Mit gerade einmal 35 Jahren übernimmt Reem Alabali-Radovan das Amt der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz. Nicht nur deshalb sorgt die Benennung für große Aufmerksamkeit.

Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Sie ist mit 35 Jahren die jüngste Ministerin im Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz. Aber das ist noch längst nicht der interessanteste Teil der Biografie von Reem Alabali-Radovan. Die Tochter irakischer Eltern wurde in Moskau geboren. Ihre Eltern studierten dort Ingenieurwissenschaften. Die erste Sprache, die sie lernte, war daher die russische, wie Alabali-Radovan 2023 im Interview mit der "Zeit" angab: "Mein Vater konnte gut Russisch, meine Mutter weniger. Damit sie es schneller lernt, haben meine Eltern zu Hause Russisch gesprochen. Auch mit mir."

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Nach Ablauf des Studentenvisums der Eltern kam Alabali-Radovan im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach einer Station in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Mecklenburg-Vorpommern zog die Familie nach Schwerin. Hier lernte die damals Sechsjährige nun parallel Deutsch und Arabisch. Zurück in den Irak konnte die Familie nach Angaben der Deutschirakerin nicht, da ihr Vater als Teil der kurdischen Minderheit im Widerstand gegen Saddam Hussein aktiv gewesen war.

Koordinatorin während der Flüchtlingskrise 2015

Wie herausfordernd die Biografien von Geflüchteten sein können und welche Rolle dabei auch die deutsche Bürokratie spielt, weiß Alabali-Radovan aus eigener Erfahrung. Obwohl ihre beiden Eltern ein Ingenieursstudium absolviert hatten, durften sie in Deutschland nicht in ihrem erlernten Job arbeiten. Ihre Mutter habe daher in einem Schuhgeschäft als Verkäuferin gearbeitet, ihr Vater im Großhandel.

Trotzdem war ihren Eltern wichtig, dass ihre Tochter auf ein Gymnasium geht und später studiert, so Alabali-Radovan im Interview mit der "Zeit". Sie schaffte trotz weniger Deutschkenntnisse zu Beginn ihrer Schulzeit das Abitur und studierte internationale Beziehungen an der FU Berlin. Anschließend arbeitete die damals 25-Jährige in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Ihre Arabischkenntnisse halfen dabei, Beratungssprechstunden durchzuführen. Zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise im September 2015 wurde sie schließlich Fachbereichsleiterin für die Verteilung von Geflüchteten innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns.

Mit Olaf Scholz im Ring

Früh hegte Alabali-Radovan Sympathien für die Sozialdemokratie. Besonders das Aufstiegsversprechen und das Nein zur Beteiligung am Irakkrieg, der damals von Gerhard Schröder geführten Bundesregierung, habe sie beeindruckt. 2018 wurde sie schließlich Mitarbeiterin im SPD-geführten Integrationsministerium in Mecklenburg-Vorpommern und entschied sich 2021 zu einer Kandidatur für den Bundestag.

Ebenso wie viele weitere junge SPD-Kandidaten gelang es Alabali-Radovan überraschend in den Bundestag einzuziehen und ihren Wahlkreis Schwerin – Ludwigslust-Parchim I – Nordwestmecklenburg I sogar direkt zu gewinnen. Geholfen hat der jungen Politikerin dabei auch ihr Hobby, der Boxsport. Für einen Wahlkampf-Besuch lud sie den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in eine Sporthalle ihres Boxclubs und stieg mit dem damaligen Finanzminister in den Ring. Das habe viele junge Menschen mit der Politik in Berührung gebracht, die sonst kein Interesse daran hätten, so die Hobby-Boxerin später.

Den Boxsport hatte sie in Berlin während ihres Studiums kennengelernt und die Faszination wurde durch ihren späteren Mann gesteigert: Denis Radovan ist Profi-Boxer, Europameister im Mittelgewicht und deutscher Meister. Das Paar hat eine gemeinsame Tochter.

Von der Integrationsstaatsministerin zur Entwicklungsministerin unter Merz

Ihr Engagement während des Wahlkampfs machte sich bezahlt. Nach dem Einzug in den Bundestag 2021 wurde sie von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration ernannt. Später übernahm sie zusätzlich das Amt der Bundesbeauftragten für Antirassismus.

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Zwar konnte Alabali-Radovan bei der Bundestagswahl 2025 so wie viele andere SPD-Abgeordnete ihren Bundestagswahlkreis nicht verteidigen und musste sich dem AfD-Kandidaten Leif-Erik Holm geschlagen geben. Sie zog aber über die Landesliste wieder ins Parlament ein. Von der SPD wurde sie als Entwicklungsministerin für das Kabinett Merz ausgewählt.

Wie gut sie mit ihrem "Chef", Bundeskanzler Friedrich Merz, harmoniert, wird sich zeigen. In der Vergangenheit hatte die SPD-Politikerin den CDU-Chef mehrfach für seine Aussagen beim Thema Integration und Flüchtlinge scharf kritisiert. Etwa als dieser 2023 behauptete, Asylbewerber nähmen anderen Bürgern die Zahnarzt-Termine weg. "Es werden Ressentiments geschürt und Falschbehauptungen aufgestellt", sagte die SPD-Politikerin damals. Die Zusammenarbeit könnte sich auch in der Zukunft schwierig gestalten.

Verwendete Quellen