Gute Beine zu haben, reicht für ein Finish auf den ganz langen Strecken nicht aus: Mentale Stärke ist genauso wichtig. So trainierst du deinen Kopf.

Auf Renndistanzen jenseits der 42,2 km kommt irgendwann ein Tiefpunkt: Das ist so sicher wie die Überquerung der Startlinie. Erschöpfung, Schmerzen, Verdauungsprobleme, Dauerregen, Hitze: Die Liste der Herausforderungen ist lang. Dann ist es wichtig, dass du dich selbst aus dem Motivationsloch herausholen kannst. Mit gezieltem mentalem Training bereitest du dich optimal auf psychische Durchhänger vor – und hast im entscheidenden Moment ein Tool zu Hand, das ein DNF verhindert.

Wie wichtig ist die mentale Stärke bei einem Ultramarathon?

Mindestens genauso wichtig wie die körperliche Fitness, wenn nicht sogar wichtiger. Denn du kannst in einem Top-Trainingszustand sein und trotzdem nicht ins Ziel kommen. Stunden- oder gar tagelanges Laufen ermüdet auch mental sehr stark – durchhalten und motiviert bleiben ist gerade auf monotonen oder sehr anstrengenden Streckenabschnitten schwierig. Wer in solchen Situationen keine gute Antwort auf die Sinnfrage "Warum tue ich mir das an?" hat, gibt womöglich auf.

Studien haben klar belegt, dass mentale Überlastung lange vor der körperlichen Erschöpfung auftreten und dir vorgaukeln kann, dass nichts mehr geht. Der Kopf macht vor den Muskeln schlapp. Das passiert meistens ab 6 bis 8 Stunden Renndauer. Dann verändert sich die Wahrnehmung des Erlebten: Erschöpfung, Schmerzen und Demotivation drängen sich in den Vordergrund. Mentaltraining hilft dir, dich auf solche inneren Barrieren vorzubereiten. Du wirst davon nicht kalt erwischt, sondern kannst konkret gegensteuern. Kurzum: Mentale Stärke ist keine Ergänzung des Trainings, sondern eine Voraussetzung für das Finish.

Die 8 besten Techniken für mentales Training

Es gibt zahlreiche Methoden und Strategien, um das mentale Durchhaltevermögen vor und während des Ultramarathons zu trainieren. Die Wirksamkeit der Maßnahmen ist individuell: Probieren geht über Studieren. So hält sich die derzeit beste Ultratrail-Läuferin Courtney Dauwalter während ihrer Langstreckenrennen gezielt in der "Pain Cave", ihrer persönlichen Schmerzhöhle auf – entgegen des allgemeinen Tipps, sich nicht zu sehr in den eigenen Körper zu versenken. Idealerweise stellst du dir also deinen eigenen Werkzeugkasten mit Tools zusammen, die du in kritischen Situationen anwendest. Bewährt haben sich im mentalen Training insbesondere folgende Techniken:

Wie kann ich mentales Training in die Vorbereitung einbauen?

Am effektivsten lässt sich mentales Training in die Ultramarathon-Vorbereitung integrieren, wenn du es genauso systematisch und regelmäßig durchführst wie deine Laufeinheiten. Ein Plan kann zum Beispiel so aussehen:

  • Nimm dir ein- bis zweimal pro Woche Zeit für 10 bis 20 Minuten mentale Übungen.
  • Baue Mini-Sessions von 2 bis 5 Minuten vor, während oder nach dem Laufen ein.
  • Techniken sind z. B. Visualisierung, Achtsamkeitsübungen, positives Selbstgespräch, Bewältigungsstrategien oder Journaling nach den Läufen.
  • Automatisiere deine mentalen Strategien durch häufige Wiederholung im Alltag: Ein Beispiel ist die tägliche Zielvisualisierung vor dem Schlafengehen.
  • Spiele vor herausfordernden Einheiten wie Tempotrainings oder langen Läufen schwierige Szenarien durch und schmiede Wenn-dann-Pläne. Teste diese Reaktionen auf bestimmte Situationen während der Belastung.
  • Simuliere mentale Einbrüche bewusst und übe deine Gegenreaktionen ein.
  • Dokumentiere in deiner Laufapp bzw. im Lauftagebuch auch deine mentalen Erfahrungen: Gefühle, Gedanken, Erfolgsstrategien. Die Selbstbeobachtung stärkt dich mental.

Wie bleibe ich am Renntag fokussiert?

Gerade auf Trails solltest du die Konzentration hochhalten, um nicht zu stürzen oder Streckenmarkierungen zu übersehen. Aber auch auf völlig ebenen Asphaltstrecken kann die "Leere im Kopf" zu manchmal folgenreichen Fehlern wie ungenügender Verpflegung oder Stolperern führen. Und eine zu große Vorstartnervosität lässt sich dich womöglich wichtige Ausrüstung vergessen. Um am Renntag vom Start bis zum Finish fokussiert zu bleiben, helfen dir diese Maßnahmen:

  • Übe die Abläufe vor dem Start ein, etwa bei Unterdistanzläufen in der Vorbereitung oder auch im Training. So schalten Kopf und Körper automatisch in den Wettkampfmodus.
  • Baue regelmäßig Achtsamkeitsübungen in den Lauf ein, um die Konzentration zurückzuholen – etwa durch bewusstes Ein- und Ausatmen.
  • Auch sensorische Anker sind hier hilfreich: Fasse an jedem Verpflegungspunkt ganz bewusst einen Glücksbringer oder ein anderes Objekt an. Dieser physische Reiz wirkt wie ein Reset-Signal auf deinen Kopf.
  • Vermeide unnötige Ablenkungen wie ständige Social‑Media‑Checks oder auch einen tiefgründigen Podcast.
  • Stelle vor dem Rennen Alarme auf dem Smartphone und/oder der Laufuhr ein – im Bluetooth-Kopplungsmodus erscheinen die Erinnerungen auch auf dem Uhrendisplay. Bei km 30 etwa "Salztabletten" – die konkreten Handlungsaufforderungen holen dich ins Hier und Jetzt zurück.
  • Beschäftige deinen Kopf bei nachlassender Konzentration mit kognitiven Aufgaben, etwa dem Hochrechnen der Zielzeit oder dem Aufsagen von Vokabeln.
  • Stelle dir selbstreflektierende Fragen rund um den Wettkampf: Was brauche ich gerade? Wie fühle ich mich aktuell? Worauf habe ich bei der nächsten Verpflegung Appetit?
  • Gegen Monotonie helfen kleine Überraschungsmomente, etwa der Random-Modus in deiner Playlist. Auch Verwandte oder Bekannte an der Strecke sind eine willkommene Abwechslung.

Welche Strategien helfen gegen mentale Einbrüche?

Ist deine Motivation bereits im Keller und du möchtest aussteigen, ist Akuthilfe gefragt. Viele Läuferinnen und Läufer neigen in solchen Situationen zu Kurzschlusshandlungen. Deshalb ist es wichtig, das DNF zu verschieben. Sage dir, dass du beim übernächsten Verpflegungspunkt immer noch abbrechen kannst. Mit diesem Kniff nimmst du den Druck raus, weiterlaufen zu müssen. Oft lassen sich Tiefpunkte in der Zwischenzeit überwinden.

Eine weitere mentale Technik gegen Durchhänger und Selbstzweifel ist das Reframing. Du erzählst deine Geschichte aus der Vogel- statt aus der Ich-Perspektive. Das klappt mit Sätzen wie "Ich bin nicht gescheitert – ich bin gerade mitten in der Geschichte, die ich später erzählen werde." So kommst du aus einer Opferrolle in eine gestalterische Haltung.

Um die Abwärtsspirale zu durchbrechen, kannst du den Ultramarathon ganz kleinteilig runterbrechen. Konzentriere dich wirklich nur auf den nächsten Schritt und denke keinesfalls an die noch bevorstehenden Kilometer. Würdige dich lieber für das bisher Geleistete, nach dem Motto: Wenn ich 60 km geschafft habe, dann kann ich auch noch 40 weitere laufen.

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Auch kleine Aufgaben helfen, negative Gedanken zu vertreiben. Zähle die Bäume an der Strecke oder die roten Autos am Straßenrand: Hauptsache, du lenkst dein Gehirn vom Grübeln ab. Indem du deinen Aufmerksamkeitsfokus von innen nach außen verschiebst, reduzierst du die geistige Ermüdung, nimmst Zipperlein und die Anstrengung weniger stark wahr und tankst neue Kräfte. Studien haben gezeigt, dass sich dadurch sogar deine Bewegungsökonomie wieder verbessert.

Fazit: Mentales Training ist die halbe Miete für den Ultra

Die mentale Belastung auf Langdistanzen ist nicht zu unterschätzen, ein Finish ist mindestens zu 50 % Kopfsache. Wer sich vor dem Ultramarathon damit auseinandersetzt und Strategien gegen Durchhänger zurechtlegt, ist klar im Vorteil. Problemorientiertes Handeln, externe Fokuswechsel, Visualisierungen und andere mentale Techniken lassen sich genauso planvoll trainieren wie die Ausdauer oder Kraft. So verhinderst du im Rennen, dass der Tiefpunkt das Ende und nicht der Wendepunkt ist.  © Runner’s World