• Seit Jahren kümmern sich private Hilfsorganisationen um die Rettung von flüchtenden Menschen im Mittelmeer.
  • Die Staaten sind ihnen wenig Hilfe - mehr noch: Gegen vier Deutsche beginnt nun ein Prozess.
  • Dieser könnte große Auswirkungen haben.

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Eine junge deutsche Hilfsorganisation rettet im Mittelmeer Migranten und Flüchtende aus dem Wasser. Nach einer Mission beschlagnahmen die italienischen Behörden im August 2017 das Schiff. Der Crew wird vorgeworfen, mit Schleppern zu kooperieren, um Menschen nach Italien zu schleusen. Die Helferinnen und Helfer sind fassungslos, eine jahrelange Hängepartie folgt. Auf Sizilien beginnt am Samstag nun die Vorverhandlung gegen vier Deutsche - dort, wo auch ihr Schiff "Iuventa" seit fast fünf Jahren ungenutzt vor Anker liegt.

Verfahren könnte private Seenotrettung nachhaltig beeinflussen

Die Causa vor dem Gericht der Stadt Trapani mit insgesamt 21 angeklagten Personen könnte die private Seenotrettung nachhaltig beeinflussen - und hat es schon getan. Kathrin Schmidt klagt über die "Kriminalisierung" der Helfer, über den "Schaden nicht nur für die Angeklagten, sondern auch für die ganze zivile Seenotrettung". Sie ist eine der vier Deutschen, die sich vor Gericht verantworten müssen und denen - im schlimmsten Fall - jahrelange Haftstrafen drohen.

Die Frau schüttelt den Kopf. "Hier geht es nicht um juristische Gerechtigkeit, sondern um politischen Einfluss", sagte Schmidt bei einer Online-Pressekonferenz in dieser Woche. Sie war damals auf der von der Hilfsorganisation Jugend Rettet betriebenen "Iuventa".

Das Thema Migranten und Flüchtlinge ist in Italien seit Jahren politisch extrem aufgeladen. Der einstige Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega setzte darauf, NGOs und andere Helfer so scharf wie möglich anzugreifen und zu diskreditieren - und sich als strammer Beschützer der italienischen Häfen zu profilieren.

Salvini will sich zur Causa "Iuventa" nicht äußern

Zur Causa "Iuventa" wollte sich Salvini überraschenderweise nicht äußern. Dabei hat der Fall Aspekte, die dem Politiker gefallen müssten. Der Hauptvorwurf an die Besatzung von damals lautete, sich mit libyschen Schleppern abgesprochen zu haben. Schmidt und ihre Crew-Kollegen weisen das entschieden von sich und beklagen sich über die Maßnahmen der Polizei. "Die Brücke des Schiffes und die Angeklagten wurden abgehört, es gab verdeckte Agenten, Journalisten und Anwälte wurden abgehört", sagte Anwalt Nicola Canestrini. "In den 30.000 Seiten der Prozessakte ist kein einziger Kontakt mit einem libyschen Schlepper." Sein Fazit: "Leben retten ist kein Verbrechen."

Dieses Credo treibt die Hilfsorganisationen bei ihren Einsätzen in internationalen Gewässern trotz der juristischen Gefahren an. "Es ist ein Skandal, dass jene vor Gericht kommen, die anderen das Leben retten. Warum werden nicht die angeklagt, die Menschen sterben lassen?", fragt Gorden Isler von Sea Eye. Der Regensburger Verein hat aktuell das Schiff "Sea-Eye 4" im Mittelmeer im Einsatz und brachte vor wenigen Tagen 58 Gerettete in Sizilien an Land.

Helfer werfen Italien vor, Hilferufe von Booten mit Geflüchteten zu ignorieren

Die Helfer werfen Italien und Malta vor, Hilferufe von Booten mit Geflüchteten außerhalb ihrer Gewässer zu ignorieren. "Wir haben seit ein paar Jahren den Trend, dass Europa nicht mehr rettet und nicht mehr koordiniert", sagte Oliver Kulikowski von der Organisation Sea-Watch der Deutschen Presse-Agentur. Von Ende 2013 bis Ende 2014 führte Italiens Marine mit zwei Dutzend Schiffen die Operation "Mare Nostrum" durch, bei der rund 150.000 Menschen gerettet wurden. Als sich die Behörden zurückzogen, sprangen private Helfer ein.

Derzeit sind nur noch einzelne Schiffe unterwegs - aber nach wie vor viele Menschen auf der Flucht. Mehr als 15.000 Migranten kamen in diesem Jahr bereits mit Booten in Italien an. Nach UN-Angaben gelten 2022 rund 570 Menschen im zentralen Mittelmeer als tot oder vermisst.

Die NGOs fühlten sich von Beginn an schikaniert. Salvini wollte alle Häfen in Italien für die Hilfesuchenden sperren und wetterte unaufhörlich gegen die zumeist ausländischen Helfer. "Nach Salvini ist es etwas leiser geworden, die Schmutzkampagnen gingen zurück", sagte Kulikowski. "Aber nun werden wir bürokratisch behindert." Rom blockiere Schiffe mit fadenscheinigen Gründen in den Häfen, so der Vorwurf der Helfer. Kulikowski nennt das "eine Zermürbungstaktik".

Sea-Eye: Berlin hätte längst intervenieren müssen

Für Isler von Sea-Eye müsste eigentlich längst Berlin intervenieren und Italien zu mehr Engagement in der Causa ermahnen. "Die meisten Rettungsschiffe vor Libyen sind schließlich deutsche Schiffe".

Nun blicken alle nach Trapani. Die Helfer gehen zwar davon aus, dass es - wie in ähnlichen Prozessen - zu keiner Verurteilung der "Iuventa"-Crew kommt. Anwalt Canestrini rechnet aber mit einer monatelangen Vorverhandlung, an deren Ende der Richter dann erst entscheidet, ob überhaupt ein Hauptverfahren eröffnet wird.

Der Prozess sei "unglaublich abschreckend für NGOs", meint Isler, "denn wenn Seenotrettung so kriminalisiert wird, bleibt im Gedächtnis der Menschen immer etwas hängen und wir finden immer schwerer Crews für unsere Einsätze". (dpa/Manuel Schwarz/mgb)  © dpa