Nach gerade mal einem halben Jahrhundert Plus 4 weht nun wieder ein frischer Wind bei Morgan. Der neue heißt Supersport, basiert auf der weiterentwickelten Plattform des ausgelaufenen Plus Six und trägt erstmals ein Karbon-Cap.
Auf den völlig glatten und zugleich längsten Haubenflügeln, die je im englischen Malvern Link zurechtgedengelt wurden, spiegeln sich Zacke um Zacke die scharfkantigen Gipfel des Dolomiten-artigen Montserrat nördlich von Barcelona. Ein ungewohnter Ausblick für einen Mitteleuropäer – denn im Morgan Supersport sitzt du rechts und fährst auf der rechten Straßenseite. Nicht nur die Felswände liegen so in Griffweite – bei offener Tür berühren die Finger auch ohne Joga-Grundkurs die hintere Reifenflanke. Das Popo-Meter hängt nur wenige Zentimeter über dem Asphalt, die Füße ragen weit in die ausgestellten Kotflügel.
Dazu dieser derb-süßliche Geruch, so intensiv wie sonst nur bei Rolls-Royce. Kein Wunder: Es ist es ebenjene Kuhhaut aus der selben Gerberei, die auch das Leder für den englischen Automobilhochadel herstellt. Handschuhweich schmiegt es sich nicht nur an den Rücken, sondern auch an offenporiges Holz. Analoge Instrumente komplettieren mit wenigen aus Alu gelaserten Tasten und Reglern die klassische Choreographie. Im Mittelpunkt, also direkt zwischen Fahrer und Beifahrer, stehtder Tacho nebst Herrenuhr und Drehzahlmesser. Direkt vor dem Fahrer drängen sich die Temperatur- und die Tankanzeige mitsamt dem digitalen Schaltdisplay als kleinem Zugeständnis an die digitale Neuzeit ins Blickfeld.
No touch, no screen
Ansonsten: Kein Touch, kein Screen – kein Wunder, dass Morgan kaum Kundschaft in China hat. Ein Glück! Man muss sich nur ansehen, was mit einem MG-Roadster passiert, wenn sie in Asien daraus einen Cyberster stricken. Infotainment gibt es trotzdem: Das eigene Handy thront in der induktiven Smartphone-Halterung, verbunden via Bluetooth. Mit einem schicken Drehschalter wechselt der Fahrer zum nächsten Track oder dreht die Sennheiser-Anlage auf. Deren aluvergitterte Boxen schreien gegen den Fahrtwind an, und drei Mikros lauschen der Fahrerstimme. Bisher konnte man sich in einem Morgan bereits bei Stadttempo kaum noch mit seinem Mitfahrer unterhalten, nun sollen einen Gesprächspartner am anderen Ende der Welt sogar ohne Windgeräusche verstehen können. Heißt es.
Die Spiegel werden übrigens per Sprachbefehl – also mit händischer Hilfe des angesprochenen Beifahrers – oder automatisch durch den Fahrtwind eingestellt. Ja, bei Autobahntempo legt sich der filigrane Fahrerspiegel flach. Ein aktives Aerodynamikfeature? Nein, dieser Morgan ist trotz der glattgebügelten Falten kein Vmax-Bolzer. Dennoch erzählt Henry Baker, Morgans PR-Mann, stolz, dass sie den cW-Wert um fünf Prozent in die Knie gezwungen haben. Ein Verdienst des Hardtops? "Well ... you know, kind of like... yes." Das abnehmbare Dach wiegt dank Carbon und trotz der größten Glasscheibe ever bei Morgan keine 20 kg. Und erstmals gibt‘s das nicht nur als Nachtrags-Lösung. Der eigentliche Clou: Selbst der hardbetopte Supersport fühlt sich ohne Seitenscheiben offener an als manch Cabrio mit versenktem Verdeck.
Pures Roadster-Feeling
Den Carbon-Deckel ganz ablegen? Dafür braucht‘s Man-Power, ein paar Minuten und das Softtop. Ich kürze das Umbauerlebnis ab und steige einfach in einen anderen Supersport mit Stoffmütze. Das Verdeck klammert sich noch im wahrsten Wortsinn an die daumendicke A-Säule und lässt sich am besten mit festem Händedruck von außen lösen. Zusammenfalten will gelernt sein, damit sich der Stoff möglichst flach zusammenlegt. Und on top gäbe es eine schicke Abdeckung.
Aber statt diese draufzufummeln, nimmt man dem Supersport lieber schnell die Scheiben ab. Denn die Seiten-Elemente werden hier nicht mehr mit dem Rest der Türchen verschraubt. Eine kleine Revolution auf der Insel, wo man natürlich die Erfindung des Fensterhebers weiter ignoriert. Immerhin gibt‘s nun einen Aufbewahrungsort: Statt hinter die Sitze zu rutschen, finden die Scheibchen erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt wieder in einer Art Kofferräumchen Platz.
Hans Zimmer bleibt zu Hause
Dort sind sie kratzsicher verstaut, und es geht weiter, und zwar in Windeseile. Der Kraftspender unter der geteilten Haube bleibt BMWs B 58, der, wie Morgan betont, mindestens 340 PS leistet, aber nicht handgerissen, sondern von einem ZF-Achtgangautomaten gewandlert. Leider oder eher zum Glück? Denn die Motor-Getriebe-Kombi ist eine glatte zwölf von zehn, zumal sie nur rund 1,2 Tonnen bewegen muss. Anders als bei BMW hat
Die sehr nahen Felswände – Sie wissen ja: Rechtslenker im Rechtsverkehr – verstärken alle Nuancen des Drei-Liter-Turbos wie ein Megafon. Dessen Stimm-Repertoire bewegt sich zwischen Drehzahlkeller-Bass, sehnigem Inline-Six-Jammern bei Halbzeit und Ferrari-artigem Kreischen, wenn die Nadel bis 7.000/min ausschlägt. Jede Gaswegnahme quittiert der doppelte Einzelrohrauspuff mit dreifachen AK-47-Salven. Okay, in diesen Zeiten sollte man sich Kriegsrhetorik verkneifen, doch es gibt keine passendere Metapher.
Gewindefahrwerk und mechanisches Differenzial
Sanftere Töne schlagen die Briten dafür beim Fahrwerk an. Zwar implantieren die Morgan-Jungs optional ein Nitron-Gewindefahrwerk mit 30 Prozent steiferen Federn und Dämpfern, die sich mit 24 Klicks in Zug- und Druckstufe verstellen lassen. Doch das Komforterlebnis ist nicht die Härte, vielmehr beträgt das ideale Setup für diese Straßen 15 Klicks Richtung soft. Welche Straßen? Googeln Sie einfach "BV-1123". Trotz der erhöhten Federkraft, optionaler 19-Zoll-Räder und keinem Fingerbreit Luft im Radhaus federt der Morgan Supersport harmonisch und schluckt kleine Bodenwellen mit sanftem Wippen.
Natürlich spürt der Fahrer nahezu alle Roll- und Wank-Bewegungen der deutlich versteiften Plattform. Doch der Supersport ist halt immer noch ein offener Zweisitzer mit tragenden Holzelementen, Leben in der Karosserie ist hier Teil des Spiels. Und zwar eines, das den Fahrer von der ersten Sekunde an packt und nicht mehr loslässt.
Auch das Querdynamiktalent des Morgan ist schlicht einzigartig. Und das liegt nicht nur an der Sitzposition und am Handling-Paket, sondern stark auch am optionalen Sperrdifferenzial. Der Roadster lässt sich per Gasfuß willig in jede Kehre hineindrehen und kommt vor allem auch schnell wieder raus. Quer geht natürlich, wobei "ESP off" tatsächlich "aus" heißt. Ja, da muss der Fahrer schnell gegensteuern. Am schlichten Design des Lenkrads mögen sich die Geister scheiden, aber der Morgan lenkt fein ein: spürbar direkte Auslegung, kaum Kurskorrekturen trotzraumgreifender Lenkwinkel in Spitzkehren. Das Gefühl stimmt: Der Supersport kommuniziert stets, was an der Vorderachse passiert. Zudem pfuschen dem Fahrer keinerlei Assistenten ins Handwerk – Morgan ist ein Kleinserienhersteller.
Ungefiltert biegt man so ein letztes Mal Richtung Felsmassiv ab, bevor es zurückgeht. Was bleibt? Ein unvergesslicher Tag in einem modernen Werks-Restomod samt oldschooligem Roadster-Feeling. Absolut unvergleichlich in der heutigen Auto-Welt.
Geglättete Linien
Der Morgan Supersport baut auf der 2019 eingeführten CXV-Aluminiumplattform auf. Neue Hilfsrahmen versteifen das Chassis spürbar. Formal bleibt der Supersport den klassischen Morgan-Linien treu, allerdings wurde die aus Aluminium gefertigte Karosserie, die weiterhin über einen Eschenholzrahmen modelliert wird, in allen Bereichen geglättet, um die barocken Linien mit den Anforderungen moderner Aerodynamik in Einklang zu bringen. Zudem wurde die Schulterlinie im Bereich der Türen und des Hecks etwas erhöht. Die Linienführung lehnt sich dabei stark an das limitierte Sondermodell Pininfarina Midsummer an, das die Briten zum 115. Geburtstag der Marke im Sommer 2024 vorgestellt hatten. Der Supersport kommt auf eine Länge von 4,11 Meter, ist 1,80 Meter breit und nur 1,29 Meter hoch.
Der dunkel gehaltene Hufeisenkühlergrill wurde um zwei große Entlüftungskiemen vor der langen, weiter längs zweigeteilten Motorhaube ergänzt. Frontsplitter und Heckdiffusor setzen sich farblich vom Rest der Karosserie ab. In den Kotflügeln sitzen moderne 8-Zoll-LED-Scheinwerfer, die auch die Blinker integrieren. Der flächige Heckdeckel fällt steil bis zum Diffusor ab, der die beiden Auspuffendrohre der Sportabgasanlage mit Klappensteuerung sowie die runden LED-Rückleuchten aufnimmt. Die mittig angebrachten Nebel- und Rückfahrscheinwerfer bleiben bei Nichtgebrauch nahezu unsichtbar.
Mit Kofferraum und Komfortausstattung
Zugeständnisse gab es an die Alltagstauglichkeit. Der Stauraum hinter den Sitzen wurde vergrößert und unter der Heckklappe findet sich tatsächlich ein Kofferraum. Ein Volumen nennen die Briten nicht, Reisetaschen sowie die Seitenscheiben sollen aber Platz finden. Soll mehr Gepäck mit auf die Reise, als in den Kofferraum passt, so lässt sich am Heck ein optionaler Gepäckträger aus lasergeschnittenem Aluminium montieren. Dieser lässt sich nach hinten klappen, damit der Kofferraum geöffnet werden kann.
Erhalten geblieben ist das faltbare Stoffverdeck, das bei Bedarf um ein fest montiertes Carbon-Hardtop ergänzt werden kann und den Roadster so zu einem Coupé macht. Die Seitenscheiben werden nach wie vor gesteckt, sollen aber deutlich präziser passen und auch dichter sein. Zudem wurde eine von Sennheiser beigesteuerte Audioanlage vollständig ins Cockpit integriert. Selbst eine induktive Ladeschale, eine Freisprecheinrichtung und Bluetoothtechnologie zur Anbindung von Smartphones durfte in den Klassiker einziehen.
Moderneres Cockpit
Auch im Cockpit bleibt der klassische Look weitestgehend erhalten. Die Runduhren zeigen weiter analog an, werden aber komplett elektronisch gesteuert. Vor dem Dreispeichenlenkrad mit Airbag – auch vor dem Beifahrer sitzt ein Airbag – hat Morgan ein kleines Multifunktionsdisplay platziert. Ansonsten dominieren viel sichtbares Edelholz sowie mit Leder überspannte Oberflächen. Aus der Mittelkonsole ragen der Getriebewähl- und der Handbremshebel, davor sitzt das induktive Ladefach. Die runden Chrom-Außenspiegel, die ohne Sensorik oder elektrische Verstellung auskommen, thronen auf langen Chromauslegern. Die steil aufragende Windschutzscheibe setzt weiter auf einen polierten Rahmen und drei winzige Scheibenwischer.
Antrieb wieder von BMW
Beim Antrieb vertraut auch der neue Supersport wieder auf einen Reihensechszylinder mit Turboaufladung von BMW unter seiner langen Haube. Das B58-Triebwerk mit drei Liter Hubraum leistet 335 PS und 500 Nm und arbeitet mit einer ebenfalls von BMW stammenden Achtgang-Automatik zusammen. Damit soll der nur 1.170 Kilogramm schwere Morgan Supersport in 3,9 Sekunden von null auf 100 km/h spurten. Die Höchstgeschwindigkeit wird mit 267 km/h angegeben.
Die Lenkung wurde direkter ausgelegt. Das Fahrwerk soll mit einer komplett neuen Abstimmung und Stabis an beiden Achsen, Komfort und Dynamik in einem Maße kombinieren, wie man sie bislang von Morgan-Modellen noch nicht gekannt hat. Optional stehen voll einstellbare Dämpfer in der Aufpreisliste. In den Radläufen stecken aerodynamisch geformte 18-Zoll-Leichtmetallfelgen, die mit Michelin Pilot Sport 5-Pneus in den Dimensionen 235/45 und 255/45 bestückt sind. Alternativ sind ab Werk auch 19 Zöller zu haben.

Marktstart und Preis
Geblieben ist auch beim neuen Morgen die alte Fertigungsmethode. Jedes Modell wird mit viel Handarbeit weiter an der Pickersleigh Road gefertigt. Bestellt werden kann der Supersport ab sofort. In Deutschland beträgt der Grundpreis des Wagens 126.500 Euro – inklusive schwarzem Mohair-Verdeck. Wenn Sie das Fahrzeug zusätzlich mit einem Hardtop ausstatten, fallen zusätzlich 8.800 € an. Wenn Sie das Auto nur mit einem Hardtop ordern, beträgt der Preis 126.500 € plus 5.500 €, was dem Preis des Hardtops entspricht, abzüglich der Kosten für die Herstellung eines Softtops (normalerweise im Grundpreis enthalten). © auto motor und sport