friedrich Merz und Lars Klingbeil geführte Koalition auf tönernen Füßen steht. Sie scheint keine ausreichende Unterstützung in den Regierungsfraktionen zu haben.

Ein zweiter Wahlgang ist ein möglicher Vorgang, für den es Regeln gibt. Wenn jetzt viel über Instabilität geredet wird, schürt das doch nur Verunsicherung in einem Land, das Stabilität und Zuversicht dringend braucht.

Das Land ist durch die Ereignisse vom Dienstag nicht instabil geworden – und auch das Parlament und die Demokratie nicht. Wir haben dafür Gesetze und Verfahren, und die haben funktioniert. Auf dieser Grundlage haben wir uns dafür eingesetzt, zusammen mit Union, SPD und Linken einen zweiten Wahlgang zu ermöglichen. Auch wenn für uns Grüne klar war, dass wir Friedrich Merz nicht zum Kanzler wählen. Er ist im ersten Wahlgang durchgefallen. Es ist ein historischer Vorgang, dass einem Kanzler in so gravierendem Maß das Vertrauen seiner regierungstragenden Fraktionen fehlt.

Falls die Mehrheit bei zukünftigen Abstimmungen wieder wacklig ist – helfen die Grünen Schwarz-Rot wieder aus der Patsche?

Wir haben den Auftrag, die Regierung zu kontrollieren, sie auch deutlich zu kritisieren, eigene Impulse zu setzen. Das ist die Rolle, die Wählerinnen und Wähler uns zugewiesen haben. Dass wir das können, haben wir bewiesen: Nur durch unsere Mitwirkung und Stimmen hat die Grundgesetzänderung für ein Sondervermögen für die Sicherheit, Infrastruktur und die Klimaneutralität eine Mehrheit gefunden.

Sie wollen also weiterhin da zustimmen, wo Sie es für richtig halten?

Wenn eine gute Idee auf dem Tisch liegt, werden wir sie in der Sache beurteilen und dann entscheiden, ob es eine Zustimmung der Grünen gibt. Die Grundgesetzänderung haben wir durch unsere harten Verhandlungen besser gemacht. Jetzt ist klar, dass die 500 Milliarden Euro auch in die innere und äußere Sicherheit und in den Klimaschutz fließen sollen – und dass diese Investitionen zusätzlich sind.

Die neue Bundesregierung will schnell wichtige Gesetze auf den Weg bringen und dafür die Sommerpause des Bundestags verkürzen. Machen Sie da mit?

Ich glaube, zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegt eine erhebliche Diskrepanz. Der Kanzler hat versprochen, schnell ins Machen zu kommen. Diesem Anspruch wird die Koalition aber nicht gerecht.

Sie ist aber erst seit Dienstagabend im Amt.

Die Koalition hätte die laufende Sitzungswoche des Bundestags sehr gut nutzen können. Am Dienstag sind der Kanzler und die Regierungsmitglieder gewählt und vereidigt worden – aber das Parlament tagt nicht weiter. Ausschüsse müssen eingesetzt werden, um Gesetzesvorhaben zeitnah beraten zu können. Wir haben aber noch keine Klarheit darüber, wann das geschieht und wann das Parlament seine inhaltliche Arbeit aufnimmt. Ich hätte von der Koalition eine bessere und sorgfältigere Planung erwartet. Schließlich hat Herr Merz angekündigt, ab Tag eins werde geliefert.

Aus der Union heißt es, die schwarz-rote Regierung sei "die letzte Patrone der Demokratie". Ist sie das?

Erstens teile ich solche martialischen Ausdrucksweisen nicht. Und zweitens: Unsere Demokratie ist wehrhaft und fest. Ja, es gibt weltweit Angriffe autoritärer Kräfte auf liberale Demokratien, es gibt Sabotage und Desinformation – aber dagegen können wir uns schützen. Die neue Bundesregierung hat die besten Voraussetzungen, um Probleme anzugehen und zu lösen. Sie kann endlich Investitionen tätigen in die Sicherheit, die Infrastruktur, die Transformation der Wirtschaft. Sie kann den Klimaschutz ins Zentrum rücken – denn der ist keine Privatsache der Grünen.

"Wir können Wohlstand nur sichern, wenn wir in Klimaschutz, in den Schutz von Natur und Umwelt investieren."

Britta Haßelmann

Privatsache nicht – aber es muss doch Ihr Anspruch sein, dass der Klimaschutz in der öffentlichen Debatte wieder eine größere Rolle spielt. Wie wollen Sie das anstellen?

Wir müssen uns alle sehr bewusst machen, wie die Klimakrise den Lebensalltag jedes Einzelnen bereits jetzt beeinflusst: Wenn durch Hochwasser oder Dürre Ernten vernichtet werden, steigen die ohnehin hohen Lebensmittelpreise. Menschen in Hochwasserregionen müssen vorsorgen. Für manche ältere Menschen ist die Sommerhitze in den Städten eine Gesundheitsgefahr. Diese Auswirkungen werden zunehmen und immer mehr unsere Lebensgrundlagen bedrohen.

Aber wenn es an den eigenen Geldbeutel geht, hört bei vielen Menschen die Bereitschaft auf, sich umweltbewusst zu verhalten.

In den zum Teil populistischen Auseinandersetzungen des Wahlkampfs wurde oft ein Gegensatz zwischen Wohlstand und Klimaschutz konstruiert. Den gibt es nicht. Wir können Wohlstand nur sichern, wenn wir in Klimaschutz, in den Schutz von Natur und Umwelt investieren. Und wir haben hier in unserer Regierungsbeteiligung viel erreicht und der neuen Bundesregierung durch das Sondervermögen die besten Möglichkeiten gegeben, hier Investitionen zu tätigen.

Haßelmann: "Wir müssen die AfD klar demaskieren"

Bei der Bundestagswahl 2021 hat die AfD im Vergleich zu 2017 leicht verloren. Im Februar hat sie ihr Ergebnis im Vergleich zu 2021 verdoppelt. Welchen Anteil trägt die Ampelkoalition daran?

Wir müssen die AfD klar demaskieren. Wir müssen die negativen Folgen ihrer programmatischen Forderungen für unser Land deutlich machen. Europafeindlichkeit, Einschränkung der Freizügigkeit, Rückbesinnung auf das Nationale – das ist nicht nur komplett gegen die Lebensweise sehr vieler, gerade junger Menschen. Wenn Ideen und programmatischen Grundsätze der AfD Realität würden, dann würde die Wirtschaft massiv darunter leiden. Dann würden wir Arbeitsplätze vernichten.

Der Verfassungsschutz hat die gesamte AfD als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Parteiverbot?

Die Hochstufung hat den Handlungsdruck auf die drei Verfassungsorgane erheblich gesteigert. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sind jetzt gefordert, ein Verbotsverfahren zu prüfen und einzuleiten.

Wer sollte vorangehen?

Mir ist wichtig, dass da jetzt nicht der eine auf den anderen wartet. Wir Grünen sehen uns in der Verantwortung, diesen Prozess im Parlament voranzubringen und mit den demokratischen Fraktionen zeitnah zu klären und dann zu handeln. Ich gehe davon aus, das findet auch in den Ländern statt.

Falls ein Verbotsverfahren wirklich erfolgreich wäre: Was dann? Viele Menschen wählen die AfD aus Überzeugung. Die lässt sich nicht einfach verbieten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft. Sie ist verfassungsfeindlich und zerstört unsere Grundwerte. Alle Menschen, die die Partei wählen oder darüber nachdenken, müssen sich damit auseinandersetzen.

Aber dass Menschen die Programmatik der AfD gut finden – damit müssen andere Parteien doch umgehen.

Selbstverständlich sind alle demokratischen Parteien gefordert, gute Politik zu machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen das Vertrauen haben: Politiker tun etwas für mich, für unser Land, sie investieren in das Gemeinwesen. Aber nochmal: Diese Partei zerstört die Grundwerte unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Jede und jeder trägt Verantwortung, wenn sie oder er eine solche Partei unterstützt.

Über die Gesprächspartnerin

  • Britta Haßelmann wurde 1961 in Straelen am Niederrhein geboren. Sie studierte Sozialarbeit und arbeitete beim gemeinnützigen Verein Bielefelder Selbsthilfe.
  • Seit 2005 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags und dort seit Ende 2021 gemeinsam mit Katharina Dröge Vorsitzende der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen.