- Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Apotheken so stark gesunken wie nie zuvor.
- Der Apothekerverband schlägt Alarm: Die Basis der Arzneimittelversorgung werde langsam unterspült.
- Ein Gesundheitsökonom ärgert sich dagegen über das Klagelied: Vielen Apotheken stünden gut da – allerdings müsse sich die Branche ändern.
Leere Räume, wo früher Medikamente und Kosmetik über die Theke gingen: Die Zahl der Apotheken in Deutschland ist zum Jahresende 2022 um 393 auf 18.068 gesunken, so war Anfang Februar zu lesen.
Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ist das der "größte jährliche Rückgang in der Geschichte der Bundesrepublik". Auf 100.000 Einwohner kommen so 22 Apotheken.
Vollzieht sich in Deutschland ein Apotheken-Sterben? Oder ist das Katastrophenszenario unangebracht? Dazu gehen die Einschätzungen auseinander.
Brandenburger Apotheker hat Sorgen um Nachfolge
Alexander Hesse kennt das Damoklesschwert, das über einigen Apotheken hängt. Seit über 20 Jahren leitet er die Adler Apotheke im brandenburgischen Bad Freienwalde. "In den nächsten zehn Jahren wird sich die Lage bei mir zuspitzen", sagt der Apotheker im Gespräch mit unserer Redaktion. Ein Nachfolger sei für sein Geschäft nicht in Sicht.
In Brandenburg haben zwölf Apotheken im vergangenen Jahr für immer geschlossen. "Bei nur zwei Neueröffnungen", sagt der Stellvertretende Geschäftsführer vom Apothekerverband Brandenburg, Mathias Braband-Trabandt. So viele Schließungen habe es seit der Wiedervereinigung nicht gegeben. Dabei liegt der Rückgang in Brandenburg sogar noch unter dem Bundesschnitt.
"Viele Inhaberinnen und Inhaber geben auf, weil sie nicht genug qualifiziertes Personal oder keine Nachfolge zur Übernahme ihrer Apotheke finden. Die Basis der Arzneimittelversorgung in Deutschland wird somit langsam unterspült", sagt ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening.
Wenn so viele selbständige Apothekerinnen und Apotheker aufgeben müssten, sei das schon schlimm. "Wenn jetzt aber auch erst vor wenigen Jahren eröffnete Filialapotheken schließen müssen, zeigt das, wie eng die wirtschaftliche Situation ist."
"Ich kann das Klagelied der Pharmalobby langsam nicht mehr hören", sagt dagegen der Gesundheitsökonom David Matusiewicz unserer Redaktion.
In der bestehenden Zahl von rund 18.000 Filialen sieht er genügend "Spielmasse". "Es gibt doch Apotheken, da kommt fast kein Kunde rein. Es braucht breitangelegte Studien, die genau erfassen, welche Apotheke wie oft genutzt wird." Matusiewicz plädiert für eine sinnvolle Verteilung der Apotheken, denn gerade gebe es in den Ballungszentren zu viele und auf dem Land zu wenige.
Kein Pharmazie-Studium in Brandenburg möglich
Nachwuchssorgen bereiten in ländlichen Gegenden die größten Bauchschmerzen. Gerade in Brandenburg. Weil man dort nicht Pharmazie studieren kann, gebe es keinen eigenen Apotheker-Nachwuchs, so argumentiert die Landesapothekerkammer. Seit ungefähr zehn Jahren versuche man vergeblich die Politik zur Einrichtung eines Studiengangs zu bewegen.
Die Landespolitik sieht das offenbar nicht als akutes Problem an. 2019 hatte die Brandenburgische Technische Universität BTU Cottbus-Senftenberg laut RBB eigentlich schon grünes Licht für die Pharmazie gegeben. Doch der BTU-Präsident Jörg Steinbach, so wurde es am nächsten Tag bekannt, sollte neuer Wirtschaftsminister in Brandenburg werden. Danach seien die Gespräche eingeschlafen.
Auch eine Nachfrage unserer Redaktion ergab nur, dass "keine Erweiterung um Studienangebote in der Pharmazie" vorgesehen seien, wie die Pressestelle des Brandenburger Wissenschaftsministeriums erklärte.
Experte fordert mehr Pharmazeutisch-Technische-Assistenten
Nicht für mehr Apotheken-Inhaber, sondern für mehr Pharmazeutisch-Technische-Assistenten (PTAs) spricht sich der Gesundheitsökonom Matusiewicz aus. Und für eine höhere Vergütung, um finanzielle Anreize zu schaffen. "Gerade bei den Call-Centern für Online-Apotheken gibt es einen riesigen Bedarf."
Ist besagter Onlinehandel nicht auch am Apotheken-Rückgang Schuld? Immer mehr Menschen lassen sich ihre Medikamente nach Hause liefern. Für niedergelassenen Apotheken, die hohe Ausgaben für Miete, Personal und Notdienste haben, kann das doch nicht gut sein.
Das sieht der Deutsche Apothekerverband nicht so. "Von den insgesamt 3000 Apotheken mit Versanderlaubnis in Deutschland betreiben dies circa 100 in einem spürbaren Ausmaß", sagt der Stellvertretende Pressesprecher der ABDA, Christian Splett.
Das meiste Geld wird in der Apotheke vor Ort verdient
Bei rezeptfreien Arzneimitteln liege der Marktanteil von Online-Apotheken bei immerhin 15 bis 20 Prozent. Aber nur etwa ein Prozent des Online-Umsatzes werde mit rezeptpflichtigen Medikamenten erzielt - diese machten jedoch 80 Prozent des Gesamtumsatzes aller Apotheken. Das meiste Geld wird also nach wie vor in der Apotheke vor Ort verdient.
"Wer sich vor der digitalen Transformation verschließt, der verhält sich wie die Kutschergewerkschaft bei der Einführung des Autos", meint Gesundheitsökonom Matusiewicz. Auf der einen Seite sei es gut, dass es die persönliche Beratung in den stationären Apotheken gebe, etwa für ältere Menschen oder spezifische Fragen.
Auf der anderen Seite wird im Gesundheitsbereich vieles digitaler, zu sehen beispielsweise an elektronischen Rezepten oder am Einstieg von Tech-Giganten wie Amazon, das 2018 die Start-up-Apotheke Pillpack kaufte. Der Kunde wird also selbstständiger, agiler – wie beim Fahren mit dem Auto. "Es braucht einen ausgewogenen Mix von stationärem und digitalem Angebot", sagt Matusiewicz. Eine "Tankstelle der Gesundheit" sollten Apotheken sein.

Trautmann: "Vernichtungsschlag gegen alle Apotheken"
Viele Apotheken-Inhaberinnen und -Inhaber stöhnten kürzlich auf, als die Politik den sogenannten Kassenabschlag erhöhte. Vereinfacht gesagt, bekommen die Apotheken pro Arzneimittel 8,35 Euro als "Beratungshonorar". Davon zogen die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) bisher 1,77 Euro ab. Diesen Abschlag hat man nun auf zwei Euro für die Dauer von zwei Jahren erhöht, um die Apptheken an der Stabilisierung der Krankenkassen zu beteiligen; 120 Millionen Euro jährlich kommen so zusammen.
Einen "Vernichtungsschlag gegen alle Apotheken" nannte die Dresdener Apothekeninhaberin Sylvia Trautmann die Erhöhung in ihrem emotionalen Brief, den sie an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sendete. Darüber berichtete die Apotheker-Zeitung.
Gesundheitsministerium: Erhöhung ist "verhältnismäßig"
Mit diesen Vorwürfen konfrontierte die Redaktion das Bundesgesundheitsministerium. "Den Apotheken wurden zuletzt neue Aufgabenfelder mit neuen Verdienstmöglichkeiten eröffnet", antwortet das Ministerium.
Dazu zähle beispielsweise die Möglichkeit der "Erbringung von pharmazeutischen Dienstleistungen" und von Grippeschutzimpfungen. "Überdies haben die Apotheken im Rahmen der Pandemiebewältigung einen erheblichen Mehrumsatz im Jahr 2021 in Höhe von 2,5 Milliarden Euro erzielt", schreibt das Ministerium. Ein Apotheker formulierte es laut "Tagesschau" drastischer: Man habe sich mit FFP2-Masken "dumm und dämlich verdient".
Mehr Geld also, durch verkaufte FFP-2-Masken, Corona-Tests sowie Impf- und Genesenenzertifikate. Insoweit sei die Erhöhung des Apothekenabschlags "verhältnismäßig". Das sieht Gesundheitsökonom Matusiewicz ähnlich. Wenn mehr Geld gefordert werde, müsse man den genauen Bedarf kennen. "Es muss gezielt sein. Nicht einfach Geld ins System kippen."
Apotheker würde nur noch als Angestellter arbeiten wollen
Wie sieht die Zukunft von Apotheken aus? Blickt der Brandenburger Hesse auf seine Nachfolge, siehe sie nicht rosig aus. Die meisten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen "nur" angestellt sein, weil es angesichts der vielfältigen Herausforderungen einfacher sei. "Hätte ich nochmal die Wahl, ich würde auch nur noch als Angestellter arbeiten."
Das wundert Matusiewicz nicht. Er nennt es das "Inhaber-Problem": "Als Kleinstunternehmer hast du hohe Investitionen, das unternehmerische Risiko und musst ständig vor Ort sein." Das widerspreche den gegenwärtigen Trends von Flexibilität, mehr Freiheiten oder einer Vier-Tage-Woche.
Mehr online, weniger vor Ort – so sieht laut dem Ökonomen die Zukunft der Apotheken aus; mit digitaler Beratung und Robotik in der Logistik. Und weniger Filialen vor Ort.
Verwendete Quellen:
- rbb24.de: Landesapothekerkammer fordert Pharmazie-Studiengang in Brandenburg
- deutsche-apotheker-zeitung.de: "Ihre Politik ist ein Vernichtungsschlag gegen alle Apotheken"
- tagesschau.de: "Dumm und dämlich verdient"

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