Der neue Mercedes CLA L für China überrascht nicht nur mit längerem Radstand, sondern vor allem mit einer digitalen Besonderheit: Er ist das erste Mercedes-Modell, das auf eine chinesische KI-Sprachplattform setzt. Damit verändert sich nicht nur die Technik im Auto – sondern auch das Verhältnis zwischen globaler Marke und lokalem Markt.
Dass deutsche Autohersteller ihre Modelle an regionale Bedürfnisse anpassen, ist bekannt. Mehr Radstand für China? Erwartbar. Doch was Mercedes beim neuen CLA L wagt, geht deutlich weiter: Erstmals verlässt sich das Infotainmentsystem MBUX nicht auf deutsche oder US-amerikanische Lösungen – sondern auf eine chinesische. Der neue Sprachassistent im CLA L basiert auf DouBao, der KI-Plattform des TikTok-Mutterkonzerns ByteDance. Das Auto spricht nicht nur Chinesisch – es denkt in Chinesisch.
Technische Basis: MBUX trifft DouBao
Im CLA L kommt eine speziell angepasste Version des MBUX-Systems zum Einsatz, die über eine tiefe Integration mit DouBao verfügt. Der virtuelle Assistent, der hier zum Einsatz kommt, ist kein reiner Übersetzer westlicher Systeme, sondern ein lokal trainiertes Sprachmodell, das mit chinesischen Idiomen, Tonlagen und Kontexten vertraut ist.
Statt einfacher Befehle versteht das System komplexe Sätze, regionale Dialekte und sogar ironische Bemerkungen. Während europäische MBUX-Versionen auf globale Cloudlösungen von Mercedes setzen, verarbeitet DouBao seine Sprachdaten innerhalb chinesischer Infrastruktur – eine Notwendigkeit, aber auch eine Chance. Wo Alexa oder Siri global gleich klingen, antwortet DouBao mit lokaler Finesse – wie ein Concierge, der seine Kundschaft persönlich kennt.
Praxisbeispiel: Emotionale Intelligenz serienmäßig
In der Anwendung zeigt sich der Unterschied schnell. Sagt der Fahrer etwa: "Mir ist kalt", antwortet der Assistent mit einem personalisierten Avatar: "Soll ich die Heizung auf 23 Grad stellen?" – begleitet von einem beruhigenden Farbspiel im Display.
Der Fahrer kann den Avatar nach Geschlecht und Stimmlage wählen, auf Wunsch auch mit animierten Mimik-Elementen. Befehle werden nicht nur ausgeführt, sondern interpretiert – etwa wenn auf den genervten Satz "Schon wieder Stau?" Vorschläge für eine neue Route erfolgen.
Technisches Detail: Die Rechenleistung für diese Funktionen liefert der Nvidia Orin-X-Chip, der auch autonomes Fahren ermöglicht – aktuell aber primär für Sprachverarbeitung und Navigation genutzt wird.
Gesellschaftlicher Kontext: Vertrauen in die eigene Tech-Welt
Die Entscheidung, eine chinesische KI zu integrieren, ist kein technisches Zugeständnis, sondern eine kulturelle Anpassung. Studien zeigen: Über 70 Prozent der chinesischen Premiumkunden erwarten ein System, das sich sprachlich und funktional wie ein einheimischer Assistent verhält – nicht wie ein importiertes Feature. Mercedes reagiert darauf mit einer bislang einzigartigen Offenheit gegenüber der chinesischen Tech-Szene. ByteDance – vor allem für Unterhaltung bekannt – wird damit zum Partner in einem sicherheitskritischen Bereich.
So wie Apple in China WeChat tief ins iOS integriert hat, passt sich nun auch Mercedes der digitalen Realität des Landes an.

Lokale KI als Zukunftsmodell?
Die Integration von DouBao könnte mehr sein als ein lokales Experiment. Wenn Sprachassistenten künftig marktspezifisch angepasst werden, könnten sich auch andere Regionen emanzipieren – mit eigenen Partnern, Inhalten und Cloudstrukturen. Ein denkbares Szenario: Ein MBUX, das in Indien mit Jio, in Brasilien mit Vivo oder in Nordamerika mit OpenAI-Modellen kommuniziert. Das Auto wird zur Plattform – und jeder Markt bestimmt seinen digitalen Co-Piloten selbst. © auto motor und sport