• Bei Zusammenstößen zwischen Klima-Demonstranten und der Polizei vor dem Dorf Lützerath habe es laut Polizeiangaben Verletzte gegeben.
  • Die genaue Zahl der Verletzten und die näheren Umstände wurden zunächst nicht bekannt.
  • Die Polizei setzte Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein.

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Bei Zusammenstößen zwischen Klima-Demonstranten und der Polizei vor dem Dorf Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier sind am Samstag nach Polizeiangaben Menschen verletzt worden. Es habe Verletzte auf beiden Seiten gegeben, sagte ein Polizeisprecher am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Die genaue Zahl der Verletzten und die näheren Umstände wurden zunächst nicht bekannt. Zu den Zusammenstößen kam es am Rande einer Großdemonstration gegen die Räumung des Ortes für den Tagebau. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Schlagstöcke ein.

Die Polizei spricht von 15.000 Demonstranten

Das kleine Lützerath, ein Ortsteil von Erkelenz westlich von Köln, ist seit Tagen von der Polizei abgeriegelt und mit einem doppelten Zaun umgeben. Die wenigen Gebäude der Siedlung werden derzeit abgerissen, um es dem Energiekonzern RWE zu ermöglichen, die darunter liegende Kohle abzubaggern. Dagegen protestierten am Samstag trotz Dauerregens und starker Windböen viele Tausend Menschen im benachbarten Ortsteil Keyenberg. Die Polizei sprach von 15.000 Teilnehmern, die Veranstalter schätzten die Zahl auf 35.000.

Ein Teil der Demonstranten versuchte, nach Lützerath zu gelangen. Einige versuchten auch, in das Tagebaugebiet durchzukommen. Die Polizei drängte sie gewaltsam zurück. Bis zur Tagebaukante zu laufen, sei lebensgefährlich, weil der Boden durch den Regen aufgeweicht sei und Erdrutsche drohten, warnte die Polizei. "Ich bin absolut entsetzt, wie normale Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sich dazu hinreißen lassen, hier den absoluten Gefahrenbereich zu betreten", sagte der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach der Deutschen Presse-Agentur.

Nach Polizeiangaben attackierten einzelne Demonstranten auch Einsatzwagen der Polizei und warfen Pyrotechnik in Richtung der Beamten. Ein Sprecher erklärte, Reifen seien zerstochen und Außenspiegel abgetreten worden.

5000 Personen bewegten sich in Richtung Abbaukante

Von den laut Polizei rund 15.000 Angereisten hätten sich rund 5000 nicht an der Versammlung beteiligt. Sie hätten sich sofort Richtung Abbaukante und Lützerath bewegt und seien daher als "Störer" betrachtet worden. Rund 1000 von ihnen, größtenteils vermummt, hätten erheblichen Druck auf Polizeiketten an der Tagebaukante und am Rande von Lützerath ausgeübt, sagte der Sprecher weiter. "Infolgedessen kam es zum Einsatz von Einsatzmehrzweckstöcken und Pfefferspray." Auch Wasserwerfer seien genutzt worden, um Personen vor dem Eindringen nach Lützerath abzuhalten.

Mehrere Einsatzfahrzeuge, die eine Barriere vor dem Bauzaun gebildet hätten, seien überklettert und beschädigt worden. Der um das Dorf gezogene Bauzaun sei aber nicht durchbrochen worden. Der Sprecher betonte, dass Stock und Wasserwerfer erst zum Einsatz gekommen seien, nachdem den Personen "unzählige Male" Zwang angedroht worden sei. Er konnte zunächst keine Angaben darüber machen, ob es Festnahmen gab.

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Ein Sprecher auf der Kundgebungsbühne hatte die Demo-Teilnehmer zuvor explizit aufgerufen, sich über Anweisungen der Polizei hinwegzusetzen. Er finde es legitim, wenn die Teilnehmer versuchten, in das abgesperrte Lützerath vorzudringen, sagte er: "Lasst euch von der Polizei nicht aufhalten. Wir sind mächtig. Wir sind auf der Seite der Gerechtigkeit. Wir lassen uns von diesem repressiven System nicht aufhalten. Wir stoppen diesen Tagebau. Macht alles, was ihr für richtig haltet."

Thunberg: "Lützerath ist noch da"

Hauptrednerin bei der Kundgebung war die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. "Lützerath ist noch da, und solange die Kohle noch in der Erde ist, ist dieser Kampf nicht zu Ende", sagte die 20-Jährige unter dem Jubel der Zuhörer. Es sei ihr unbegreiflich, dass im Jahr 2023 noch immer Kohle abgebaggert und verfeuert werde, obwohl zur Genüge bekannt sei, dass der dadurch ausgelöste Klimawandel in vielen Teilen der Welt Menschenleben koste. "Deutschland als einer der weltweit größten Verschmutzer hat eine enorme Verantwortung", mahnte Thunberg.

In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur kritisierte die weltbekannte Aktivistin die Grünen wegen ihrer Unterstützung für den Abriss von Lützerath. Konzerne wie RWE müsse man eigentlich dafür zur Rechenschaft ziehen, wie sie mit Menschen umgingen. "Dass die Grünen mit solchen Unternehmen Kompromisse schließen, zeigt, wo ihre Prioritäten liegen", sagte Thunberg.

Der Abriss der geräumten Gebäude konnte fortgesetzt werden

In Lützerath selbst ging die Räumung unterdessen weiter. Einsatzkräfte kletterten auf Bäume, auf denen Aktivisten ausharrten. Nach Angaben des Energiekonzerns RWE liefen zudem Vorbereitungen, um zwei Aktivisten aus einem Tunnel zu holen. "Die Kräfte gehen sehr behutsam vor, hier kann kein schweres Gerät eingesetzt werden, weil das die Menschen in den unterirdischen Bodenstrukturen gefährden würde", sagte Polizeipräsident Weinspach. Die Lage am Tunnel sei unverändert, sagte ein RWE-Sprecher am frühen Abend. Der Abriss der bereits geräumten Gebäude wurde am Samstag ebenfalls fortgesetzt.

Greta Thunberg sprach von "Polizeigewalt"

Thunberg hatte bereits am Freitag Lützerath besucht und dabei "Polizeigewalt" angeprangert. Polizeipräsident Weinspach hatte diesen Vorwurf vehement zurückgewiesen. Auf die Frage, ob sie ihre Kritik an der Polizei aufrechterhalte, sagte Thunberg der dpa: "Polizeigewalt bedeutet in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Dinge. Aber es gab mehrere Fälle, in denen die Polizei das Leben von Aktivisten gefährdet hat."

Auch die Grüne Jugend kritisierte das Vorgehen der Polizei. "Die Berichte, die wir aus dem Dorf bekommen, sind nicht zu rechtfertigen", teilte die Landessprecherin der Grünen Jugend NRW, Nicola Dichant, mit. "Bilder von Polizeieinsätzen, die Aktivist*innen massiv gefährden, Sanitäter*innen, die von der Polizei aus dem Dorf geschmissen werden, und Presse, die nicht beobachten darf. Das ist das Gegenteil von einem deeskalativen Einsatz."

Der Energiekonzern RWE äußert sich "entsetzt" über die Gewaltbereitschaft der Aktivisten

Der Energiekonzern RWE teilte am Abend mit, man sei "entsetzt über die Aggressionen und die Gewalt, die von Teilen der Aktivisten ausgingen". Dies habe mit der ansonsten friedlichen Demonstration nichts mehr zu tun. "Wer völlig enthemmt Steine und Feuerwehrkörper auf Polizisten wirft und versucht Absperrungen zu durchbrechen, kritisiert nicht die Energiepolitik, sondern attackiert das gesellschaftliche Fundament unseres Rechtsstaats." Es sei tragisch, dass es aufgrund der Ausschreitungen zu Verletzungen gekommen sei. Das Unternehmen beklagte auch "erhebliche Sachbeschädigungen" an eigenen Fahrzeugen und Anlagen. "Mehrere Brunnen und Schaltanlagen wurden während der Demonstration von Aktivisten mutwillig zerstört."

Auf dem abgeriegelten Gelände von Lützerath hielten sich neben den Aktivisten im Tunnel weiterhin Personen etwa in Baumhäusern auf, sagte der Polizeisprecher weiter. Über die genaue Anzahl machte er keine Angaben. Ebenerdig sei alles geräumt. Nach seinen Angaben wurden die Räumungsmaßnahmen am Samstagabend unterbrochen. Sie sollten am Sonntag fortgesetzt werden.(dpa/jst)

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