Die Deutschen fahren immer aggressiver. Das geht aus einer Befragung im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer hervor. Unfallforscher warnen vor den Gefahren eines aggressiven Fahrstils.
Die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten im Straßenverkehr hat in den vergangenen Jahren einer aktuellen Umfrage zufolge zugenommen. In der Befragung des Instituts O.trend im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer gaben 56 Prozent der Befragten an, dass sie schneller fahren als sonst, wenn sie sich ärgern. "Bei dieser Frage müsste man doch eigentlich klar sagen: 'Nein, das trifft nicht zu.' Das Auto ist kein angemessener Ort, um Aggressionen loszuwerden", sagte Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, am Montag in Berlin dazu.
Auf die Aussage "Drängelt mich die Person hinter mir, trete ich kurz auf die Bremse, um diese zu ärgern" sagten 44 Prozent, dass dies bei ihnen zutrifft - auch hier wurden alle Nennungen außer einem klaren Nein zusammengefasst. 21 Prozent gaben an, dass sie beim Überholen auf der Autobahn auch mal mit Lichthupe und Blinker auf sich aufmerksam machen - ein Plus von neun Prozentpunkten im Vergleich zu 2016. 34 Prozent sagten, dass sie auf "notorische Linksfahrer" auch mal dicht auffahren, damit diese die Überholspur frei machen - ein Plus von 8 Prozentpunkten zu 2016.
Unfallforscher Brockmann erklärte, dass es aus seiner Sicht in Deutschland insgesamt einen Trend zu aggressiverem Verhalten gebe - und dass der auch vor dem Verkehr nicht Halt mache. Das zeige der Vergleich zu Vorgängerstudien etwa aus den Jahren 2016 und 2019. Für die diesjährige Umfrage wurden zwischen dem 2. Juni und 2. Juli deutschlandweit 2002 Menschen ab 18 Jahren befragt. Sie kann als repräsentativ bewertet werden.
Weitere Ergebnisse der Studie im Überblick:
Unterschiedliches Sicherheitsgefühl bei Männern und Frauen
Männer fühlen sich der Umfrage zufolge im Verkehr deutlich sicherer als Frauen. 49 Prozent der Frauen gaben an, dass sie sich im Verkehr "sicher" oder "sehr sicher" fühlen - bei den Männern waren es 64 Prozent. Die Zahlen bestätigen die Ergebnisse der Studie von 2019. Passend dazu befürworteten Frauen in der Umfrage deutlich stärker Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit.
Große Befürwortung für Null-Promille-Grenze
Vor allem eine Null-Promille-Grenze für alle Kraftfahrer halten viele für eine gute Maßnahme - 68 Prozent aller Befragten zeigten sich dafür offen. Strengere Geschwindigkeitsbegrenzungen werden im Vergleich deutlich kritischer gesehen.
Tempo 30 in Städten als Maßnahme für mehr Sicherheit befürworteten 41 Prozent der Menschen, Tempo 80 auf Landstraßen 47 Prozent. Für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern waren 53 Prozent der Befragten offen. Während sich die Zustimmung zu den Geschwindigkeitsbegrenzungen kaum veränderte, nahm sie für die Null-Promille-Grenze ab: 2019 sagten in der Umfrage noch 76 Prozent der Befragten, dass sie eine solche Regelung für mehr Sicherheit im Straßenverkehr befürworten.
Betroffenheit von neuen Regeln beeinflusst die Meinung
Inwieweit Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit befürwortet werden, hängt auch vom Alter ab: Tendenziell stehen ältere Menschen strengeren Tempolimits offener gegenüber als jüngere Befragte. Dafür können die Älteren Maßnahmen wie einer verpflichtenden Selbstauskunft ab 70 Jahren alle fünf Jahre weniger abgewinnen. Hier dürfte eine große Rolle spielen, dass sie von einer solchen Maßnahme selbst am stärksten betroffen wären. Einen verpflichtenden Sehtest alle 15 Jahre befürworteten aber auch viele der älteren Befragten.
Cannabis am Steuer wird mehrheitlich als sehr riskant bewertet
Dass die Debatte um die Legalisierung von Cannabis auch zu mehr bekifften Kraftfahrern führen wird, ist angesichts der Umfragedaten nicht zu befürchten. 87 Prozent der Befragten bewerteten das Fahren nach Cannabiskonsum als "sehr risikoreich". "Das ist ein Hoffnungszeichen, dass nicht alle wie wild kiffen und dann ins Auto steigen", sagte Brockmann.
Menschen empfinden wenig Kontrolldruck im Straßenverkehr
Doch wie lässt sich das Verhalten im Straßenverkehr wieder in andere Bahnen bringen? Mit mehr Kontrollen und deutlicheren Sanktionen, folgern die Unfallversicherer. Bisher scheinen die Menschen keinen allzu großen Kontrolldruck zu verspüren. 52 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zuletzt vor mehr als fünf Jahren oder noch nie von der Polizei kontrolliert wurden. Im vergangenen Jahr sind demnach nur 7 Prozent der Befragten kontrolliert worden.
Große Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung
Bei den Fragen zum aggressiven Verhalten zeigt sich durchweg, dass die Menschen ihr eigenes Verhalten positiver bewerten als das der anderen Verkehrsteilnehmer. 93 Prozent der Autofahrer beobachteten beispielsweise "selten bis sehr oft", dass Fahrradfahrer zu dicht überholt werden. Gleichzeitig gaben 96 Prozent der Autofahrer an, dass sie beim Überholen von Radfahrern besonders viel Rücksicht nehmen (Antworten von "trifft kaum zu" bis "trifft voll zu" zusammengefasst).
Mehr Verkehrstote als durch Gewaltverbrechen
Die Gefahr im Straßenverkehr wird im Vergleich zu anderen Gefahren unterschätzt. Im Jahr 2022 sind in Deutschland 2.782 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Zum Vergleich: Nur 211 Menschen wurden im selben Jahr in Deutschland Opfer eines Mordes. (dpa/lko)
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