Wenn Kinder plötzlich Vegetarier sein wollen, sind so manche Eltern ratlos. Doch so lange Eier und Milch auf dem Speiseplan stehen, halten Experten diese Variante für gut machbar. Kritischer ist es, wenn Kinder auf alles verzichten, was vom Tier kommt.

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Viele Kinder und Jugendliche verzichten heutzutage auf tierische Produkte. Wie viele es sind, ist unklar. "Es gibt keine genauen Zahlen. Wir beobachten jedoch, dass immer mehr Kinder und Jugendliche fleischfrei leben", sagt Wiebke Unger, Sprecherin von ProVeg, dem früheren Vegetarierbund Deutschland. Das liege unter anderem daran, dass vor allem die jüngere Generation offener für Neues und Tierschutzthemen sei.

Doch wie gesund oder schädlich ist es, in der Wachstumsphase Grundnahrungsmittel wegzulassen? Was junge Vegetarier und Veganer genau essen und wie es um ihre Nährstoffversorgung steht, ist bislang nur unzureichend erforscht. "Es gibt keine objektiven Zahlen", sagt Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum.

Kinder teilweise zu klein

Studien wie die VeChi Diet wollen die schlechte Datenlage verbessern. In Berlin wurden am Donnerstag erste Ergebnisse zu Kleinkindern vorgestellt. Die nicht repräsentativen Daten von 364 Kindern im Alter von einem bis drei Jahren zeigen, dass zehn Prozent der vegan ernährten und sechs Prozent der vegetarisch ernährten Kinder zu klein für ihr Alter waren.

Dies könne ein Anzeichen für eine nicht optimale Ernährung sein, sagte Studienleiter Markus Keller von der Fachhochschule des Mittelstands. Der Großteil dieser Kinder, rund 90 Prozent, seien in Gewicht und Größe normal. Bei den Mischköstlern habe es keine Defizite gegeben, jedoch drei Prozent Übergewichtige.

In Italien musste 2016 ein einjähriges Kind ins Krankenhaus, weil seine Eltern es vegan ernährten. Der Junge wog kaum mehr als ein Neugeborenes. Der Chefarzt der Klinik führte seinen Zustand auf die vegane Ernährung zurück, auch wenn ein Herzfehler des Jungen die Situation verkomplizierte.

Er litt an einem starken Eisen- und Calcium-Mangel und wog nach einem Jahr nur wenig mehr als ein Neugeborenes. Die Großeltern brachten das Kind schließlich ins Krankenhaus. Die mailändische Polizei musste den Eltern das Baby schließlich wegnehmen.

Unterschied vegan und vegetarisch?

Vegetarisch lebende Menschen verzichten auf Fleisch und Fisch. Früher waren es vor allem Glaubensgründe, heutzutage wollen sich viele Menschen schlichtweg gesünder ernähren.

Im Gegensatz zu den Vegetariern verzichten Veganer vollkommen auf tierische Produkte. Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte sind auf ihrem Speiseplan nicht zu finden. Das macht die Ernährung schwierig. Denn auch oft in Lebensmitteln versteckte Zusatzstoffe wie Milchzucker und Gelatine - beispielsweise in Gummibärchen - haben auf dem Teller nichts zu suchen.

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, "dass auch eine vegane oder vegetarische Ernährung im Kleinkindalter bedarfsdeckend sein kann, wenn auf eine ausreichende Zufuhr von Nahrungsenergie und kritischen Nährstoffen, insbesondere Vitamin B12, geachtet wird".

Ein Zusatz dieses Vitamins ist besonders für Veganer bedeutend, die auf alles Tierische verzichten. Es kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor und ist wichtig für die Entwicklung von Hirn und Nervensystem.

Vegane Ernährung für Kinder nicht empfohlen

Die Forscher untersuchten die Zufuhr bestimmter Nährstoffe, aber nicht, wie sie aufgenommen wurden. Dafür würde man beispielsweise Blutdaten benötigen. Daher seien die Ergebnisse zunächst nur bedingt aussagekräftig, sagt Silke Restemeyer, Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die geistigen Fähigkeiten der Kinder wurden nicht untersucht.

Die DGE empfiehlt eine vegane Ernährung für Kinder und Jugendliche nicht. Eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen sei nicht oder nur schwer möglich. "Wer sich dennoch vegan ernähren möchte, sollte dauerhaft ein Vitamin-B12-Präparat einnehmen, auf eine ausreichende Zufuhr vor allem der kritischen Nährstoffe achten und gegebenenfalls angereicherte Lebensmittel und Nährstoffpräparate verwenden", heißt es.

Als kritisch gelten unentbehrliche Aminosäuren und langkettige n-3-Fettsäuren sowie weitere Vitamine wie Riboflavin und Vitamin D, aber auch Calcium, Eisen, Jod, Zink und Selen.

Richtige Ernährung sehr kompliziert

"Vegane Kinder müssen ernährt werden wie Kinder mit einer Eiweißstoffwechselerkrankung", betont Mathilde Kersting, die frühere Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE). Weil die richtige Ernährung so kompliziert ist, empfiehlt die DGE, sich von einer Ernährungsfachkraft beraten und die Versorgung mit kritischen Nährstoffen regelmäßig prüfen zu lassen.

Der Berufsverband für Kinder- und Jugendärzte lehnt Veganismus bei Kindern laut Sprecher Hermann Josef Kahl "kategorisch" ab. Kahl warnt vor "fatalen Folgen und irreversiblen Schäden": "Wenn im Gehirn zu wenig Vitamin B und verschiedene Aminosäuren ankommen, kann es zu einer starken Entwicklungsverzögerung der Hirnreife und zu kognitiven Beeinträchtigungen kommen", so der Kinderarzt. Es gebe in Extremfällen starke Lernstörungen.

Vegetarische Essweise ist machbar

Eine vegetarische Ernährung halten die Experten für eher machbar. "Da sind wir nicht ganz so ablehnend, da ja in der Regel Eier gegessen und Milch getrunken werden. Die Kinder sind in der Regel gesund ernährt", so die Erfahrung des Arztes. Die DGE hält diese Variante als "Dauerkost" für empfehlenswert. Kinderarzt Kahl rät, zusätzlich Eisen einzunehmen - über Tabletten oder Tropfen - und einmal im Jahr ein Blutbild machen zu lassen.

Auch Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse gelten als gute Eisenlieferanten. Daran hält sich auch Tamaras Mutter: "Vollkornbrot kaufen wir ohnehin und einmal die Woche gibt es bei uns Linseneintopf", sagt sie.

Insgesamt entwickle sich ihre Tochter gut, was auch der Kinderarzt bestätige. "Dass sie durch die vegetarische Kost jetzt aufgeblüht und besonders gesund wirkt, kann ich aber nicht sagen", so die Mutter.

Mathilde Kersting hält die so genannte optimierte Mischkost mit vielen pflanzlichen Lebensmitteln und mäßigem Konsum von tierischen Produkten für die beste Variante. Dieses Ernährungskonzept sei am FKE entwickelt worden, sagt die ehemalige Leiterin. Es garantiere mit hoher Sicherheit eine adäquate Nährstoffzufuhr.

(mh/dpa)

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